Oberhausen. Die Dunkelziffer ist groß: Auch in Oberhausen ist es Loverboys gelungen, Mädchen für sich auf den Strich zu schicken. Eine Kampagne klärt auf.

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Achtung Loverboy-Falle: Die Online-Kampagne des Oberhausener Arbeitskreises Gewalt startet am 25. November zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen , um auf diese unterschätzte Masche aufmerksam zu machen. Ein Fall hat sich erst kürzlich in Oberhausen ereignet – die Dunkelziffer ist gewaltig.

Eine Schülerin aus Oberhausen wurde Opfer eines Loverboys. Wer auf die offiziellen Zahlen blickt, glaubt vielleicht noch an ein Randphänomen. So sagt etwa der Oberhausener Polizeisprecher Tom Litges: „Es hat in unserer Stadt keine weiteren angezeigten Taten dieser Art gegeben.“ Das Bundeskriminalamt (BKA) listet für ganz Deutschland unter dem Punkt „sexuelle Ausbeutung“ 430 Fälle auf , doch auch davon können lediglich 72 Betroffene der sogenannten „Loverboy-Methode“ zugerechnet werden. Im gleichen Bericht weist aber auch das BKA bereits darauf hin: „Nur wenige Frauen zeigen die Täter überhaupt an.“

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„Die Dunkelziffer ist enorm“, betont Petra Jochheim von Solwodi. Die Fachberatungsstelle kümmert sich unter anderem um die Prostituierten des Rotlichtviertels an der Flaßhofstraße. Jochheim selbst hat Kontakt zu Frauen, die auf die Loverboy-Methode hereingefallen sind und auf den Strich gehen. „Die Täter haben einen Blick dafür, welche Mädchen sie ködern können.“ Sie treiben sich gezielt auf Schulhöfen und in Jugendtreffs herum, inzwischen aber auch verstärkt im Internet.

Mädchen mit geringem Selbstwertgefühl sind die bevorzugten Opfer

Ihre bevorzugten Opfer: „Mädchen mit geringem Selbstwertgefühl, mit Schwierigkeiten in der Schule, in der Familie.“ Intelligente junge Frauen sind darunter, Abiturientinnen, Auszubildende. Die Täter sind meist jung, skrupellos und sie lassen sich Zeit. „Sie sind zunächst einfühlsam, verständnisvoll, achten darauf, dass die Mädchen weiter zur Schule oder zur Arbeit gehen, sie wollen ja nicht zu früh auffliegen.“ Sie fahren dicke Autos, machen tolle Geschenke. Erst muss das Vertrauen da sein, damit sich emotionale Abhängigkeit entwickeln kann. „Der Angelpunkt ist die vorgetäuschte große Liebe, die in diesen jungen Frauen fatalerweise alle Leerstellen füllt – sie fühlen sich plötzlich angenommen, hübsch, begehrenswert.“

Petra Jochheim ist Anwältin in Essen-Werden und Streetworkerin für den Prostituierten-Hilfsverein Solwodi in Oberhausen.
Petra Jochheim ist Anwältin in Essen-Werden und Streetworkerin für den Prostituierten-Hilfsverein Solwodi in Oberhausen. © HO | Jochheim

Hat er erreicht, dass sie an ihn glaubt, kippt das Ganze. Erst dann beginnt die schrittweise Isolierung von Freunden und Familie. Bis er ihr plötzlich „anvertraut“, dass er erdrückende Schulden hat, „und nur sie ihm helfen kann“. Oder dass nur sie dafür sorgen kann, dass genug Geld für das geplante gemeinsame Leben zusammen kommt. „Die Zukunft bleibt immer rosig, selbst wenn die Frauen schon auf den Strich gehen.“ Deshalb gehen die Frauen auch fast nie zur Polizei. „Die meisten nehmen sich nicht einmal als Opfer wahr“, weiß Jochheim. Eine Prostituierte habe sich den Namen ihres Zuhälters als Liebesbeweis sogar ins Dekolleté tätowieren lassen. Die Fachberaterin befürchtet: „Sie wird nie von ihm loskommen.“

Pädagogen, Sozialarbeiter und Jugendbetreuer mit ins Boot holen

Aus diesem Grund aber ist Aufklärung so enorm wichtig, sagt auch Maren Heutger von der Oberhausener Gleichstellungsstelle. Und genau dies ist das Ziel der Online-Kampagne. „Wir wollen Öffentlichkeit herstellen, uns vor allem an Pädagogen, Sozialarbeiter, Jugendbetreuer wenden.“

Seit 2001 beteiligt sich die Gleichstellungsstelle der Stadt an dem durch Terre des Femmes ausgerufenen Internationalen Gedenktag gegen Gewalt an Frauen, ruft unter anderem jährlich am 25. November zu einer entsprechenden Beflaggung im Stadtgebiet auf. Auch in diesem Jahr wehen wieder an über 30 Organisationen in Oberhausen die Flaggen „Frei Leben ohne Gewalt“. Erstmals aber wird die Fahnenaktion nun durch eine Online-Kampagne begleitet.

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Ab Mittwoch ist die Videofolge „Loverboy-Falle – Kampagne gegen sexuelle Ausbeutung von Mädchen und jungen Frauen“ auf den Kanälen der Gleichstellungsstelle zu sehen. Interessierte erwarten fachliche Vorträge sowie Impulse für ihre Arbeit mit jungen Menschen. Am 25. November informieren Britta Costecki, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Oberhausen, und Alexander Dierselhues, Polizeipräsident der Polizei Oberhausen, über die Situation gewaltbetroffener Frauen.

Auch Gewalt in jungen Paarbeziehungen wird ein Thema sein

Am 2. Dezember erläutert Petra Jochheim die Loverboy-Methode und lädt Spiegel-Redakteurin Barbara Schmid zur Lesung „Schneewittchen und der böse König – Wie mich mein Reitlehrer manipulierte und zur Prostitution zwang und wie ich mich daraus befreite“ ein. Am 9. Dezember spricht Susanne Kaltwasser von Pro Familia Oberhausen über sexuellen Missbrauch und Marion Steffens von der Frauenberatung Ennepe-Ruhr-Kreis über Gewalt in jungen Paarbeziehungen.

Eine Broschüre für die Arbeit mit Jugendlichen

Die Online Kampagne ersetzt Corona-bedingt die angekündigte Fachveranstaltung. Die Links zu den Videos sind unter oberhausen.de/gleichstellungsstelle sowie auf dem Youtube-Account Gleichstellungsstelle Stadt Oberhausen zu finden.

Aus den Inhalten der Videos wird außerdem noch eine schriftliche Dokumentation zusammengestellt, die als Grundlage für die Arbeit mit Jugendlichen genutzt werden kann. Die Veröffentlichung erfolgt im Januar 2021 und kann bei der Gleichstellungsstelle angefordert werden. Die Maßnahme wird gefördert durch das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Am 16. Dezember gibt Anja Kurz von der Kriminalprävention der Polizei Oberhausen strafrechtliche Informationen zu Sexualstraftaten, Anzeige, Opferschutz. Suna Tanis vom Frauenhaus Oberhausen und Maren Heutger von der Gleichstellungsstelle schließen die Kampagne ab.

Und was wurde aus der anfangs erwähnten Oberhausener Schülerin? Sie hat gerade noch rechtzeitig die Kurve bekommen.

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