Oberhausen. Die Oberhausener Lichtburg zeigt das patriarchalische Amerika und krönt die Schlingensief-Reihe. Im Walzenlager gibt’s Feines von Kaurismäki.

Kino kann sogar tagesaktuell sein. Kaum hatte US-Präsident Donald Trump als Nachfolgerin für die Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg seine religiös-reaktionäre Favoritin benannt, zeigt die Lichtburg mit „Niemals Selten Manchmal Immer“ ein Drama über das Recht auf Abtreibung.

In fast dokumentarischer Manier beschreibt Eliza Hittman in ihrem Film, wie ein 17-jähriges Mädchen aus dem ländlichen Amerika eine ungewollte Schwangerschaft beendet. Als Autumn trägt die junge Sidney Flanigan dieses nuancierte Werk, das die USA als eine patriarchalische Welt zeigt. Die Rolle von Autumns Mutter, die ihrer Tochter nicht helfen kann, übernimmt Indierock-Star Sharon Van Etten. Für diesen gänzlich unpathetischen Film einer Flucht nach New York gab’s auf der Berlinale zu Jahresanfang den „Silbernen Bären“.

Tobe Hooper, der texanische Meisterregisseur des Schmuddel-Horrors, hätte wohl seinen Spaß an Christoph Schlingensiefs Remake „Das deutsche Kettensägenmassaker“.
Tobe Hooper, der texanische Meisterregisseur des Schmuddel-Horrors, hätte wohl seinen Spaß an Christoph Schlingensiefs Remake „Das deutsche Kettensägenmassaker“. © Filmgalerie 451

Eine noch tragischere Geschichte, jedoch erzählt in konventioneller Roadmovie-Fasson: André Erkaus Film „Gott, du kannst ein Arsch sein“ basiert auf dem gleichnamigen Bestseller, in dem Frank Pape das Schicksal seiner Tochter Stefanie erzählt, die mit 16 Jahren die Diagnose Lungenkrebs erhält und nicht mehr lange zu leben hat. Ein Zirkusartist überredet das Mädchen zu einer spontanen Fahrt nach Paris – sehr zum Ärger der besorgten Eltern.

In zwei Wochen war das Massaker abgedreht

Das Roadmovie erweist sich als eher luftige Love-Story denn als Krebs-Drama, in dem sich Komik ganz gut mit der „Knockin’ on Heaven’s Door“-Stimmung verträgt. Und Til Schweiger darf als Pfarrer an seinem Glauben zweifeln.

Bei Christoph Schlingensief wird ungleich brachialer gestorben – erst recht im „Deutschen Kettensägenmassaker“, über das die Zeitung mit den großen Buchstaben 1990 urteilte: „Bei diesem Kino-Film wird Ihnen schlecht“. Schlingensiefs Horror-Remake zeichnet die erste Stunde der Wiedervereinigung als ein nationales Schlachtfest nach.

Fernöstliche Feinkost statt Kantinenhorror: „Master Cheng in Pohjanjoki“ entzückt seine Gastgeberin Sirkka.
Fernöstliche Feinkost statt Kantinenhorror: „Master Cheng in Pohjanjoki“ entzückt seine Gastgeberin Sirkka. © MFA+

Die Nachricht von der Maueröffnung versetzt eine westdeutsche Metzgerfamilie in einen Blutrausch. In einer verwaisten Hotelküche meuchelt sie ehemalige DDR-Bürger. Christoph Schlingensief hatte innerhalb von zwei Wochen seinen radikalen Kommentar zur Wiedervereinigung abgedreht. Im Anschluss an dieses vom Theater Oberhausen am Tag der deutschen Einheit um 19.30 Uhr präsentierte Highlight des „Schlingensief-Kinos“ gibt’s ein Nachgespräch mit der Schauspielerin Susanne Bredehöft und der Cutterin des Films, Ariane Traub.

Etwas Schwermut und heiteres Sommerflair

Das Grauen besteht im Walzenlager-Kino allein im lieblosen Kantinenfraß eines finnischen Städtchens am Polarkreis: Doch dann erlebt man, jeweils um 18 Uhr, „Master Cheng in Pohjanjoki“. Dem verirrten Reisenden aus China bietet die Cafébesitzerin Sirkka eine Unterkunft. Im Gegenzug überrascht Cheng sie und ihre Mitbürger mit den Köstlichkeiten der chinesischen Küche. Als sein Touristenvisum abläuft, schmiedet das zur guten Küche bekehrte Pohjanjoki einen Plan, damit der neue Maitre bleiben kann..

Mika Kaurismäki, der finnische Film-Weltreisende, hat die Zutaten seiner romantischen Komödie fein abgeschmeckt: eine große Portion Warmherzigkeit, etwas Schwermut und heiteres Sommerflair.