OBERHAUSEN. . Ein Anwalt stuft die Genehmigungspraxis der Stadt Oberhausen für Supermärkte und Discounter als ungerecht ein. Er listet viele Gründe auf.
Kommt es auf stadtplanerische Gründe gar nicht an, wenn in Oberhausen ein Supermarkt oder ein Discounter angesiedelt wird? Den Eindruck hat der Duisburger Rechtsanwalt Christopher Ziegler. Sein Mandant ist die Phoenix Projekt GmbH des Oberhauseners Kai Brandenburg. Der Anwalt belegt seinen Eindruck mit Fakten, die die Stadt selbst ihm geliefert hat.
Denn beide Seiten liegen vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster (OVG) im Clinch. Brandenburg fehlen offenbar gute Kontakte zum Rathaus. „Meinen Einzelhandels-Projekten versucht die Stadt seit Jahren einen Riegel vorzuschieben“, sagt er verärgert. Zum Beispiel seinem Wunsch, an der Kirchhellener Straße 149 einen Netto-Markt anzusiedeln. Um das zu verhindern, hat der Rat auf Empfehlung der Stadtverwaltung sogar einen Bebauungsplan erlassen. Anwalt Ziegler hat beim OVG beantragt, ihn als rechtswidrig aufzuheben. Dann wäre der Weg frei.
Richter forderten Übersicht an
Um sich Klarheit über die übliche Genehmigungspraxis der Stadt bei anderen Investoren zu verschaffen, haben die Münsteraner Richter eine Übersicht über die in den letzten Jahren genehmigten Supermärkte und Discounter angefordert. Ziegler wertete sie aus – und entdeckte viele Merkwürdigkeiten.
Das Rathaus hat den gewünschten Netto-Markt an der Kirchhellener Straße mit dem Argument abgewehrt, man wolle die beiden Nahversorgungszentren Königshardt und Tackenberg vor Konkurrenz schützen. Schließlich handelt es sich bei dem gewünschten Netto-Standort, dem Gewerbegebiet an der Autobahn A 2, laut städtischem Einzelhandelskonzept von 2008 um gar kein Versorgungszentrum. Dieses Konzept teilt das Stadtgebiet nämlich in Haupt-, Neben- und Nahversorgungszentren ein. Der Rat der Stadt hat es zur Basis der Stadtplanung erhoben.
Seltsam ist nur, dass ein dort im Gewerbegebiet bereits ansässiger Aldi in jüngster Zeit sogar kräftig erweitern konnte. Auf über 800 Quadratmeter Verkaufsfläche. Dabei unterstellt der Gesetzgeber ab dieser Größenordnung automatisch, dass sie für die Versorgungszentren einer Stadt gefährlich ist.
Anwalt: Eigene Vorgaben nicht beachtet
Die dem Gericht vorgelegte Übersicht zeigt nach Auffassung des Anwalts, dass die Stadt selbst sich nicht an ihr eigenes Einzelhandelskonzept hält. Denn von neun darin aufgeführten Ansiedlungen halten sich gerade einmal zwei an die Vorgaben: Der Rewe an der Bottroper Straße 149 in Osterfeld wurde inmitten des dortigen Nebenzentrums genehmigt. Auch der Netto-Markt an der Friedrichstraße 47 in Sterkrade befindet sich konzeptgemäß im Gebiet des Hauptzentrums Sterkrade.
In allen anderen Fällen spielten die Vorgaben des Konzepts erstaunlicherweise gar keine Rolle: So liegt der Lidl an der Dorstener Straße 292 am Tackenberg schon außerhalb des Nahversorgungszentrums, nur ein Teil seiner Parkplätze nicht.
Sowohl der Lidl im Gewerbegebiet Brammenring am Centro, das ausdrücklich nicht für zentrenrelevanten Einzelhandel ausgewiesen ist, als auch der Lidl an der Bebelstraße 102, sie liegen außerhalb jedes Zentrums. Auch der Rewe Ebertstraße 6 wurde außerhalb des Hauptzentrums Alt-Oberhausen platziert, ebenso wie der Lidl Mülheimer Straße 306. Genau dies will eigentlich das Einzelhandelskonzept verhindern, um gewachsene Orts- und Handelszentren nicht zu gefährden.
Stadt schweigt zu Vorwürfen
Beim Penny Gabelstraße 53a wurde, analysiert der Anwalt, die Vorgabe unterlaufen, im Radius von 500 Metern um das Nebenzentrum Schmachtendorf keine Konkurrenz anzusiedeln. Und der Lidl Teutoburger Straße 313 liegt nach seiner Berechnung in der 500-Meter-Schutzzone vom Nahversorgungszentrum Tackenberg. 2018 hat der Rat die Weichen für eine Ausdehnung des Lidls auf über 800 Quadratmeter gestellt.
Die meisten der anderen Märkte konnten sich bereits früher vergrößern. „Eine solche Planungspraxis kann man doch nur als willkürlich bezeichnen“, sagt Investor Kai Brandenburg.
Selbst nach sieben Wochen hat die Stadt Oberhausen gegenüber der Redaktion eine zu den schweren Vorwürfen erbetene Stellungnahme nicht abgegeben.
Ärmere Bürger leiden am Ende am meisten
Donato Acocella leitet in Lörrach ein Büro für Stadt- und Regionalentwicklung. Er hat für die Stadt Duisburg das Einzelhandelskonzept entwickelt. Von ihm wollten wir wissen, was Otto Normalverbraucher davon hat, wenn eine Stadt den Einzelhandel steuert.
„Orts-, Stadtteil- und Stadtzentren verdanken ihre Existenz Menschen, die dort Waren einkaufen und Dienstleistungen erledigen“, sagt er. Finde das nicht mehr statt, seien diese Zentren tot. Deshalb machen die Bundesländer die Vorgabe, dass die Städte den Handel auf solche Zentren konzentrieren müssen. Die Kommunen dürften aber die Ausdehnung dieser Zentren und das dort zu schützende Warensortiment auf ihre Verhältnisse zuschneiden.
„Für Lebensmittel-, Schuh- oder Drogeriemärkte ist die Verlockung groß, sich in reinen Gewerbegebieten anzusiedeln“, sagt Acocella. Dort koste ein Pkw-Stellplatz nur 5000 bis 10.000 Euro gegenüber sonst 30.000 bis 40.000 Euro.
Abwärts-Bewegung stoppen
„Würde man das unbeschränkt zulassen, gingen kleine Zentren bald den Bach runter. Eine Abwärtsspirale würde einsetzen.“ In die freien Ladenlokale würden dann Spielhallen, Wettbüros, Nagel- und Tattoo-Studios sowie Versicherungsbüros einziehen, die aber alle nichts mit Handel zu tun hätten. Ein solches Zentrum verliere seine Bedeutung. Große Ladenlokale blieben unvermietbar. Ihre Vermieter hätten immer weniger Geld, die Häuser in Schuss zu halten.
„Ob man gut und günstig einkaufen kann, hängt dann davon ab, dass man ein Auto hat bzw. sich eins leisten kann.“ Daran fehle es oft bei älteren Frauen mit kleinen Renten. Acocella: „Auch sie sollen in der Lage sein, ihre täglichen Einkäufe ortsnah zu erledigen und die dabei üblichen sozialen Kontakte pflegen, die für sie wichtig sind.“
Ein nicht gesteuerter Einzelhandel würde sich nach dem Prinzip der zufällig freiwerdenden Flächen richten. Das habe den weiteren Nachteil, Handwerksbetriebe in (neue) preiswertere Gewerbegebiete am Stadtrand zu verdrängen. In punkto Miethöhe oder Grundstückspreise könnten sie mit dem Einzelhandel nicht mithalten.
Abweichungen von einem solchen Einzelhandelskonzept kommen nach Angaben von Donato Acocella immer wieder vor. „Werden sie aber zur Regel, geht das Vertrauen in die Planungspolitik verloren. Das Konzept ist strategisch für die Katz’.“
Der Online-Handel sei kein Grund, von einer Steuerung abzusehen. Vor allem im Lebensmittel-Bereich sei er noch unbedeutend. „Der Online-Handel erhöht aber den Druck auf die Zentren, auf sich aufmerksam zu machen.“