Oberhausen. Sophia Hankings-Evans ist von Berlins Jugendtheater in das Ensemble des Oberhausener Theaters gewechselt. Sie will als Peter Pan abheben.
Auf dem Plakat schwebt sie mit ausgebreiteten Armen über dem erleuchteten Theater . Tatsächlich sei sie als Peter Pan , sagt Sophia Hankings-Evans mit ganz leichtem Bedauern, bisher nur wie Filmschauspieler vor einem „Green Screen“ abgehoben – und zwar vom Trampolin: „Ins Fluggeschirr habe ich es noch nicht geschafft.“
Mit der Hauptrolle für die von Intendant Florian Fiedler inszenierte große Familienproduktion dieser Spielzeit stellt sich – nach Agnes Lampkin und Shari Asha Crosson – eine weitere „Person of Colour“ als Neuzugang des Ensembles vor. Den so überaus britisch klingenden Namen Hankings-Evans brachte ihr Vater aus Ghana mit nach Stuttgart, wo die junge Sophia mit vier Schwestern aufgewachsen ist – und wo sie die Ältere um deren Theater-AG am Gymnasium beneidete: „Ich wusste noch nichts vom Jugendclub des Schauspiels, aber in der elften Klasse wurde es endlich wahr.“
Sophia Hankings-Evans debütierte gleich eindrucksvoll mit einer dominanten Vaterrolle in Eugene Ionescos „Jakob oder Der Gehorsam“ . Sie erinnert sich an den großen Spaß dieses Anfangs: „Später kam erst das Erwachen, als ich erkannte, dass diese Rollen nicht für mich vorgesehen sind.“ Jedenfalls nicht in einer traditionellen Auffassung von Schauspiel. Dabei habe sie sich bereits als Schülerin „oft in Männerrollen ‘reingeträumt“. Heute sehne sie sich nach „weiblichen, zeitgemäßen Formen für die Bühne“.
„Wendy wünscht sich Superkräfte“
Nach dem Abitur entschied sich Sophia Hankings-Evans zunächst für ein Jahr Freiwilligendienst in Argentinien, auch um für sich zu erkennen: Soll das Schauspielen wirklich zum Beruf werden – ehe sie schließlich das Studium in Ludwigsburg („direkt bei meiner Familie“) aufnahm. Mit „Peter Pan“ verbindet sie übrigens eine ganz frühe Berufserfahrung, wenn auch keine durchweg glückliche: Sie spielte fürs Rendsburger Wintermärchen des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters drei Monate die Wendy, die in J. M. Barries Erzählung vor allem bewundernd zum fliegenden Helden von Nimmerland aufblicken darf.
„Wendy wünscht sich Superkräfte“, sagte Sophia Hankings-Evans damals. Und bekam von ihrer Regisseurin zur Antwort: „Wendy wünscht sich allenfalls ein Bügeleisen.“
Besungen von Kate Bush und Taylor Swift
In der Geschichte der Popmusik ist Peter Pan ein Wiedergänger in den verschiedensten Genres: Die sehr junge Kate Bush begab sich auf ihrem zweiten Album „Lionheart“ – einer Verklärung des romantischen alten England – „In Search of Peter Pan“. Ganz aktuell besingt Taylor Swift im Song „Cardigan“ eine Liaison in erlesenen Peter-Pan-Metaphern. Und Jim Steinman, der Komponist von „Bat out of Hell“, behauptete sogar, sein gesamtes Schaffen kreise um den Jungen, der nie erwachsen werden will.
Für Florian Fiedlers Inszenierung gilt zunächst: Das Team arbeitet nach dem theaterüblich durchgetakteten Zeitplan auf eine Premiere am 11. Dezember hin – wohl wissend, dass dieser Termin nicht zu halten ist. „Sobald wir dürfen“, sagt Pressesprecherin Monika Madert, „spielen wir“.
Künstler und Kunst „unter ganz anderen Umständen“, wie die Neue im Oberhausener Ensemble sagt, erlebte sie bei einem weiteren Aufenthalt in Lateinamerika: Diesmal besuchte sie ihre Schwester, die in Ecuador Freiwilligendienst leistete. „Für mich war es die wichtigste Zeit nach dem Studium“, sagt Sophia Hankings-Evans in der Rückschau: Diese Reise habe sie von dem Druck befreit, jetzt schnell beruflich durchstarten zu müssen, „davon leben zu müssen“.
Die Absolventin der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg lebte zunächst als Freiberuflerin in der liebsten Wahlheimat junger Schwaben: in Berlin. Die beiden letzten Spielzeiten zählte Sophia Hankings-Evans dann zum Ensemble des Theaters an der Parkaue in Berlin-Lichtenberg, einem der großen deutschen Staatstheater für junges Publikum – und quasi das östliche Pendant zum Grips-Theater im Hansaviertel.
„Ich bin hier nicht alleine“
An der Parkaue war sie „die einzige schwarze Schauspielerin“. So wie Sophia Hankings-Evans das sagt, macht sie schon deutlich: Es war keine allzu gute Erfahrung. Dagegen ist das Theater Oberhausen inzwischen viel multikultureller als die Hauptstadt-Bühne. „Soviel Druck fällt weg“, sagt die Neue: „Ich bin hier nicht alleine“. Da empfand sie auch das Kennenlernen innerhalb des mit gleich acht Neuzugängen verwandelten Ensembles selbst unter Corona-Bedingungen nicht als Hürde. „Man muss die Nähe über andere Wege finden“ – das gelte gerade für die Probenarbeit mit Abstandsgebot . „Wie kann man sich berühren ohne sich zu berühren?“
Sophia Hankings-Evans sollte auch das gelingen. Man darf ja wohl dem Zeugnis glauben, das ihre Schwestern so pointiert für sie formulierten: „Sophia verwandelt sich in jeden Mann in Berlin.“ Und sicher genauso überzeugend in den fliegenden Jungen aus Nimmerland.