Oberhausen. Angehörige leiden unter den strikten Besuchsregeln in Altenheimen. Ein Streit gipfelte in einer Rangelei um die im Rollstuhl sitzende Mutter.
Hochzeiten mit 50 Teilnehmern, Veranstaltungen mit 100 Gästen, Bars und Bäder dürfen dank der seit dem 15. Juni weiter gelockerten Corona-Regeln in NRW wieder öffnen – nur in den Altenheimen gelten nach wie vor strikte Besuchsregeln. Die Nerven vieler Angehöriger liegen blank. Aus dem Kreise der Heimleiter heißt es: „Das ist kaum noch zu vermitteln.“ Nicht nur in Oberhausen kommt es inzwischen zu zunehmenden Konflikten in den Einrichtungen. Hier ein Fall, der für viele stehen dürfte und der letztlich in eine Rangelei um den Rollstuhl samt darin sitzender Mutter gipfelte.
Die 92-jährige Mutter von Martina van Dellen lebt seit Mai 2018 im Martha-Grillo-Seniorenzentrum in Oberhausen. „Sie fühlte sich dort immer wohl“, sagt die Tochter. Dann kam die Corona-Krise und mit ihr der Lockdown im März. Die strengen Maßnahmen seien Bewohnern und Angehörigen damals aber von der Heimleitung gut vermittelt worden, meint van Dellen. Ihre Mutter leidet an Parkinson (langsam fortschreitender Verlust von Nervenzellen) und einer beginnenden Demenz. Den Ernst der Lage habe sie trotzdem verstanden. „Wir haben viel telefoniert, sie war es, die mich getröstet hat und sie sagte immer zu mir: Martina, da müssen wir jetzt durch!“
Im Laufe der Wochen stieg die Anspannung immer mehr
https://www.waz.de/staedte/oberhausen/oberhausener-pflegeheime-machen-besuche-ab-muttertag-moeglich-id229057903.htmlWochen vergingen, die Anspannung stieg. „Wissen Sie“, sagt van Dellen, „das ist ja eine andere Hausnummer als ein Krankenhaus-Aufenthalt, der nach ein, zwei Wochen wieder endet“. Je länger der Ausnahmezustand andauerte, desto größer sei ihre Angst geworden, ihre Mutter nie wieder in die Arme schließen zu können. Dann kam endlich die erste Lockerung: Seit dem 10. Mai (Muttertag) sieht das NRW-Gesundheitsministerium für Familien einen auf zwei Stunden begrenzten Besuch pro Tag vor.
Martina van Dellen freute sich erst und ärgerte sich dann, als sie erfuhr, dass die Besuchszeiten im „Grillo“ eine ganz andere Regelung vorsehen. „Ich darf meine Mutter dort nur alle zehn Tage für höchstens 30 Minuten sehen.“ Sie sitze fast zwei Meter von ihr entfernt, trage Handschuhe und einen Mundschutz. „Meine Mutter denkt, ich wäre krank und fragt mich jedes Mal, ob es mir besser geht“, erzählt van Dellen stockend.
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Heimleiterin Susanne Strate-Nürnberg wirbt um Verständnis. Die Besuchsregelungen seien in einem Konzept erstellt und der Heimaufsicht zur Prüfung vorgelegt worden. „Diese wurden dann auch genehmigt.“ Da die Besuche nach der bis dato gültigen Besuchsregelung durch die Mitarbeiter zu begleiten waren, sei es aufgrund der Anzahl der Bewohner nicht möglich, jedem Angehörigen das gesetzlich zugeschriebene Kontingent zu gewähren. „Unser sozialer Dienst hat die Termine mit den Angehörigen abgesprochen und alle über unsere eingeschränkten Möglichkeiten informiert.“ Um den Familien insbesondere an den Wochenenden und Feiertagen aber entgegenzukommen hätten die Mitarbeiter des sozialen Dienstes unzählige zusätzliche Dienste erbracht. Nicht immer hätten sich die Besucher dann aber an die doch so wichtigen Schutzmaßnahmen gehalten.
Auch eine Umarmung ist endlich wieder möglich
Martina van Dellen besuchte ihre Mutter, so oft sie durfte und beobachtete dabei eine erschreckende Wesensveränderung. „Sie hat früher nie geweint, jetzt weinte sie oft, wirkte traurig, fragte mich immer, wann kommst du denn endlich mal wieder zu mir?“ Sie meinte damit ihr Zimmer. Worte, die Spuren bei der Tochter hinterließen, sie veranlassten, auch einfach mal die Hand der Mutter zu ergreifen. Auch sie verstieß damit gegen die Schutzregeln des Hauses. „Aber in dem Augenblick fand ich das wichtig.“ Entsprechend groß sei ihre Freude gewesen, als sie dann las: Das NRW-Gesundheitsministerium lockert die Corona-Regeln für Besuche in Pflegeheimen weiter, ab sofort ist ausdrücklich auch wieder ein körperlicher Kontakt wie eine Umarmung erlaubt.
Eine Bewohnerin verstarb am Corona-Virus
Susanne Strate-Nürnberg ist Leiterin des Martha-Grillo-Seniorenzentrums (in dem aktuell 50 Bewohner leben, dazu kommen zehn in der Kurzzeitpflege). Sie weiß: „Die Corona-Krise war und bleibt für uns alle – Angehörige, Bewohner und Mitarbeiter – eine emotionale Belastung.“
Nicht vergessen werden dürfe dabei aber: Nach dem Tod einer 91-jährigen Martha-Grillo-Bewohnerin, die an dem Corona-Virus erkrankt war, hatte die DRK-Einrichtung die Ausbreitung der Erkrankung durch strengste Maßnahmen verhindern können. Eine deutschlandweit bislang wohl beispiellose Leistung. „Das dürfen wir zum Schutz aller jetzt nicht aufs Spiel setzen.“
Als Martina van Dellen dann am 21. Juni wieder ins „Grillo“ kam und ihre Mutter endlich in den Arm nehmen wollte, habe ihr eine Mitarbeiterin des Sozialdienstes spontan den Rollstuhl samt darin sitzender Mutter aus der Hand genommen, um diese wieder auf die Station zu bringen. Martina van Dellen erzählt: „Da platzte mir wirklich der Kragen.“ Es sei zu einer lautstarken Rangelei um Mutter und Rollstuhl gekommen. „Eine Pflegefachkraft kam angelaufen.“ Schließlich durfte sie doch mit ihrer Mutter in den Garten. Die Oberhausenerin meint: „Die Informationspolitik war einfach schlecht, das Haus hätte die neue Regelung sofort umsetzen müssen.“
https://www.waz.de/staedte/oberhausen/corona-zweite-testreihe-fuer-grillo-seniorenzentrum-geplant-id228944733.htmlHeimleiterin Susanne Strate-Nürnberg sagt dazu: „Ja, die neue Besuchsregelung sieht vor, dass unter Einhaltung des Tragens eines Mund-Nasenschutzes ein körperlicher Kontakt wieder zulässig ist.“ Diese Meldung habe ihre Einrichtung aber erst am vergangenen Samstag per E-Mail erreicht. „Wir benötigen auch einen gewissen Vorlauf, um Änderungen zu lesen und diese mit Mitarbeitern und Angehörigen zu kommunizieren.“ Die neue Besuchsregelung trete offiziell erst ab dem 1. Juli in Kraft. „Wir müssen bis dahin doch erst einmal ein neues Konzept für tägliche Besuche erstellen.“ Auch das müsse dann wieder von der Heimaufsicht abgenommen werden. Sicherheit bleibe oberstes Gebot. Damit habe das Haus bislang einen Corona-Ausbruch verhindern können.