Oberhausen. Seit März wirkt Danny Neumann in Oberhausens ältester Kirche: Gleich nach dem Start musste der 27-Jährige auf digitale Kirchenmusik umschalten.

„Mach doch mehr daraus!“ Dem schlichten Rat seines Professors an der Folkwang Hochschule der Künste ist Danny Neumann bis heute dankbar. Roland Maria Stangier, einer der großen Organisten des Landes mit nicht minder eindrucksvoller Diskographie, hat so den jungen Lehramtsstudenten umdirigiert zum Kirchenmusiker: Seit 1. März wirkt Danny Neumann bereits als Kantor an der Christuskirche, dem ältesten Gotteshaus in Oberhausen. Im September will die Gemeinde den 27-Jährigen offiziell in sein vielfältiges Amt einführen.

Den Weg zum Musiker machte allerdings schon ein Besuch mit dem kirchlichen Kindergarten in der Philipp-Nicolai-Kirche seiner Heimatgemeinde in Recklinghausen-Süd klar: So ergriffen stand der Vorschüler vor der Orgel. „So bin ich schnell zum Keyboard gekommen.“ In den ersten Orgelunterricht muss man schließlich wortwörtlich „hineinwachsen“, um überhaupt die vielen Pedale erreichen zu können. Danny Neumann ist mit Pop groß geworden, besuchte zwei Musikschulen, und ist seinen Lehrern dankbar, dass sie auch auf klassischen Unterricht achteten.

Die Orgel spielt Danny Neumann seit 15 Jahren – seit er groß genug ist, um auch alle Pedale zu erreichen.
Die Orgel spielt Danny Neumann seit 15 Jahren – seit er groß genug ist, um auch alle Pedale zu erreichen. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

„Musik sollte der Freund sein, nicht der Beruf“ – doch schon für den Gymnasiasten kam’s anders: Er übernahm als 13-Jähriger erste Vertretungen am Orgelpult, hatte mit 17 seine erste Stelle an zwei Recklinghäuser Gemeinden und studierte auf dem Weg zum Abitur für den C-Schein des nebenberuflichen Kirchenmusikers. Das Einser-Abi eröffnete viele Optionen; eine befreundete Musikerin half bei der Entscheidungsfindung: Sie überredete Danny Neumann mitzukommen zum Folkwang-Tag der offenen Tür: „Es war eine super Probestunde, die meine Pläne über den Haufen geworfen hat.“

„Kirche gefällt mir noch besser“

Der junge Organist, der neben der „Königin“ noch etliche weitere Instrumente beherrscht, studierte zunächst fürs Lehramt und war auch sehr angetan von seinem Jahr als Vertretungslehrer in Borbeck. Bis ihm dank Prof. Stangiers freundlichem Appell „Mach doch mehr daraus!“ klar wurde: „Kirche gefällt mir noch besser.“

In Essen-Werden war die Kirchenmusik als Studienfach gerade abgeschafft. An Herfords Hochschule für Kirchenmusik – „mit nur 30 Studenten, klein und süß“, wie Neumann schwärmt – schneiderte man dem Lehramts-Musiker ein „Einzelmodell“ mit eigener Aufnahmeprüfung. Er nennt’s „sportlich“: In drei Semestern absolvierte er alle Prüfungen des auf acht Semester ausgelegten Studiengangs.

Mit Elan hätte er durchstarten können

„Es ist einfach vielfältig“, betont Danny Neumann. „Kirchenmusik ist soviel mehr.“ Mit Elan hätte er an seiner neuen Stelle durchstarten können. „Ich hatte noch zwei normale Wochen“, sagt der neue Kantor der Christuskirche, „hatte drei schöne Gottesdienste begleitet und die drei Chöre kennengelernt“. Dann kam auch schon das lange Verstummen des Lockdowns.

Die 2001 erbaute Hey-Orgel mit drei Manualen und spätbarocker Disposition verfügt über 1864 Pfeifen samt „Nachtigall“ und „Cymbelstern“ – ein ideales Instrument für Bach-Enthusiasten.
Die 2001 erbaute Hey-Orgel mit drei Manualen und spätbarocker Disposition verfügt über 1864 Pfeifen samt „Nachtigall“ und „Cymbelstern“ – ein ideales Instrument für Bach-Enthusiasten. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

In den Wochen vor Ostern war das technische Talent des studierten Physikers gefragt: „Wir waren mit die Ersten, die sich ein Chorvideo getraut haben.“ 15 Audio-Spuren, von jedem Sänger zuhause mit dem Handy aufgenommen, zu synchronisieren und zu einem klangvollen Gesamtbild zu mischen, empfand der Kirchenmusiker als harte Arbeit. Und Online-Chorproben sind aus Sicht des Dirigenten und damit Vorsängers „dreimal so anstrengend – ich musste wirklich auf meine eigene Stimme aufpassen“.

„Vier Sänger auf der Orgelempore, das geht“

Vor den Sommerferien hat man dann wieder „live“ proben können, im Kirchgarten mit jeweils zwei Meter Abstand zum Halbkreis formiert. Selbst für geübte Chorstimmen sei das befremdlich, erklärt Danny Neumann: Man singe ja nicht mehr im Klang der anderen Stimmen, müsse mit der eigenen Stimme schon „sehr selbstständig“ umgehen.

Orgelkonzert für „20 Finger und vier Füße“

Für alle im Sommer Daheimgebliebenen hat die Christuskirchengemeinde eine Konzertreihe ins Leben gerufen, die mit heiter-sommerlichen Klängen für Jung und Alt aufwartet. Immer samstags um 17 Uhr laden junge, erfolgreiche Organisten von nah und fern zu jeweils 30 Minuten Orgelmusik in die Kirche an der Nohlstraße 7 ein, anschließend geht es gemeinsam in den nahen Biergarten des Ebertbades.

Als besonderes Highlight zum Schluss kündigt Danny Neumann für den 8. August „20 Finger und vier Füße“ an. Dann erklingt ausschließlich vierhändige Orgelmusik für zwei Spieler aus allen Epochen, interpretiert vom neuen Kantor und seiner Frau Corinna Neumann.

Bei allen Konzerten wird das Spiel der Organisten live auf eine Leinwand in den Altarraum übertragen, damit die Zuschauer trotz der Distanz ganz nah an den Tasten sein können. Der Eintritt ist frei, um Spenden für die Kirchenmusik wird herzlich gebeten.

Der Kantor ist denn auch skeptisch, ob sich unter bleibenden Distanz-Vorgaben ein Weihnachts-Oratorium einstudieren und aufführen lässt. „Es wird wichtig sein, die Gottesdienste dann überhaupt musikalisch zu versorgen.“ Als „Plan B“ denkt er an kleine Gruppen und Solisten: „Vier Sänger auf der Orgelempore, das geht.“ Auch solche Auftritte ließen sich im festlich gestimmten Dezember zu einem „Potpourri mit schönem roten Faden“ verknüpfen.

Als Schlagwerker für Mahlers „Sinfonie der Tausend“

Musikalisch sieht Danny Neumann in der Begeisterungsfähigkeit für viele Komponisten und Epochen seine Stärke – zudem gespiegelt in der für vielfältige Musik von den Alten Meistern bis zur Moderne offenen Evangelischen Singgemeinde. Der Kantor schätzt den österreichischen Spätromantiker Heinrich von Herzogenberg als „Geheimtipp“, weil dieser fürsorglich auch für die kleineren Gemeinden möglichen Besetzungen komponierte. Und er schwärmt von seinem Erlebnis als Schlagwerker für Gustav Mahlers gewaltige „Sinfonie der Tausend“, der 1910 uraufgeführten 8. Sinfonie in Es-Dur: „Er ist nicht vor der Schönheit zurückgeschreckt.“