Oberhausen. Im Ramadan verzichten Muslime auf Essen und Getränke von Sonnenauf- bis untergang – doch Corona verlangt auch in Oberhausen weitere Opfer.
Es ist gerade Ramadan, der Fastenmonat der Muslime, auch für viele Oberhausener eine besondere Zeit im Jahr, die sie wegen Corona zum zweiten Mal in Folge nicht so zelebrieren können wie gewohnt. Tagsüber dem Essen und Trinken widerstehen, beten und gute Taten verrichten, am Abend im großen Kreise mit Familie und Freunden das Fasten brechen – dieser Rhythmus hilft den Muslimen durch 30 Tage, in denen sie zu spüren versuchen, was Verzicht bedeutet. Coronakonform ist zumindest der eine Teil davon freilich nicht. Und so müssen sie sich auch in weiteren Entbehrungen üben.
„Dies ist eine weitere Prüfung Gottes für uns Menschen“, sagt Gönül Gören. Die 53-Jährige betreibt mit ihrem Mann die Metzgerei Aydan an der Marktstraße. Im Alter von sieben Jahren kam sie mit ihrer Familie aus der Türkei nach Deutschland, die beiden Kinder sind schon erwachsen. „Religion ist mein Halt im Leben“, sagt Gören. Das Fasten im Ramadan gehört ganz selbstverständlich für sie dazu, das hat sie auch an ihren Sohn und ihre Tochter weitergegeben. Die machen seit ihrem zwölften Lebensjahr mit. Und haben immer geholfen, das Fastenbrechen mit Freunden vorzubereiten. Diese Einladungen hat sich Gönül Gören zumindest an den Wochenenden sonst auch nie nehmen lassen, auch wenn sie durch ihre Selbstständigkeit stark eingebunden ist. Bis zu 15 Personen kamen dann oft zusammen. Sie allein hat schon vier Geschwister und alle haben Kinder.
Kein Verständnis für Menschen, die sich nicht an die Corona-Regeln halten
Doch nun, wo alles anders ist, will sie nicht jammern. „Wir essen alleine am Abend, nur mit unseren Kindern“, sagt sie. Dafür telefoniere sie jetzt mehr mit Freunden und Verwandten. „Es wäre schöner, wenn das Virus nicht da wäre“, sagt Gören, „doch es ist nun mal da und wir müssen das jetzt so meistern, dass wir gut damit leben können“. Für sie bedeute dies, alle Regeln zu befolgen, niemanden in Gefahr zu bringen. Das würden nicht alle ihrer Kunden so sehen. „Es kommen immer wieder Leute ohne Maske rein und sagen, sie wollten doch nur mal schauen.“ Gönül Gören hat kein Verständnis mehr für dieses Verhalten. „Ich werde da manchmal krass unfreundlich.“ Für sie sei klar: „Ich lebe nicht alleine auf dieser Welt.“ Abstand halten, Maske tragen – nicht nur im Ramadan ein Zeichen von Nächstenliebe für die religiöse Geschäftsfrau.
Besonders voll sind - in Nicht-Pandemie-Zeiten – die Moscheen im Monat Ramadan. Es gibt große Festmahle am Abend, zu denen auch regelmäßig Vertreter aus der Politik und anderen Glaubensrichtungen eingeladen werden. Tagsüber wird aus dem Koran rezitiert. Wer kann, geht hin und lauscht dem arabischen Singsang der Suren. Am Abend wird das Tarāwīh gebetet, ein ritueller Bestandteil des Fastenmonats. Doch zurzeit herrscht fast überall gähnende Leere. Die Osterfelder Ulu Camii, eine Moschee im türkischen Dachverband Ditib, ist zurzeit sogar gänzlich geschlossen. „Es gab einige Corona-Fälle in der Gemeinde“, berichtet der Vorsitzende Şener Doğan. Ohnehin seien in letzter Zeit nie mehr als sechs bis sieben Gläubige zum Gebet gekommen. „Die Menschen haben große Angst“, sagt er über die 160 Mitglieder des Moscheevereins.
Drei Geschwister, sechs Nichten und Neffen – zu viele, um sich jetzt zu treffen
Auch Habibe Demirci vermisst das Fastenbrechen in großer Runde. Was die 44-Jährige besonders schmerzt: Selbst mit den eigenen Geschwistern, ihren nächsten Familienmitgliedern, kann sie nicht zusammenkommen. Bei zwei Brüdern und einer Schwester mit insgesamt sechs Kindern wären sie einfach viel zu viele. Das kommt für die Diplom-Pädagogin, die Mitglied des Oberhausener Integrationsrates ist, in dieser Zeit nicht infrage. Sie will sich auf jeden Fall an alle Corona-Regeln halten, auch wenn dies bedeutet, auf die besonderen Ramadan-Gebete in der Moschee zu verzichten und am Abend nur als Kleinstfamilie mit ihren Söhnen das Fasten zu brechen.
„Sonst lade ich immer gerne viele Gäste im Ramadan ein, zwei bis drei Mal pro Woche. Ich bekoche gerne andere“, erzählt sie. Zusammen mit ihren Geschwistern habe sie auch schon Essen für bis zu 150 Menschen in ihrer Moscheegemeinde gespendet. Dort kommen dann Nachbarn und Bewohner aus der nahe gelegenen Flüchtlingsunterkunft zusammen. Ein ungezwungenes Kennenlernen und Austauschen im Stadtteil, das jetzt zum zweiten Mal in Folge ausfallen muss.
Zur Belohnung gibt es Süßes
Der Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. In ihm wurde nach islamischer Auffassung der Koran herabgesandt. Er dauert 30 Tage und gehört neben dem Glaubensbekenntnis, den täglichen Gebeten, der Wohltätigkeit für Bedürftige und der Pilgerfahrt nach Mekka zu den fünf Säulen des Islams.
Nach der Fastenzeit wird das dreitägige Ramadan-Fest (13. - 15. Mai 2021) gefeiert, auch Zuckerfest genannt. Es gehört neben dem Opferfest zu den wichtigsten Feiertagen der Muslime. Neben dem Moscheebesuch mit Festgebet gehört auch der Besuch der Eltern oder Großeltern dazu. Das Fest wird mit den Verwandten gefeiert. Vor allem Kinder erhalten Geschenke, Geld und Süßigkeiten.
Den Rückzug aus Angst vor dem Virus stellt Habibe Demirci nicht nur in ihrer eigenen Familie fest, auch beruflich hat sie viele Kontakte zu Familien mit Migrationshintergrund, insbesondere sozial schwachen. „Das Emotionale, die Verbundenheit ist sehr stark. Trotzdem ziehen sie sich zurück, treffen sich nicht mehr.“ Am schlimmsten seien die Begräbnisse, an denen nicht so viele Gäste wie sonst üblich teilnehmen können und nach denen die Trauer oft nur im engsten Familienkreis verarbeitet werden muss – komplett gegensätzlich zu allem, was kulturell gelernt wurde. „Der Wunsch ist da“, sagt Habibe Demirci. Doch die Angst vor dem Virus sei es eben auch.