Oberhausen. Die einen feiern munter Partys, die anderen versuchen, ihre Corona-Patienten zu retten. Einem Intensivmediziner aus Oberhausen reicht es.
Die Intensivbetten in Oberhausen füllen sich mit Corona -Kranken. 20 Tote hat die Stadt zu beklagen. Gleichzeitig ärgern sich Mediziner vor Ort über einen immer sorgloseren Umgang mit dem Virus. Nach der ersten Welle im Frühjahr hatten Experten ermittelt, dass die Covid-19-Sterberate bei 1,37 Prozent liegt. Was also würde es für die 210.764 Oberhausener bedeuten, wenn sich niemand mehr an die Regeln hielte und sich letztlich alle ansteckten?
Die rechnerische Antwort: 2887 Oberhausener würden am Corona-Virus sterben. Bundesweit mehr als eine Million. Mindestens. Denn die Sterberate unter Vorerkrankten und alten Menschen liegt höher – 40 Prozent aller Bundesbürger gelten als Risikopatienten. In New York war im Frühjahr jeder siebte über 75-Jährige gestorben. Wie dieser Tod aussieht, das hat Privatdozent Dr. Peter Kiefer, Chefarzt der interdisziplinären Intensivstation am Evangelischen Krankenhaus Oberhausen, vor Augen.
Wer durch die Innenstadt geht, sieht es ständig – die Masken hängen mal unter der Nase, mal am Kinn. Dazu kommen ältere Menschen ohne Abstand, jüngere, die sich zur Party treffen. Was denken Sie, wenn Sie solche Bilder sehen?
Dr. Kiefer: Ich habe dafür kein Verständnis. Die jungen Menschen fühlen sich zu oft unverwundbar. Dabei kommt es immer wieder vor, dass es auch sie erwischt, die Jungen, Sportlichen, die ohne Vorerkrankung. Es gibt keine Garantien für einen milden Verlauf, für niemanden. Nicht für die 20-Jährigen, die 30- oder 50-Jährigen und schon gar nicht für die über 65-Jährigen. Auch wenn das Risiko mit dem Alter und der Vorerkrankung steigt – es kann jeden treffen.
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Was macht das Corona-Virus so gefährlich?
Bei schweren Verläufen kommt es zu einer Infektion des ganzen Körpers. Ähnliche Vorgänge kennen wir zwar von einer Sepsis, also Blutvergiftung, oder der klassischen Grippe, aber der Schweregrad ist bei Sars-CoV-2 ein anderer. Das fängt in der Lunge an, weitet sich auf Leber und Nieren aus. Auch die Durchblutung von Magen und Darm kann betroffen sein, gelegentlich das Herz, das Gehirn. Wer bei uns liegt, ist schwerst krank.
Wie erklärt sich diese heftige Reaktion?
Wir hatten bislang mit diesem Virus noch keinen Kontakt. Das bedeutet, das menschliche Immunsystem liegt völlig blank – und dann kann es eben zu diesen sehr heftigen Abwehrreaktionen kommen.
Es heißt, die Medizin hätte aus der ersten Welle im Frühjahr viel gelernt?
Ja, das haben wir. Doch eines vorweg: Es gibt bis heute kein Medikament gegen Sars-CoV-2 und bislang auch noch keine zugelassene Impfung. Aber es gelingt uns inzwischen, den Verlauf zu beeinflussen. Nicht immer, aber immer wieder.
Wie?
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Bei schweren Verläufen setzen wir frühzeitig Cortison ein, das viel mehr ist als bloß ein Medikament gegen Entzündungen. Ein früher Einsatz scheint sich bei intubationspflichtigen Patienten als Vorteil zu erweisen. In der frühen Phase der Erkrankung gilt der Einsatz von Sauerstoff und die Gabe von Remdesivir, ein antiviraler Wirkstoff, als gute Option, um den Verlauf zu mildern. Ist die Erkrankung soweit fortgeschritten, dass die Patienten ans Beatmungsgerät müssen, hilft dieses Mittel nicht mehr. Dann können wir nur noch versuchen, Nieren, Lunge, Leber zu therapieren. Rund neun Tage liegen unsere schwersten Fälle am Beatmungsgerät. Manchmal sogar bis zu vier Wochen. Das hält ein junger, gesunder Mensch zwar eher aus. Dennoch gilt für alle: Wer das schafft, muss von vorne anfangen.
Das bedeutet?
Die Motorik ist weg. Koordination und Denkleistung müssen neu angestoßen werden. Die Menschen müssen erst wieder lernen, ihren Körper einzusetzen, zum Beispiel Treppen zu steigen. Aber damit können wir umgehen, dafür gibt es Behandlungen.
Und womit können Sie nicht umgehen?
Zusatzqualifikation in Transfusionsmedizin
Auf der interdisziplinären Intensivstation des Evangelischen Krankenhauses Oberhausen werden Patienten gepflegt, die apparativ betreut werden müssen und eine Intensivüberwachung benötigen.
Chefarzt Dr. Peter Kiefer ist ausgebildeter Intensivmediziner mit zusätzlichen Qualifikationen in der Transfusionsmedizin und der Notfall- und Rettungsmedizin. Der Dozent der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ist verheiratet und Vater von vier Kindern.
Sein großes Hobby ist das Rudern. Ehrenamtlich übernimmt er die sportmedizinische Betreuung der Leistungsruderer der RRG-Mülheim-Ruhr sowie des HTC Uhlenhorst Mülheim-Ruhr.
Wir sind Profis. Wir wissen, worauf wir uns bei unserer Arbeit einlassen. Aber es fällt uns allen, Ärzten und Pflegekräften, schwer, wenn wir Patienten trotz aller Mühen verlieren. Ich erinnere mich noch gut an einen Covid-19-Patienten, der im Frühjahr auf unserer Intensivstation lag. Wir hatten ihn wieder auf die Füße bekommen. Einen Tag später sollte er zurück auf die Isolierstation verlegt werden. Dann ist er überraschend gestorben. Heute wissen wir: Er hat unvermittelt Probleme mit der Blutgerinnung und Durchblutung bekommen. Auch das ist typisch für Sars-CoV-2. Doch leider wusste das zu Beginn der Pandemie noch niemand. Inzwischen werden auf allen Intensivstationen standardmäßig Blutverdünner in hoher Konzentration eingesetzt.
Was wünschen Sie sich jetzt am meisten?
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Dass sich die Menschen an die doch einfachen Corona-Regeln halten. Natürlich kann ich verstehen, dass man seinen Alltag zurückhaben möchte und dass sich die Menschen nach Normalität und nach ihren Freunden sehnen. Aber je mehr alle anderen leichtfertig so tun, als wäre nichts, umso weniger können wir unseren Alltag auf den Intensivstationen bewältigen. Wir wünschen uns, dass uns Szenarien wie in Italien, Belgien oder New York erspart bleiben. Wer das erst versteht, wenn er selbst oder ein Familienmitglied hier liegt, hat es zu spät begriffen. Es gibt kein Zurück. Echte Wertschätzung – auch für uns als Mediziner und für unsere Pflegekräfte – wäre es, wenn die Menschen diese Krankheit so ernst nehmen, wie sie ist: todernst.