Oberhausen. In ihrer neuen Heimat ist Yana Al-Mardini eine gute Schülerin. Doch ihr Weg und der ihres Freundes Mohamad zeigt, dass Integration Hilfe braucht.

Yana und Mohamad lieben sich. In Syrien wäre ihre Liebe vielleicht ein Problem. Warum? Yana Al-Mardini (18) ist Christin, Mohamad Dakdouka (23) Muslim. Im Bürgerkriegsland ein Tabu. Beide fliehen 2015 aus Syrien und lernen sich kurze Zeit später in Oberhausen kennen. Hier sind sie einfach ein glückliches Paar – mit einem besonderen Weg.

Mohamad ist ein aufgeweckter junger Mann, der im Herbst seine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger mit dem Examen abschließt. Yana hingegen hat vor kurzem ihr Abitur mit 1,7 am Berta-von-Suttner-Gymnasium bestanden und möchte Psychologie studieren. Beide wollen bleiben, falls sie dürfen. Über ein grandioses Paar, Krieg, Corona – und engagierte Helfer.

„Trotzdem umarmen sich die Menschen“

„Corona ist nichts im Vergleich zu Krieg“, sagt Yana und Mohamad nickt so selbstverständlich, als hätte er dies ausgesprochen. Es ist Mitte Juli, die Sonne brennt und die evangelische Kirche wirft ihren Schatten in den Garten des Wunschcafés in Schmachtendorf. Das Gras ist so grün und kurz wie an Tag eins in Wimbledon und Yana erklärt mit Maske, wieso Verwandte und Freunde in Syrien Corona ignorieren. „Jeder weiß, wie gefährlich das Virus ist. Trotzdem umarmen sich die Menschen. Wenn man fast durch Bomben getötet wurde, sind Schutzmasken egal.“

Mit Yana Al-Mardini freuen sich Herta Fidelak-Beilke und Udo Voss von der Flüchtlingshilfe Oberhausen über den tollen Schulabschluss der 18-Jährigen. Mohamad Dakdouka wollte sich nicht fotografieren lassen.
Mit Yana Al-Mardini freuen sich Herta Fidelak-Beilke und Udo Voss von der Flüchtlingshilfe Oberhausen über den tollen Schulabschluss der 18-Jährigen. Mohamad Dakdouka wollte sich nicht fotografieren lassen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Erinnerungen an die Anfangszeit sind in der Kempkenstraße für die Liebenden unausweichlich. Denn nebenan in der jetzt als Kulturhaus genutzten Kirche lernen sich Yana und Mohamad kennen. Sie spielt Klavier in der Band „Combo Oriental“, während er die Bühne und die Instrumente aufbaut. Es funkt sofort. Mohamad erinnert sich jedoch ungern an die Zeit vor Yana in der Kirche. Was kein Wunder und keine Frage des Glaubens ist.

„Mein Job ist es, Menschen zu helfen“

2015 ist es voll in der Kirche: Im Schnitt leben 50 Geflüchtete auf engstem Raum. Es ist kalt in jenem Winter, die Geflüchteten haben kaum Privatsphäre und pro Person eine Pritsche – mehr nicht. Zudem sind manche Bürger verärgert vom Angebot der Kirchengemeinde an die dafür dankbare Stadtverwaltung, die händeringend Raum für mehr Menschen sucht. Es gibt Nachbarn, die die Notunterkunft kritisieren und sogar Christen, die aus der Kirche austreten.

Wie er mit Ablehnung umgeht, hat Mohamad also längst gelernt. Seinen Traumberuf Arzt kann er zwar vorerst nicht ergreifen, aber Mohamad ist niemand, der hadert, sondern jemand, der handelt. Als er die Chance auf ein Praktikum und anschließend die Ausbildung erhält, nutzt er sie. Sein Motto lautet fortan: „Mein Job ist es, Menschen zu helfen.“

„Mohamad und Yana sind zwei Leuchttürme“

Das Praktikum im St. Clemens Hospital vermittelt Udo Voss (73) von der Flüchtlingshilfe Schmachtendorf. Stets begrüßt Mohamad seinen Paten respektvoll mit „Herr Udo“. Die Freundschaft, die sich entwickelt, ist echt, denn ein saloppes „Wallah“ vom Älteren (auf Deutsch heißt das so viel wie: „Ich schwöre“) gehört mittlerweile zum Tête-à-Tête der beiden. Den Begriff „Ersatz-Papa“ will Udo Voss zwar nicht hören, aber für Mohamad ist Herr Udo „wie ein Vater.“

Viele Einsen: „In Deutschland muss ich oft analysieren und dann interpretieren“, sagt Yana Al-Mardini über ihre Schulzeit am Bertha. „Das kannte ich so nicht.“
Viele Einsen: „In Deutschland muss ich oft analysieren und dann interpretieren“, sagt Yana Al-Mardini über ihre Schulzeit am Bertha. „Das kannte ich so nicht.“ © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

„Mohamad und Yana sind zwei Leuchttürme, die brauchen uns schon lange nicht mehr“, sagt Udo Voss. Was er damit meint? Nun: Mohamad ist so verantwortungsbewusst wie kaum ein anderer 23-Jähriger. Freiwillig meidet er bereits vor der offiziellen Maskenpflicht seine Mitmenschen „um sie zu schützen“. Einzig zu Yana hält Mohamad weiter Kontakt. Sie verbringt ebenfalls fast zwei Monate zu Hause mit „Homeschooling“ bis zur Abiturprüfung. Am Ende steht eine Durchschnittsnote von 1,7 in ihrem Zeugnis. „Wir hatten zwar mehr Zeit zum Lernen“, sagt Yana, „aber auch mehr Stoff“.

Syrien 2020: „Das ist kein Frieden“

„Und ohne Frau Herta wäre es schwierig geworden“. Herta Fidelak-Beilke, 65, studierte und pensionierte Pädagogin und Mitglied bei Terre des hommes, hilft Yana und vielen anderen ehrenamtlich, wo sie nur kann. „Yana beherrscht die Rechtschreibung und Grammatik sehr gut“, sagt die ehemalige Lehrerausbilderin.

St.-Clemens-Hospital: Ameos hält Wort

Wir berichteten bereits 2018 über den jungen Syrer Mohamad Dakdouka. Damals begann er gerade die Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger, die als Modellprojekt am St.-Clemens-Hospital dienen sollte.

Das traditionsreiche Oberhausener Krankenhaus an der Wilhelmstraße hat Wort gehalten: Auch unter dem neuen Träger Ameos übernahm das Krankenhaus in den zwei nachfolgenden Stufen je einen jungen Syrer in eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger.

Die 18-Jährige sei eine kluge Arbeiterin, die Lust habe und etwas lernen wolle. Yana spricht darüber hinaus fünf Sprachen: Arabisch, Russisch, Englisch, Französisch und jetzt akkurates Deutsch. „Nur manchmal benötigt sie Hilfe, was den geschichtlichen Hintergrund betrifft. Die Kultur ist anders.“ Yana lacht herzhaft. In Syrien, sagt sie, werde eben anders gelehrt und gelernt. „Dort steht eine Frage und du gibst eine Antwort und fertig. In Deutschland muss ich oft analysieren und dann interpretieren – das kannte ich so nicht.“

Nach Syrien will das Paar nicht mehr zurück – auch wenn viele Leute von Frieden in manchen Regionen sprächen, betont Mohamad. Vielerorts müsse man Schutzgeld zahlen, keiner habe eine bezahlte Arbeit und die Menschen hungern. Syrien 2020: „Das ist kein Frieden!“