Oberhausen. A. F. Wittkowski und Nina Heise entscheiden als Jurorinnen über den Jugendfilmwettbewerb. Petra Rockenfeller wirbelt als Vorsitzende der „Gilde“.

Der Dresscode ist streng, aber glamourös: Die Gala-Garderobe gehört ins Gepäck, wenn das Oberhausener Lichtburg-Trio für zwölf Tage nach Berlin reist. „Was Jeremy Irons guckt, guck ich auch“, sagt Petra Rockenfeller strahlend. Der 71-jährige Brite, ein Kinostar seit fast 40 Jahren und seit „Der Frau des französischen Leutnants“ an der Seite von Meryl Streep, amtiert für die 70. Berlinale als Präsident der Internationalen Jury. Und die Oberhausener Lichtburg-Chefin amtiert als Jury-Vorsitzende im Internationalen Wettbewerb – „der Königsdisziplin“, wie sie sagt.

Warteschlangen in den Potsdamer Arkaden: Am Montag startete der Kartenverkauf für die elf Berlinale-Tage.
Warteschlangen in den Potsdamer Arkaden: Am Montag startete der Kartenverkauf für die elf Berlinale-Tage. © AFP | Odd Andersen

Klingt zunächst verwirrend, lässt sich aber erklären: Denn das weltgrößte Publikumsfestival überreicht alljährlich eben nicht nur Goldene und Silberne Bären – sondern ein ganzes Füllhorn weiterer Preise, vergeben von unabhängigen Jurys. Und dazu zählt eben auch die AG Kino-Gilde, in der über 350 Arthouse-Kinos organisiert sind. Als fleißige Gilde-Vorständlerin arbeitete sich Petra Rockenfeller schon zweimal als Jurorin durch Berlins Filmpaläste. Als frisch bestellte Jury-Vorsitzende sieht sie sich nun bereits vor der Abreise „aufgesogen vom Apparat Berlinale“.

19 Filme in der „Königsdisziplin“

Für ihre „Königsdisziplin“ sind in den nächsten acht Tagen 19 Filme zu sichten. Und von berühmten Sitznachbarn sollte das Lichtburg-Team sich nicht allzu sehr ablenken lassen. Rockenfeller lästert dann aber doch ein bisschen über Jake Gyllenhaal und seine „Bad Hair Days“, weil der Star sich im Kinositz konsequent unter Mützen versteckte. 18 unabhängige Jurys vergeben jeweils einen eigenen Preis im Zeichen des Berlinale-Bären – die traditionsreiche Trophäe des Gilde-Preises beschreibt Rockenfeller als „Skulptur wie ein stilisiertes Projektor-Gehäuse“. Diese Auszeichnung ist zwar nicht dotiert, doch die Preisverleihung am Samstag, 29. Februar, rund zehn Stunden vor dem Bären-Jubel, vergleicht sie selbstbewusst mit den „Golden Globes vor der Oscar-Verleihung“: ein branchenweit beachtetes Signal.

Strahlend mit dem Silbernen Bären: Regisseurin Nora Fingscheidt erhielt die Auszeichnung im Vorjahr für „Systemsprenger“ - und hat ihr Werk auch persönlich in der Lichtburg vorgestellt.
Strahlend mit dem Silbernen Bären: Regisseurin Nora Fingscheidt erhielt die Auszeichnung im Vorjahr für „Systemsprenger“ - und hat ihr Werk auch persönlich in der Lichtburg vorgestellt. © dpa | Jens Kalaene

Dass Rockenfellers Lichtburg-Kolleginnen Anna Friederike Wittkowski, im Kino-Alltag die Assistentin der Theaterleiterin, und Nina Heise, verantwortlich fürs Kinder- und Jugendprogramm, nun auch als Berlinale-Jurorinnen debütieren dürfen, ist natürlich kein Zufall. „Generation 14 plus“ nennt sich der Wettbewerb für ambitionierte Filme, die sich ans jugendliche Publikum wenden. Über den entsprechenden Preis hatte bisher keine Fach-, sondern eine Jury aus Jugendlichen entschieden. „Wieso gibt es da keine Kinojury?“, fragte sich Petra Rockenfeller und betrieb als Routinier ein bisschen Gremienarbeit: „Dann ging es ganz schnell.“

Das weltgrößte Publikumsfestival für Cineasten

Die Berlinale ist ein Filmfestival der Superlative: Mit rund 490.000 Besuchern an elf Festivaltagen vom 20. Februar bis 1. März etablierten sich die „Internationalen Filmfestspiele Berlin“, so der offizielle Titel, als weltgrößtes Publikumsfestival. Am Montag begann der Karten-Vorverkauf – und damit der Ansturm von Fans, die schon in der Nacht zuvor vor den Verkaufsschaltern campiert hatten.

16.000 Fachbesucher aus 130 Ländern zählt die Berlinale in jedem Februar, darunter 3700 Journalisten aus 80 Ländern. Berlinale-Kinos gibt es zahlreiche in der Hauptstadt – doch nur das Theater am Potsdamer Platz mit seinen 1800 Plätzen firmiert als „Berlinale Palast“.

Der erste Film im allerersten Berlinale-Programm 1951 war Alfred Hitchcocks „Rebecca“. Damals bewarb die „Frontstadt“ Berlin ihre Filmfestspiele als „Schaufenster der freien Welt“ und bemühte sich vor allem um Glamour und Hollywood-Stars.

Inzwischen gilt die Berlinale als „A-Festival“ neben den drei älteren cineastischen Festspielen in Cannes, Venedig und Locarno. Die „Berlinale Shorts“ als Kurzfilmfestival gibt es allerdings erst seit 2007. Oberhausens Internationale Kurzfilmtage sind 53 Jahre älter.

„Die Vorfreude steigt mit jedem Tag“

Wittkowski und Heise stellen für „Generation 14 plus“ nun sogar eine Oberhausener Jury-Mehrheit. Dritter Juror ist Marcel Danner von der Berliner Yorck-Kinogruppe. Für diesen neuen Berlinale-Preis der Kino-Gilde „müssen wir in keine Fußstapfen treten“, meint Nina Heise erleichtert. Dank der Oberhausener Jugendkinotage „Aufgedreht“ ist sie mit Filmkunst für die Zielgruppe „14 plus“ bestens vertraut: „Unser Anliegen ist es, dem Jugendfilm schärfere Konturen zu geben.“ Denn da gibt es viel Interessanteres als allgegenwärtige Popcorn-Superhelden-Produktionen.

Den Goldbären überreichte im Vorjahr Juliette Binoche als Jury-Präsidentin an Regisseur Nadav Lapid für „Synonymes
Den Goldbären überreichte im Vorjahr Juliette Binoche als Jury-Präsidentin an Regisseur Nadav Lapid für „Synonymes". © Getty Images | Matthias Nareyek

„Die Vorfreude steigt mit jedem Tag“, sagt Anna Friederike Wittkowski strahlend. In fast zehn Jahren Lichtburg hat sie von Aushilfsjobs über Weiterbildungen bis zum Theatermanagement „eine klassische Kino-Karriere durchlaufen“, wie ihre Kolleginnen meinen. Keine Bange vor roten Teppichen und großen Roben. Das große Risiko von elf Berlinale-Tagen bestehe allein darin, „in all den Menschenmassen nicht krank zu werden“. Das Lichtburg-Trio schwört auf Ingwer-Shots und stets griffbereite Desinfektionsmittel.

„Der Zeitplan ist eng getaktet“

Schließlich geht’s für die Jurorinnen auch kreuz und quer durch die Hauptstadt. „Die Screening-Pläne sind schon vergeben“, sagt Nina Heise. „Der Zeitplan ist eng getaktet“, ergänzt Petra Rockenfeller. Und A. F. Wittkowski ahnt: „Manchmal könnte es knapp werden mit den Wegstrecken.“ Doch anders als das Ruhrgebiet habe Berlin ja einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr.

Ganz Berlin ist filmverrückt während der beiden Berlinale-Wochen, hier Poster am Potsdamer Platz. Das Festival dringt dann bis in kleine Kiez-Kinos vor.
Ganz Berlin ist filmverrückt während der beiden Berlinale-Wochen, hier Poster am Potsdamer Platz. Das Festival dringt dann bis in kleine Kiez-Kinos vor. © Getty Images | Emmanuele Contini

Die Strategien der beiden „Generation 14 plus“-Jurorinnen könnten übrigens unterschiedlicher kaum sein. Wittkowski möchte „ganz unvoreingenommen in den Film ‘reingehen’“. Dagegen Heises Prinzip: „Ich bin generell gerne vorbereitet“. Wenn beide sich dann mit ihrem Berliner Kollegen einig sind – „dann haben wir bestimmt einen Film, der alle anspricht“.

1800 Cineasten und Sigourney Weaver

Zur Eröffnungs-Gala am Donnerstag, 20. Februar, „werden wir uns alle sehr schick machen“, verkündet Petra Rockenfeller. Schließlich erwarten die 1800 versammelten Cineasten im Berlinale Palast die große Sigourney Weaver, die den Eröffnungsfilm „My Salinger Years“ vorstellen wird. Live wird die von Samuel Finzi moderierte Gala in vier deutsche Kinos übertragen. Da ist die Lichtburg leider nicht dabei.