Oberhausen. Die Ausstatter-Avantgarde am gerade gegründeten Theater Oberhausen schafft es bis ins Theatermuseum: eine große Ungenannte und zwei Bühnenbildner.

Gutes Theater ist immer Avantgarde, ist seiner Zeit zumindest eine Sprintstrecke voraus. Das galt auch schon vor fast 100 Jahren, als das gerade erst gegründete Theater Oberhausen – doppelt mutig – sowohl einen Bühnen-Verbund mit Hamborn und Gladbeck wagte und obendrein mit dem Musiktheater die kostspieligste aller darstellenden Künste in die aufstrebende Stadt holte. Ob und wie weit die Oper in Oberhausen klangästhetisch ihrer Zeit voraus war, lässt sich – am Anfang der Ära der Tonaufzeichnungen – aus der Distanz eines Jahrhunderts schwerlich bewerten.

Wie Pop-Art, aber ein halbes Jahrhundert vor Pop: Falstaff-Figurine für die „Lustigen Weiber von Windsor“.
Wie Pop-Art, aber ein halbes Jahrhundert vor Pop: Falstaff-Figurine für die „Lustigen Weiber von Windsor“. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Doch nicht zuletzt dank des Düsseldorfer Theatermuseums gibt es noch einen Schatz an Figurinen und Bühnenbildern: Und diese Kunst und ihre Künstler, die beim Premierenapplaus oft sträflich nachlässig bedacht werden, hinterließen mit ihren Zeichnungen anschauliche Dokumente ihrer neuen Sicht. Sieht man etwa das harlekinbunte Kostüm für Shakespeares Sir John Falstaff – und dazu das in der Zeichnung gespitzte Mündchen zwischen den Plusterbacken: Man meint, eine so voluminöse wie balsamische Bass-Stimme für Otto Nicolais „komisch-phantastische“ Oper der „Lustigen Weiber von Windsor“ zu hören. Die Zeichnung und das Kostüm schuf Werner Schramm – oder war’s vielleicht doch seine spätere Ehefrau Liselotte Heckmann? Denn ihr Name wurde allzu oft auf den Programmzetteln der frühesten Jahre des Oberhausener Musiktheaters unterschlagen.

Der Schauspielschüler landet im Malersaal

Dabei waren die beiden gebürtigen Duisburger ein frühes „Dream-Team“ in Sachen Bühnen-Ausstattung – die allerdings beide ihr so gekonnt ausgeübtes Metier nach wenigen Spielzeiten aufgaben, um sich ganz der Malerei zu widmen. Werner Schramm hatte sich als 21-Jähriger 1919 an der „Hochschule für Bühnenkunst“ in Düsseldorf beworben, angeschlossen an das von Gustav Lindemann geleitete Schauspielhaus, theatertechnisch auf dem neuesten Stand und mit Platz für 950 Zuschauer. Gustav Gründgens und Paul Kemp waren Schramms Mitschüler. Doch Louise Dumont, die kongeniale Partnerin des Schauspiel-Direktors, erkannte dessen wahres Talent: Sie schickte Schramm in den Malersaal. Der Anfänger durfte seit 1920 in Düsseldorf 15 Schauspiele ausstatten.

Eine Raumwirkung zwischen Idealperspektiven der Renaissance und dem leisen Surrealismus Giorgio de Chiricos: Werner Schramms Bühnenbild für Verdis „Troubadour“.
Eine Raumwirkung zwischen Idealperspektiven der Renaissance und dem leisen Surrealismus Giorgio de Chiricos: Werner Schramms Bühnenbild für Verdis „Troubadour“. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Dank der Theaterehe mit Hamborn kamen Schramm und Heckmann nach Oberhausen: Das (spätere Ehe-) Paar schuf hier in inniger Verbundenheit Kostüme und Bühnen für ein Haus, das sich in den vier, fünf Jahren seit seiner Gründung noch keinen Fundus hatte aufbauen können. Das Kritikerlob galt jedoch meist allein Werner Schramm – Liselotte Heckmann war die große Ungenannte. So hieß es im Generalanzeiger 1924 über die Röcke, geschlitzten Wämser und Pluderhosen für die „Lustigen Weiber“, dass es „eine wahre Freude, ja Ehre gewesen sein muss, darinnen Theater zu spielen“.

Das Theater vom Guckkasten-Illusionismus befreit

Der für weit längere Zeit prägende Gestalter der Oberhausener Bühnenräume musste wenige Jahre später deutlich mäkeligere Kritiken lesen: Gustav Singers vermeintlicher „Treppenstil“ wurde sogar im Karneval karikiert – weil als allzu pompös empfunden. Dabei zählte der gelernte Bildhauer zu jenen, die das Theater ihrer Zeit vom Guckkasten-Illusionismus befreiten. So entschlossen „episch“ wie gleichzeitig Caspar Neher, der an der Seite des jungen Bert Brecht die Bühne mit Texttafeln und Schriftbildern vollstellte, waren Gustav Singers fünf Spielzeiten in Oberhausen von 1925 bis 1930 dann aber nicht.

Nah dran an M. C. Eschers paradoxen Räumen: Gustav Singers Bühnenbild für die Komödie „Duell am Lido“.
Nah dran an M. C. Eschers paradoxen Räumen: Gustav Singers Bühnenbild für die Komödie „Duell am Lido“. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

90 Inszenierungen hat er mit seinen Räumen geprägt: ein gewaltiges Arbeitspensum von zwei Ausstattungen pro Monat – zusätzlich erschwert durch die chronisch klammen Kassen der Oberhausener Bühne. Treppen, Balkone, Bänke und Loggien für die Komödie „Duell am Lido“ skizzierte Gustav Singer auf einem Blatt, dessen Eleganz wohl auch M. C. Escher, dem großen Zeichner paradoxer Räume, gefallen hätte. Und das Bühnenbild für „Weltarena“ bot dem Regie führenden Intendanten acht verschiedene Ebenen, um sein Ensemble zu positionieren. Ob die Bühnenhandwerker ihren am Werk von Auguste Rodin und Wilhelm Lehmbruck geschulten Chef dafür gehasst oder verehrt haben, ist leider nicht überliefert.

Flachheit zwingt zu köstlichen Slapstick-Einlagen

Gustav Singer wechselte 1930 ans Staatstheater Wiesbaden (dieses „Krawattentheater“, wie ein gewisser Günter Lamprecht 30 Jahre später lästern sollte). Nach insgesamt 600 Inszenierungen in 30 Berufsjahren wollte er nur noch freischaffender Künstler sein.

Theater-Chronik: „Ménage à trois“ mit vielen Krisen

1924: Gründung des „Drei-Städte-Theaters“ im Verbund von Oberhausen mit Hamborn und Gladbeck. Intendant Willi Grunwald verpflichtet mit Vera Skoronel erstmals eine Tanztruppe.

1925: Die Theatergemeinschaft wird zum finanziellen Fiasko, Oper und Tanzgruppe abgebaut. Erst 1930, inmitten der Weltwirtschaftskrise, baut Oberhausen wieder ein Ensemble für Operette und Oper auf.

1926: Das Theater Oberhausen löst den Vertrag mit Hamborn und verbündet sich wieder mit Gladbeck.

1927: Ein neuer Intendant nimmt Hamborn wieder auf in die theatrale „Ménage à trois“.

1929: Am 1. August entsteht „Groß-Oberhausen“ aus den drei Städten Oberhausen, Osterfeld und Sterkrade. Für das Theater bedeutet die Weltwirtschaftskriseauch eine Zeit des künstlerischen Einbruchs mit Intendanten-Wechseln in fast jeder Spielzeit.

Und das Bühnenbild heute? Mal öffnet sich, ganz puristisch, der schwarze Bühnenwürfel in seiner ganzen Tiefe. Dann wünscht man sich selbst in der dritten Reihe ein Opernglas. Oder der Zoom fährt sehr gewitzt in die andere Richtung und „staucht“ den Raum zu zweidimensionaler Flachheit: Diesen Coup leistete sich Maria-Alice Bahra für die Bläulings-Familie in „Hase Hase“ und zwang das Ensemble damit zu köstlichen Slapstick-Einlagen. Aber selbst in Superflach ist ein derart gekonntes Bühnenbild nie: platt.