Oberhausen. Mit dem Niederrhein Kolleg schuf der spätere Stararchitekt O. M. Ungers den Campus für eine neue Schulform – heute Thema der Ungers Summerschool.

Seine deutschlandweit bekanntesten Bauwerke prägen die Skylines von Frankfurt am Main und von Hamburg: Mit dem Messeturm am Main und der „Galerie der Gegenwart“ zwischen Binnen- und Außenalster setzte Oswald Mathias Ungers (1926 bis 2007) vor der Jahrtausendwende Merkzeichen „neuer Klarheit“. Auch Oberhausen glänzt mit einem Ungers-Bau – doch dieses Frühwerk des großen Architekten ist von der Wehrstraße aus zunächst unsichtbar.

Wer an der Haltestelle „Niederrhein Kolleg“ aussteigt, sieht sich zunächst einem dunkel-wuchtigen Schulgebäude aus den 1930er Jahren gegenüber. Es sind noch einige Schritte bis zu jenem Campus-Gefühl unter altem Baumbestand, wie es der damals noch nicht 30-jährige Baukünstler seit 1953 gestaltet hatte. Ungers’ 1959 vollendetes „Institut zur Erlangung der Hochschulreife“, wie es damals hieß, steht bis heute noch nicht einmal unter Denkmalschutz. Doch der zehn Jahre jüngere Giorgio Grassi, seit den 1990ern in Berlin hoch präsenter Stararchitekt aus Mailand, feierte diese „Mini-Civitas“ am Rande des Schladviertels ebenso enthusiastisch wie Ungers’ zur gleichen Zeit erbautes Kölner Eigenheim, den heutigen Sitz des „Ungers Archiv für Architekturwissenschaft“.

„Wunderbare Handskizzen“ im Archiv des Architekten

Es ist Anja Sieber-Albers, die stellvertretende Direktorin des Archivs, die enthusiastisch Schulleiterin Regina Zimmermann von der baukünstlerischen Bedeutung ihres Kollegs vorschwärmt: Im Kölner Archiv seien „wunderbare Handskizzen“ des seinerzeit bundesweit erst zweiten Weiterbildungskollegs erhalten. Für die jährliche „Summerschool“ des Architekturarchivs, an dem zehn ausgewählte Studenten teilnehmen können, eine klare Entscheidung: In diesem Sommer geht’s im Haus Ungers ausschließlich um das Kolleg-Ensemble aus den 1950ern – inklusive einer kleinen Ausstellung zum Abschluss des Projekts und natürlich einer Visite vor Ort.

Markanter Wandschmuck: In der Aula des Niederrhein Kollegs sind noch Souvenirs der letzten Abiturfeier drapiert. Heinz Isselhorst (im blauen Pullover) erzählt aus der Internats-Historie.
Markanter Wandschmuck: In der Aula des Niederrhein Kollegs sind noch Souvenirs der letzten Abiturfeier drapiert. Heinz Isselhorst (im blauen Pullover) erzählt aus der Internats-Historie. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Für die Führung an der Seite von Regina Wittmann, Oberhausenerin und Leiterin des Baukunstarchivs NRW, und von Lars Fischer von der Universität im belgischen Löwen war Heinz Isselhorst ein Berufener: Bis 2003 unterrichtete er selbst 34 Jahre am heutigen Niederrhein Kolleg – und 1963 hatte er dort als erwachsener „Studierender“ (wie es am Kolleg heißt) auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur gebaut. Von den einstigen Internatszeiten erzählt der Pensionär mit Sinn fürs anekdotische Detail. Archiv-Direktorin Anja Sieber-Albers appelliert sogar bewundernd: „Das müssen Sie aufschreiben; das ist Oral History!“ Denn das heute 200 bis 220 Studierende zählende Kolleg zog in seinen frühen Jahren Bewerber aus dem ganzen Bundesgebiet an – dank der zweiten Chance auf ein späteres Studium.

Zu dritt in Zimmern von 16 Quadratmetern

„Der Älteste in meiner Klasse war 39“, erinnert sich Heinz Isselhorst. Untergebracht waren die Internen damals in 16-Quadratmeter-Zimmern: zu dritt. „Drei Betten, drei Spinde, drei Bücherregale – alles auf 16 Quadratmetern.“ Und obwohl sich die Wohnräume wie kleine Eigenheime um den grünen Campus drapieren, betont Isselhorst: „Das Zusammenleben verlangte ungeheure Rücksichtnahme.“ Gefürchtet waren knallende Holzclogs auf den Steinböden der Treppenhäuser.

Wohnen und Lernen im Grünen: Die Internatsräume für heute 50 Studierende arrangierte O. M. Ungers um alten Baumbestand.
Wohnen und Lernen im Grünen: Die Internatsräume für heute 50 Studierende arrangierte O. M. Ungers um alten Baumbestand. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Obwohl heute längst Einzelzimmer wirken die Wohnheim-Räume nach wie vor spartanisch. Zug um Zug werden sie renoviert. Sogar ein Abriss des unveränderten Ungers-Originals, weiß Heinz Isselhorst, stand mal zur Debatte: Zum Glück für die Bauhistorie fehlte damals das Geld für Neues.

Eher cool lassen sich die ambitionierten Architektur-Studenten von früheren Streichen wie den im angrenzenden Maisfeld versteckten Hanfpflanzen erzählen. Ihre Kamera-Blicke bannen vielmehr die Fensterfront des naturwissenschaftlichen Lehrgebäudes: Gliederung, Farben und Proportionen entsprechen noch exakt den im Kölner Ungers-Domizil archivierten Plänen. Die zweite Generation der Fensterrahmen sei noch „originalgetreu in Holz nachgebaut worden“, berichtet Heinz Isselhorst. Die dritte folgte dann in Kunststoff. Der rührige Guide für die künftigen Baumeister weiß von einem Foucaultschen Pendel im Treppenhaus – und von Vorgärten, die sich manche Studierende vor ihren Zimmern anlegten.

Attraktion für den Tag des offenen Denkmals

Für Schulleiterin Regina Zimmermann zählt, dass Oswald Mathias Ungers’ „hoher und hehrer Anspruch“ an das eigene Bauen sehr gut korrespondiere „mit unserem Anspruch des zweiten Bildungsweges“. Und Regina Wittmann vom Baukunstarchiv sieht das Niederrhein Kolleg bereits als eine Attraktion für den kommenden Tag des offenen Denkmals. Dessen bundesweites Motto am 8. September: „Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur“.