Oberhausen. Erzieher im Heim können nicht ins Homeoffice gehen – und die Kinder nicht nach Hause. Über einen Beruf mit großer Verantwortung in Corona-Zeiten.
Viel ist in diesen Tagen zurecht die Rede von Lehrern und Erzieherinnen, die in Schulen und Kindergärten unter erschwerten Corona-Bedingungen und mit einem persönlichen Gesundheitsrisiko ihrer Arbeit nachgehen. Für Kinder und Jugendliche im Einsatz ist aber auch eine zahlenmäßig nicht ganz so große Berufsgruppe: Erzieher, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter in Heimen und Wohngruppen der Erziehungshilfe. Die Betreuer, denen wenig Aufmerksamkeit von Seiten der Öffentlichkeit zuteil wird, sind an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr für Kinder und Jugendliche da, die aus verschiedenen Gründen (Gewalt, Vernachlässigung, Missbrauch, Beziehungsabbrüche) nicht in ihrer eigentlichen Familie leben können.
>>>Sie wollen keine Nachrichten aus Oberhausen verpassen? Dann können Sie hier unseren abendlichen Newsletter abonnieren: So abonnieren Sie den kostenlosen Oberhausen-Newsletter.<<<
Diesen zumeist Sechs- bis 18-Jährigen ein Zuhause zu bieten, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, findet Harald Schwab, Einrichtungsleiter bei der Evangelischen Jugendhilfe, einem Träger von Heimen und Wohngruppen in Oberhausen. Der 65-Jährige ist zugleich Sprecher der Oberhausener Facharbeitsgruppe „Hilfen zur Erziehung“ – und als solcher meldet er sich für seine Kollegen (auch für die in den Einrichtungen anderer Träger) zu Wort und fordert mehr Aufmerksamkeit. „Ein wenig mehr Wahrnehmung und Wertschätzung durch Politik und Öffentlichkeit ist auch diesen Fachkräften unbedingt zu wünschen“, schreibt Schwab in einer Resolution, die die Facharbeitsgruppe verabschiedet und dem Oberhausener Jugendhilfeausschuss zugeleitet hat.
Die Erzieher und Sozialpädagogen „kennen kein Home-Office und können auch ‘ihre’ Kinder und Jugendlichen nicht einfach nach Hause schicken“, so Harald Schwab in einem Schreiben an die Redaktion. „Im Gegenteil waren und sind die hier Tätigen während einer Schulschließung, beim Ausfall von Sport- und Freizeitangeboten, bei Quarantäneanordnung in besonderem Maße gefordert und übernehmen quasi die Ausfallbürgschaft für andere Berufsgruppen.“ Die Mitarbeiter in den Wohngruppen dürften „bis zu neun junge Menschen bei guter Stimmung halten, von den notwendigen Schutzmaßnahmen überzeugen und deren Einhaltung soweit es geht kontrollieren, ausfallenden Unterricht ersetzen, den Alltag anregend gestalten und nebenbei noch einen riesigen Haushalt führen“. Schwab, der im Mai nächsten Jahres in Rente geht, erinnert daran: „Auch bei uns arbeiten Menschen mit Vorerkrankungen und Risikobelastung, aber wir sind in der Pflicht, das Betreuungssystem aufrecht zu halten, weil die hier lebenden Kinder und Jugendlichen – oft genug bisher nicht vom Leben verwöhnt – ein sicheres und fürsorgliches Zuhause behalten sollen und es schlicht keine Alternative gibt.“
Wie ein Raubtierdompteur
Um deutlich zu machen, was der Alltag in diesem Arbeitsfeld unter Corona-Bedingungen bedeutet, schildert Harald Schwab eine Beispiel-Situation: „Aufgrund einer Covid-19-Erkrankung einer Mitarbeiterin wurde häusliche Quarantäne für vier weitere KollegInnen angeordnet. Der einzige Kollege, der wegen Urlaubs ohne Kontakt zur erkrankten Person war, übernahm dann während der Quarantänephase für sechs Tage allein die Verantwortung für seine Wohngruppe mit neun hier lebenden Kindern zwischen acht und vierzehn Jahren. Es gab keine Schule, die Kinder durften das Haus nicht verlassen, Besuche waren nicht zulässig, dafür mussten alle zweimal täglich Fiebermessen und für alle musste ein ‘Symptombuch’ geführt werden. Ach ja, gekocht, gewaschen, geputzt musste auch noch werden.“ Die Stimmung sei unter diesen Bedingungen nicht einfach: „Ein wenig Raubtierdompteur muss man da auch schon sein“, beschreibt Harald Schwab mit Humor. „Dazu kam natürlich, dass der betroffene Kollege sich für den kompletten Zeitraum von seiner eigenen Familie – Frau und kleines Kind – verabschieden durfte.“
Personellen Puffer geschaffen
In Oberhausen gibt es drei Träger, die Heime und Wohngruppen für Kinder und Jugendliche betreiben: die Evangelische Jugendhilfe, das Gerhard Tersteegen Institut (GTI) und das Gertrud-Zillich-Haus in Trägerschaft der Diakonie. Rund 300 Kinder und Jugendliche leben nach Angaben von Harald Schwab in den Einrichtungen, rund 180 Mitarbeiter seien über alle Träger in diesen stationären Gruppen beschäftigt.
In der Resolution der Facharbeitsgruppe heißt es, dass es für den Bereich der erzieherischen Hilfen bisher in der Corona-Pandemie „keine klaren Erlasse und auch wenig strukturierte Unterstützung“ gab. „Weitgehend mussten die hier tätigen Einrichtungen und Träger eigene Lösungen entwickeln und ohne organisatorische und finanzielle Hilfe auskommen.“
So habe die Evangelische Jugendhilfe 14 neue Mitarbeiter über den Stellenschlüssel hinaus eingestellt, um in Corona-Notsituationen einen personellen Puffer zu haben. „Das ist noch nicht refinanziert“, so Schwab und setzt auf Gespräche mit der Stadt über einen Ausgleich.
Gesundheitsamt soll genauer hinschauen
Angesichts solcher Umstände fordern Schwab und seine Kollegen vom Gesundheitsamt, „genauer hinzuschauen“. Die Wohngruppen seien eine häusliche Gemeinschaft, wenn also Mitarbeiter fit seien und keine Symptome zeigten, könnte doch das Instrument der „Ambulanten Quarantäne“ angewendet werden: Dann könnten die Fachkräfte zwischen ihrem Zuhause und der Arbeitsstätte pendeln (natürlich ohne andere Außenkontakte), um eine Situation wie oben beschrieben zu vermeiden. Denn auch wenn am Ende im angesprochenen Fall alles gut gelaufen sei (alle angeordneten Tests blieben negativ und auch die erkrankte Mitarbeiterin kam schnell wieder auf die Beine) bleibe das Gefühl, „Entscheidungen ausgeliefert zu sein, deren Konsequenzen den handelnden Stellen nicht bekannt und klar sind“.
Maske und Abstand widersprechen Nähe und Trost
Harald Schwab und seine Kollegen machen zudem in der Resolution auf den Widerspruch zwischen dem Corona-Abstand und dem Anspruch, den Kindern ein Zuhause zu bieten, aufmerksam. „Ohne Geborgenheit und intensives Beziehungsangebot kann solch ein sicherer Ort nicht entstehen. Zur pädagogischen Interaktion gehört deshalb immer auch die Nähe, der Trost durch in den Arm nehmen und Distanzabbau. Abstand halten und Maske tragen passen nicht dazu.“ Unter anderem deshalb lebten die Betreuer in einem ständigen Spagat und unter besonderen Risiken „denen sie standhalten müssen, um die Bindung zu den Kindern und Jugendlichen aufrecht zu halten“.