Oberhausen. Die Ausstellung „Aufbruch macht Geschichte“ des Stadtarchivs zeigt im Schloss Oberhausen den steten Wandel der Stadt – und bietet Überraschendes.
„Archivalien“ klingt dröge? In der Panoramagalerie des Schlosses Oberhausen lassen die Exponate aus dem Stadtarchiv staunen: Da krönt den pompösen silbernen Tafelaufsatz, den der Industrielle Carl Lueg 1904 der Stadt stiftete, ein bärtiger Bergknappe, den Lorbeerkranz in der erhobenen Rechten. Da stellt Stadtkünstler Walter „Kuro“ Kurowski auf dem monumentalen Gemälde „Rostiger Boden“ von 1985 den OB Friedhelm van den Mond vor ein schräg wegkippendes Rathaus. Und der wuchtige Schlagbohrer ruht direkt vor dem klobigen ISE-Bürocomputer.
„Aufbruch macht Geschichte“ mag, zumal für Historiker, ein nahezu pathetischer Titel für eine Ausstellung sein, die Oberhausens Historie von 1847 bis 2006 so kompakt wie souverän aufrollt. Der Untertitel macht’s spannend: „Strukturwandel“, betont Magnus Dellwig, „ist mehr als die letzten 30 Jahre“ – also mehr als das Werden der „Neuen Mitte“. Wer weiter zurückblicke, so der Leiter des Stadtarchivs, „kann den Weg Oberhausens besser verstehen“.
3400 Akten und Karten neu erschlossen
Schließlich war in dieser Wildweststadt so viel Anfang wie nirgendwo sonst im Ruhrgebiet. Dellwig nennt sie „die idealtypische Industriestadt, als einzige entstanden in öder Heidelandschaft“. 1847 kam der Bahnanschluss ins Nirgendwo. Von 1857 datiert schon die erst wandfüllende Karte mit allerliebsten Ansichten der neuen Fabriken. Die vereinzelten Wohn- und Geschäftshäuser um den Marktplatz lassen sich noch an zwei Händen abzählen.
Den neuen Blick auf die Stadtwerdung ermöglichte ein zweijähriges Förderprogramm, um „Bearbeitungsrückstände“ im Stadtarchiv aufzuholen. „Wir haben 3400 Akten und Karten neu erschlossen“, sagt Dellwig – und machte mit seinem Team mehr aus dieser Pflicht: „Wir wollen Stadtgeschichte in die Gesellschaft tragen.“ Dafür sei das Schloss Oberhausen der attraktivste Ausstellungsort.
Neues Standardwerkzur Stadtgeschichte
Knapp und treffend, wie man es von Christine Vogt gewohnt ist, nennt die Direktorin der Ludwiggalerie „Aufbruch macht Geschichte“, das Buch zur Ausstellung, „ein neues Standardwerk“. Der 350 Seiten starke, reich illustrierte Band, erschienen im Verlag Karl Maria Laufen, kostet 29,90 Euro und firmiert als sechster Band der Oberhausener Stadtgeschichte; ISBN 978-3-87468-399-9.
Zur Ausstellung im Kleinen Schloss ist der Eintritt frei. Der „Strukturwandel 1847 bis 2006“ ist dort bis zum 17. Januar 2021 zu sehen.
Nach der Strukturwerdung aus dem Nichts der Heide meint „Strukturwandel 1.0“ im Dellwig’schen Sinn die Epoche seit 1894 (bis 1933), als die erst 20 Jahre junge Stadt sich erst eine Mitte schuf und die losen Enden zwischen Rathaus und Altmarkt verknüpfte: Diese früheste „Neue Mitte“ entstand auf der Fläche der 1901 geschlossenen Styrumer Eisenindustrie mit dem Friedensplatz und weit darüber hinaus. Eigens für die Ausstellung leistete das Katasteramt aufwendige Detailarbeit, und legte vier Stadtpläne von 1857 bis 1921 anschaulich übereinander.
Die Industriestadt war immer noch Industriestadt, hatte aber nun ein großstädtisches Zentrum: planvoll gestaltet, wo zuvor Schlote wild wucherten. „Oberhausen wäre sonst als Stadt von der Landkarte verschwunden“, meint Magnus Dellwig – und verweist als Gegenbeispiel auf das damals mit 130.000 Einwohnern größere Hamborn.
„Dunstglocke“ reüssierte sogar in Locarno
Natürlich widmet sich die Ausstellung in gleicher Ausführlichkeit dem „Strukturwandel 2.0“, also dem vielen Bürgern noch höchst präsenten Entstehen der „Neuen Mitte“ von der GHH-Brache zum Centro. Blickfang ist hier ein großes Modell des Areals, in dessen Mitte neben der Mehrzweckhalle die hingebungsvoll gebastelte Miniatur der futuristischen Bus- und Straßenbahn-Haltestelle auch einen Blick mehr wert ist.
Wer diesen zweiten Strukturwandel vertiefen möchte, kann im Kabinett neben dem Museumsshop noch ein gutes Stündchen höchst kurzweilig „fernsehen“: Zur Wahl stehen zwölf Video-Interviews mit Zeitzeugen – sowie die drei Imagefilme der Stadt. Mit „Schichten unter der Dunstglocke“ reüssierte Regisseur Herbert Viktor sogar beim Filmfestival in Locarno. Für Magnus Dellwig zeigen diese 14 Minuten vor allem den Stolz der Oberhausener von 1959 auf ihre dank harter Maloche aufstrebende Stadt.