Oberhausen. Er studiert Englisch und Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen – und jetzt ist dem Oberhausener Studenten der Kragen geplatzt.
Der 25-jährige Oberhausener Lehramtsstudent (Englisch, Sozialwissenschaften) Tim Tzscheppan hat trotz seines jungen Lebensalters schon einige politische Erfahrung gesammelt: Seit Oktober des vergangenen Jahres ist er nach einer zweijährigen Unterbrechung bereits zum zweiten Mal zum Vorsitzenden der Oberhausener Jungsozialisten, der SPD-Nachwuchsorganisation, gewählt worden. Er war bereits Wahlkampfassistent der Ruhr-SPD und kümmert sich seit einigen Monaten um die Öffentlichkeitsarbeit der SPD im Ruhrparlament.
Deshalb ahnt der Elsa-Brändström-Abiturient durchaus, dass der Soziologe Max Weber treffend formulierte: „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern“. Doch jetzt ist Tim Tzscheppan aus eigenem Erleben der täglichen Realität an der Universität Duisburg-Essen der Kragen geplatzt – und hat ausdrücklich als Privatmann und Student, also nicht als Juso-Vorsitzender, einen Wutbrief an die Politiker geschrieben, unabhängig davon, welcher Partei sie angehören.
Politiker kümmern sich nicht um den Kern der Corona-Probleme
Sein schwerer Vorwurf: In der seit über einem Jahr laufenden Corona-Pandemie kümmern sich die verantwortlichen Politiker nicht um den Kern der durch die Corona-Krise verursachten Probleme an den Hochschulen und mögliche Lösungen, sondern sorgen sich nur ein bisschen ums Rankwerk eines Studentenlebens, um die fehlenden Partys und Kneipenabende. Hier dokumentieren wir Auszüge aus dem Schreiben des Privatmannes Tim Tzscheppan:
„Liebe Politiker:innen egal welcher Partei! Es ist ja sehr nett, dass ihr es schade findet, dass wir Student:innen dieses Semester nicht auf Fachschaftsparties können, dass wir nicht in Seminarräumen sitzen können oder auf der Campuswiese über die Vorlesung der Profs lästern können. Glaubt ihr wirklich, dass das die Probleme sind, die wir Student:innen im Moment haben? Inzwischen fängt das dritte digitale Semester an und wir haben exakt dieselben Probleme wie im letzten Jahr.
Warum wird seit einem Jahr keine Perspektive für Studierende geschaffen? Warum gibt es immer noch Professor:innen, die ihrem Lehrauftrag nicht nachkommen, weil die Medienkompetenz fehlt? Warum wird nicht über die digitale Infrastruktur an Universitäten gesprochen? Warum erarbeiten die Universitäten, Fakultäten, Institute und Fachschaftsräte Lösungen für Probleme, die Kabinette, Ministerien und Parlamente klären sollten? Warum gibt es immer noch keine zufriedenstellende Lösung für die Kommiliton:innen, die durch die Pandemie ihren Nebenjob verloren haben und nun vor der Frage stehen, wie sie ihr Leben und ihr Studium finanzieren sollen? Ihr meint doch nicht ernsthaft, dass ein nicht angerechnetes Semester beim Bafög-Amt die Lösung ist?
Tzscheppan: Pandemie wird das Studium vieler verlängern
Ist euch nicht klar, dass diese Pandemie das Studium vieler verlängern wird? Angefangen von Praktika, die nicht richtig oder sinnvoll stattfinden können, über weniger Kursangebote, über komplett ausfallende Veranstaltungen, über Studierende, deren technische Ausstattung für Home-Uni suboptimal ist, die sich vielleicht ein Gerät mit (kleineren) Geschwistern teilen müssen. Ihr glaubt doch nicht, dass ein Bürokratiemonster, wie Überbrückungshilfen bei den Studierendenwerken, hilft? Was viele meiner Kommiliton:innen brauchen sind schnelle und unkomplizierte Hilfen.
Belastend ist, dass uns die Perspektive fehlt. Denn während ihr darüber debattiert, ob ihr nicht vorhandene Freizeit-Aktivitäten einstellen wollt oder welcher egozentrische Mann mit Machtbedürfnis demnächst ins Kanzleramt ziehen will, vergesst ihr, dass in den Unis Menschen studieren und arbeiten, die Lösungen brauchen.
Wie organisieren wir ein digitales Semester, in dem vergleichbare Prüfungen durchgeführt werden können? Wie organisieren wir eine digitale Infrastruktur, die den Namen auch verdient? Wie organisieren wir unkomplizierte finanzielle Hilfen für Student:innen, deren Studium bedroht ist? Wie organisieren wir gute und anonyme Hilfe für Studierende, denen Lockdown und Existenzsorgen an die mentale Gesundheit geht? Wie unterstützen wir Dozent:innen in der Medienkompetenz?
Was für Probleme hat die Pandemie aufgeworfen, die nachhaltig gelöst werden müssen? Wie sorgen wir dafür, dass, wie bei den Abschlussklassen an den Schulen oder den Ausbildungsstätten, keine Abschlussgeneration Corona entsteht? Ich könnte die Liste ewig fortsetzen.
Also bevor ihr euch lächelnd im Hörsaal ablichten lasst und anschließend darüber sprecht, wie schade es ist, dass wir Student:innen da im Moment nicht reinkönnen, löst bitte die Probleme, die euer verdammter Job sind. Vielen Dank, Tim Tzscheppan“