Oberhausen. Fotograf Bertrand Cavalier aus Brüssel hat eine wenig beachtete Architektur-Schönheit des Oberhausener Niederrhein Kollegs in Szene gesetzt.
Von der Straße aus ist der in Architektur-Zeitschriften als „Mini-Civitas“ gerühmte Wohncampus der Kollegschüler in Oberhausen so gut wie unsichtbar – verborgen hinter einem wuchtigen Schulbau der 1930er Jahre. Sogar der Abriss der architektonischen Pioniertat stand schon mal zur Debatte – doch zum Glück fehlte damals das Geld für Neubauten. Spät, aber nicht zu spät, erkennt man am Niederrhein Kolleg, welches Kleinod mit diesem Frühwerk der spätere Star-Architekt Oswald Matthias Ungers – damals noch keine 30 Jahre alt – an den Rand des Schladviertels gesetzt hatte: unverbauter Blick auf Felder inklusive.
Im Sommer des Vorjahres führte Regina Wittmann, Oberhausenerin und Leiterin des Baukunstarchivs NRW in Dortmund, zu einem Workshop vor Ort neben jungen Architektur- und Kunststudenten auch berufene Institutionen zusammen: das in Köln heimische „Ungers Archiv für Architekturwissenschaft“ und den Fachbereich für Baukunst an der Universität im belgischen Löwen.
Mit schwerem Gepäck von Brüssel nach Oberhausen
Schon die vom Archiv betreute „Summerschool“ sorgte für kreative Ausstellungsexponate in Fülle: von den immerhin zu erwartenden Zeichnungen und Foto-Dokumentationen des „Oberhausen Institute“ bis zu einem coolen Comic, der die Anfänge eines studentischen Lebens auf dem zweiten Bildungsweg am Kolleg um 1960 skizzierte. Dieser Ungers-Bau war 1959 vollendet worden und hieß damals noch „Institut zur Erlangung der Hochschulreife“.
Und nun hat sich, angestiftet von Lars Fischer, dem Hochschullehrer aus Löwen, ein junger Fotograf mit schwerem Gepäck auf den Weg von Brüssel nach Oberhausen gemacht: Der 31-jährige Bertrand Cavalier stammt aus dem tiefsten Süden Frankreichs, aus Tarbes im Vorland der Pyrenäen. An seinem Studienort in Brüssel findet er spektakuläre Architekturen aller Epochen vom Renaissanceprunk am Grand Place über den flamboyanten belgischen Jugendstil bis zu EU-Glaspalästen. Doch der Fotograf mit der gewichtigen Großformatkamera nahm sich vier Tage Zeit, um ein Gebäude-Ensemble von äußersten Zurückhaltung ganz genau kennenzulernen.
Gestalten mit wenigen geometrischen Grundtypen
Der spätere Metropolen-Architekt Oswald Matthias Ungers (1926 bis 2007) ist im kleinen Städtchen Mayen in der Vulkaneifel aufgewachsen – und hat in späten Jahren noch entschieden moderne Villen gestaltet, die sich überraschend in die herben Gebirgstäler fügten.
Zu den bekanntesten Ungers-Bauten zählen Galeria und Torhaus der Frankfurter Messe, der weiße Kubus der Hamburger Kunsthalle und das Wallraf-Richartz-Museum in Köln. Dort hatte Ungers bereits mit 24 Jahren 1950 sein erstes Architekturbüro begründet, dem weitere in Berlin, Frankfurt und Karlsruhe folgten.
Sein Prinzip als in Berlin, Harvard und Los Angeles lehrender Architekturtheoretiker, Bauten aus wenigen geometrischen Grundtypen zu gestalten, wie sie seit der Antike überliefert sind, galt den Ungers-Verehrern als „neue Klarheit“ – seinen Kritikern aber als „Quadratismus“.
Die Umkehrung des alten Sponti-Spruches
Der als Architekt wie als Architekturtheoretiker klingende Name Oswald Matthias Ungers (1926 bis 2007) war dem Franzosen schon geläufig. Schließlich arbeitet er seit einigen Jahren an seinem Architektur-Projekt mit dem anspielungsreichen Titel „Concrete Doesn’t Burn“ – quasi die positivistische Umkehrung des alten Sponti-Spruches „Schade, dass Beton nicht brennt“. Doch dass der Baukünstler des machtvollen Quaders der Hamburger Kunsthalle und des Torhaus-Turmes der Frankfurter Messe in Oberhausen ein bis heute kaum verändertes Frühwerk hinterlassen hatte – diesen Tipp gab ihm Lars Fischer in Löwen.
Es war zugleich ein Auftrag für Bertrand Cavalier, in der Ungers so schön entsprechenden Haltung aus Sachlichkeit und poetischer Wirkung dieses Campus-Ensemble zu fotografieren. Überrascht war der 31-Jährige vom „Konzept der zweiten Chance“ als einer deutschen Bildungs-Spezialität (neben dem inzwischen auch im übrigen Europa bekannteren Dualen System der Berufsausbildung).
Der Campus als solidarische Lern-Umgebung
Als Kurzzeit-Bewohner des Campus hatte Cavalier etliche Gespräche geführt – und schnell erkannt: Wer am Niederrhein Kolleg nicht nur lernt, sondern auch günstig wohnt (für 170 Euro monatlicher Warmmiete pro Zimmer), der verhält sich auch anders: Beeindruckt erlebte er den Campus als solidarische Lern-Umgebung. Die Sommertage in Oberhausen waren für den Fotografen so intensiv – dass er den zweiten Teil seines Ungers-Auftrags wohl erst im nächsten Jahr nachholen kann.
Denn Cavalier sollte auch noch in Köln das Archiv inklusive einer einzigartigen Sammlung von Modellen weltberühmter Bauten fotografieren: Dieses „Ungers Archiv für Architekturwissenschaft“ residiert im einstigen Wohn- und Bürohaus des Meisters der „Zweiten Moderne“.