Oberhausen. Das Neutralitätsgesetz verbietet religiöse Symbole in der Justiz. Für den Alltag in Oberhausens Gerichten ist die Auswirkung bisher überschaubar.

Ob Kopftuch, Kreuz-Halskette, Shirt mit Nationalflagge oder Partei-Anstecker: Symbole, die auf religiöse, weltanschauliche oder politische Voreingenommenheit schließen lassen könnten, wurden mit dem Neutralitätsgesetz aus den Beschäftigenkreisen der NRW-Justiz verbannt. Seit Inkrafttreten des Gesetzes Anfang März 2021 darf kein Richter, kein Staatsanwalt, auch kein Schöffe, JVA-Mitarbeiter oder Rechtsreferendar über sein äußeres Erscheinungsbild im Arbeitsalltag „den Anschein von Voreingenommenheit erwecken“, wie es NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) formuliert. Aber: Hat das Gesetz für den Alltag der Gerichte in Oberhausen überhaupt eine Bedeutung?

Amtsgericht und Arbeitsgericht: Wenig Bedeutung für den Alltag

Auf die Frage, ob es seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes einen Vorfall im Amtsgericht Oberhausen gegeben hat, bei dem einer Beschäftigten etwa das Tragen eines Kopftuchs untersagt werden musste, gibt Sprecherin und Vize-Direktorin Christine Wecker eine eindeutige Antwort. „Nein, hier hat es keinen Fall gegeben.“ Auch aus den letzten sieben bis acht Jahren, also lange vor dem Neutralitätsgesetz, sei keine Situation bekannt, bei der jemand etwa durch religiös konnotierte Kleidung aufgefallen sei. Die Relevanz der verschärften Regelung sei daher für das alltägliche Geschehen im Amtsgericht eher gering anzusehen.

Lesen Sie hier: Trifft die Pandemie Migranten in Oberhausen am härtesten?

Ähnliches berichtet man beim Oberhausener Arbeitsgericht. „Wir haben keine Vorkommnisse gehabt, bei denen wir eine mögliche Symbolik beanstanden mussten oder Beschäftigte darauf ansprechen mussten“, sagt Richterin Annegret Hennemann, Sprecherin des Arbeitsgerichts. Auch unter ehrenamtlichen Richtern habe es bislang keinen Fall gegeben.

Sonja Bongers (SPD): Gesetz ist vor allem Symbolpolitik

Sonja Bongers, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag, sieht sich durch die Schilderungen aus den Oberhausener Gerichten in ihrer Kritik bestätigt. Für die Oberhausener SPD-Fraktionschefin ist das Gesetz vor allem Symbolpolitik. „Es hat bis jetzt keine Relevanz für den Justizalltag“, sagt sie. Dies hätten bereits Stellungnahmen von Richtern während der Beratungen zum Gesetz deutlich gemacht.

SPD enthielt sich, Grüne waren dagegen

Während sich die SPD enthielt, stimmten die Grünen im März gegen das sogenannte „Gesetz zur Stärkung religiöser und weltanschaulicher Neutralität der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen“.

Die Landesregierung wartete beim Gesetzgebungsverfahren zunächst auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dort erlaubte man in einer Entscheidung 2020 das Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen. Die Religionsfreiheit dürfe der Staat in Justizfragen, anders als etwa in Schulen, einschränken, hieß es.

Wilhelm Hausmann (CDU) betont, das Gesetz greife nicht bei Kreuzen, die in Gerichtssälen hängen. Diese seien ein Verweis auf die die kulturelle und geschichtliche Prägung Deutschlands.

Zwar sei sie grundsätzlich für größtmögliche Neutralität in der Justiz, aber: „Die Diskussion ist außer Rand und Band geraten, weil die schwarz-gelbe Koalition unbedingt ein eigenes Gesetz machen wollte.“ Bongers Ansicht nach hätte es auch gereicht, die Neutralitätspflicht im bestehenden Justizgesetz zu ergänzen – weniger Mühe, weniger Aufschrei.

Denn das Gesetz war Gegenstand zahlreicher kontroverser Diskussionen im Landtag, seit es 2018 von der CDU initiiert wurde. Durch den Vorwurf, die verschärften Regelungen würden in der Praxis eigentlich nur Kopftuch tragende Frauen betreffen, haftete sich das Etikett des „Kopftuchverbots“ an das Vorhaben. Vor allem die Grünen im Landtag protestierten. Für gläubige Muslima oder Juden, die eine Kippa tragen, bedeute das Gesetz faktisch ein Berufsverbot, argumentierte die Fraktion.

Wilhelm Hausmann (CDU): Gesetz unterbindet AfD-Demagogie

Die Kritik, mit dem Gesetz ausgrenzende Politik zu betreiben, lässt der Landtagsabgeordnete Wilhelm Hausmann, Chef der Oberhausener CDU, bis heute nicht auf sich sitzen. Vielmehr habe man „Demagogie seitens der AfD einen Riegel vorgeschoben“. Bei der rechten Partei bemühe man sich, einzelne Beispiele, etwa von islamisch geprägter Kleidung in Behörden oder Gerichten, „wie den Teufel an die Wand zu malen“. Durch das Neutralitätsgesetz verhindere man, dass es überhaupt zum Missbrauch solcher Einzelfälle komme.

• Lesen Sie hier: Oberhausener Brandstifter muss in die Psychiatrie.

Dass es in Oberhausen bislang keine Fälle gegeben hat, bei dem das Neutralitätsgesetz greifen musste, überrascht Hausmann nicht. „Ich hatte stets den Eindruck, dass die hiesigen Amtsleiter ohnehin verantwortungsvoll mit dem Thema umgehen.“ Seine Partei hätten jedoch aus verschiedensten Städten in NRW regelmäßig einzelne Hinweise erreicht, bei denen sich über symbolische Kleidung von Mitarbeitern beschwert wurde. „Man kann das nicht an einer Stadt festmachen.“ Für den Fall der Fälle habe jetzt jeder Bereich der Justiz eine eindeutige Regelung. „Das sorgt für Klarheit und ein besseres Gefühl bei den Amtsleitern.“