Oberhausen. Die Entwicklung beim Europahaus-Kino spitzt sich zu: Das Land will nicht mehr Geld zuschießen. Ist der Politik die Spielstätte so viel wert?
Die Stadt lässt beim Multimillionen-Projekt „Brückenschlag“ kostbare Zeit verrinnen: Diese Befürchtung hatte SPD-Kulturpolitiker Manfred Flore schon vor einem Jahr in einem vernehmlichen „Hilferuf“ publik gemacht. Denn Zeit ist in diesem Fall viel Geld – und inzwischen nennt Flore die Situation „dramatisch“.
Der 70-Jährige, nun Bürgermeister und Vorsitzender des Kulturausschusses, meint vor allem die Kostenentwicklung beim Umbau des einstigen Festivalkinos „Europapalast“ in einen Multifunktionssaal für die Oberhausener Innenstadt. Dem jahrzehntelang sträflich vernachlässigten und provisorisch verbauten einstigen Schmuckstück sollte Architektin Lena Kopal wieder alten Glanz zurückgeben: Eine neue Spielstätte für maximal 199 Besucher, dessen Nutzung Volkshochschule (VHS), Theater Oberhausen und Kurzfilmtage miteinander abstimmen müssten.
Doch jetzt droht der Sanierungsstopp – es sei denn die Politik erklärt sich einverstanden, dass die Stadt rund zwei Millionen Euro Mehrkosten (von dann insgesamt 4,7 Millionen Euro) übernimmt. Dem Planungsausschuss hatte Dezernent Ralf Güldenzopf die Situation geschildert. Das bestehende Förderprogramm läuft aus, also lassen sich daraus auch keine Gelder einer späteren Förderperiode abrufen.
Schadstoffsanierung treibt Kosten in die Höhe
Die Bezirksregierung habe zudem skeptisch auf das Anliegen reagiert, zumindest den Förderzeitraum (derzeit nur noch bis zum Ende dieses Jahres) um ein Jahr zu verlängern. Denn bis Ende 2022 ließe sich der „neue“ Europapalast vollenden. Sagt das Land jedoch auch dazu Nein, erläutert der Dezernent, bestehe die Gefahr, dass Oberhausen die gesamte Förderung zurückerstatten muss.
Dass bei Sanierungen im Altbaubestand – das Europahaus stammt aus den Jahren 1955 bis 1957 – die Kosten deutlich ansteigen können, sollte nicht überraschen. Die Architektin und Co-Geschäftsführerin des Büros „Funke Popal Storm“ hatte schon im vorigen September im Kulturausschuss betont, der „Europapalast“ mit seinem Tortenstück-förmigen Grundriss sei nur dürftig dokumentiert. Nun treibt vor allem die Schadstoffsanierung die Kosten in die Höhe.
Wertvoller Ort der Kultur und Begegnung
Ralf Güldenzopf nennt die Kostensteigerung bei einem Projekt dieses Anspruchs „nichts Unerwartetes“. Ob es noch eine andere Chance der Landesförderung gibt, will der Dezernent in der nächsten Sitzungsrunde den Ratsgremien „sachlich neutral darstellen“. Güldenzopf sagt aber auch, dass der Europapalast ein wertvoller Ort der Kultur und Begegnung sein könnte, „das ist nach wie vor tragend“.
Der CDU-Dezernent wie auch SPD-Politiker Manfred Flore verweisen auf den langen Weg, bis es überhaupt losging mit der Sanierung, obwohl die Landesförderung enge Fristen setzte. Wertvolle Zeit kosteten nicht zuletzt die Verhandlungen mit dem Eigentümer. Flore lässt deutlich erkennen, wie suspekt ihm der Eigentümer – und wie wichtig ein wasserdicht ausformulierter Nutzungsvertrag mit langer Laufzeit ist.
„Wir stehen mit Leidenschaft zu diesem Projekt“, sagt Manfred Flore. In seiner neuen Allround-Nutzung wäre der „Europapalast“ eine wichtige Spielstätte. Das heute für die Innenstadt so prägende Bert-Brecht-Haus habe man seinerzeit auch zähneknirschend nachfinanzieren müssen.
Baudenkmal der frühen Nachkriegsmoderne
Der Gestalter des Europahauses, Hans Schwippert (1899 bis 1973), zählt zu den bedeutenden Architekten des Werkbundes – und schrieb ein Kapitel frühester Nachkriegsgeschichte. In Aachen zählte er zu jenen neun Bürgern, die von der amerikanischen Militärregierung im November 1944 zu „Bürgermeistern“ ernannt wurden – bis Aachens Oberbürgermeister Franz Oppenhoff im März 1945 von einem SS-Kommando ermordet wurde.Als Architekt mit Büro in Düsseldorf prägte Hans Schwippert die frühe Nachkriegsmoderne der Bonner Republik mit dem Bundeshaus Bonn (1949), der Viktorshöhe in Bad Godesberg (1949), dem Bundeskanzleramt im Palais Schaumburg (1950), dem Wohnhochhaus im Hansaviertel Berlin (1957) – und dem denkmalgeschützten Europahaus in Oberhausen (1955 bis 1957).
Axel J. Scherer als kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion bringt einen weiteren Gedanken ins Spiel: „Man muss nicht zum perfekten Zustand planen.“ Der Mehrzwecksaal im Europahaus sei womöglich auch in einer „Teil-Umsetzung“ zu retten, dem später weitere Verbesserungen folgen würden. Ob allerdings eine Spar-Ausstattung an dieser komplexen Baustelle möglich ist?
Kinosaal verfügte einst über 1200 Sitzplätze
Als im Herbst 1955 der Europapalast als 22. Kino in Oberhausen öffnete, gebot der Saal über 750 Sitzplätze im Parkett und 450 Rangplätze. Die Branchen-Zeitschrift „Der neue Film“ beschrieb bewundernd die elegante Einrichtung „in hellen Grautönen mit goldfarbenen Säulen“ sowie „zierlichen französischen Eisenmöbeln“. Zur technischen Ausstattung zählte bereits vor 66 Jahren eine Verstärkeranlage für vierkanaligen Stereoton. Das Foyer mit schicker Showtreppe ragte über drei Stockwerke auf – und die Bühne war mit neun Metern Tiefe tauglich für Konzert und Schauspiel.
Ein Aus für dieses zentrale „Brückenschlag“-Projekt wolle er nicht akzeptieren, betont denn auch Axel J. Scherer: „Von dem Projekt bin ich so begeistert, dass ich es nicht streichen möchte.“ Er sieht sich darin im Einklang mit den anderen Ratsfraktionen: „Wir sollten auf keinen Fall kampflos aufgeben.“