Oberhausen. Der Vorsitzende der SPD Oberhausen Sterkrade-Süd ist Virologe. Beim Gang über den Wochenmarkt erläuterte er die Gefahren des Coronavirus.
Freiwillig legte bereits jeder dritte Besucher auf dem Sterkrader Wochenmarkt in Oberhausen eine Schutzmaske an. Ab Montag, 27. April, ist das Tragen von Masken als Schutzmaßnahme gegen das Coronavirus auf Märkten und beim Einkaufen generell Pflicht. Stadtverordneter Manfred Flore (SPD) und Jörg Schröer, Virologe und Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Sterkrade-Süd, verschafften sich einen Eindruck von der Situation.
Ganz schön viel: 1,50 Meter Abstand
Das Treiben vor und zwischen den Marktständen hat im Vergleich zur Zeit vor Ostern eindeutig zugenommen. Die Menschen nahmen aber Rücksicht, Gedränge gab es am Samstag kaum. Mit Barrieren sorgten die Händler für Abstand. Dennoch bleibt der Abstand für Schröer das zentrale Problem. Anhand eines ausgeklappten Zollstocks demonstrierten er und Flore, was 1,50 bis zwei Meter Abstand wirklich bedeuten. „Das kann man in der Enge einer Marktpassage kaum einhalten“, stellte Flore fest. Und je nach Situation nicht einmal im Gespräch. Deswegen seien die Schutzmasken so wichtig.
Es bleibe das Geheimnis der Verantwortlichen, wieso ihr Tragen erst jetzt forciert wird. Ein Versorgungsproblem bestehe ja bislang nur beim Mund-Nase-Schutz nach medizinischen Standards, wie ihn Ärzte und Pflegepersonal tragen sollten. Im Alltag genügten sogar Schals und Halstücher. „Meine Maske hat meine Frau genäht“, berichtete Flore.
Die Maske schützt den Mitmenschen
Jörg Schröer machte den Sinn der Maske deutlich: „Angenommen, so eine Maske verringert das Risiko, jemanden anzustecken, um 30 Prozent, dann senkt man bei zwei verhüllten Gesprächspartnern die Wahrscheinlichkeit schon drastisch.“ Genauso wie häufiges gründliches Händewaschen kosteten diese Maßnahmen fast nichts. Letzteres töte 80 bis 90 Prozent der Keime ab. Außerdem sollte man sich, riet Schröer, möglichst wenig ins Gesicht fassen.
Jeder trage die Maske eher zum Schutz für seine Mitmenschen als für sich selbst, sagte der Virologe beim gemeinsamen Rundgang. Denn einfache Textilien könnten natürlich nicht vor einer Ansteckung durch andere schützen. Sie halten aber möglichst viele Tröpfchen der eigenen Atemluft zurück. „Wir wissen ja nicht, ob wir infiziert sind.“ Denn Infizierte blieben in der Regel einige Tage ohne Symptome, seien dann aber schon hoch ansteckend. „Etwa drei Wochen lang ist man infektiös“, führte Schröer aus.
Besonders ältere Menschen und Vorerkrankte sind gefährdet
Manfred Flore zeigte sich entsetzt, als er in der Menschenmenge eine ältere Frau mit kahlem Kopf entdeckte, die keine Maske trug. „Sie hat mit Sicherheit gerade eine Chemotherapie hinter sich.“ Damit lenkte er das Gespräch auf die Risikogruppe.
Dazu gehören nach Angaben von Jörg Schröer sehr viele Menschen. Jeder, der zu hohen Blutdruck habe oder Blutverdünner einnehme, ebenso Diabetiker, Tumorpatienten und Lungenkranke. Auf viele Leute würden sogar mehrere dieser Gründe zutreffen. Dass die Vorschriften für alle Menschen gelten, sei nötig, weil viele von ihrer Erkrankung noch nichts wüssten. „Jede Erkrankung, die den Organismus belastet, schwächt das Immunsystem“, erklärte er und verglich das mit einer schwachen Autobatterie: Jeder noch so kleine Stromverbraucher zehre an ihrer Kraft.
Die Schutzvorschriften hätten auch soziale Gründe, gaben Flore und Schröer am Samstag zu bedenken. Sozial benachteiligte Menschen seien häufig nicht gut informiert, andere wiederum hätten Verständigungsschwierigkeiten.
Die Glaubwürdigkeit der Politik
Von einer schnellen Lockerung der Bestimmungen halten die beiden SPD-Politiker nichts. Zum einen sei ein großer Zusammenhalt der Politiker für deren eigene Glaubwürdigkeit wichtig. Außerdem könnte eine zweite Infektionswelle dramatische Folgen haben. „Im internationalen Vergleich steht Deutschland bisher beim Verhältnis von Infizierten zu Verstorbenen gut da“, gab Schröer zu bedenken.
Hoffnung darauf, dass in Kürze ein Impfstoff oder gar ein Medikament gegen das Coronavirus zur Verfügung steht, hatvSchröer kaum. „Es wird doch erst seit drei Monaten daran geforscht.“ Viren seien komplexe Lebewesen. Ihre Eigenschaften zu erkennen, erfordere jahrzehntelange Forschung. Die nötige Grundlagenforschung habe in Deutschland bislang keine Priorität gehabt. Wie bei der Strahlentherapie komme es bei einem Medikament darauf an, punktgenau zu wirken. Sonst werde auch gesundes Gewebe unnötig in Mitleidenschaft gezogen.
Da will sich Manfred Flore lieber auf die heutigen Schutzmaßnahmen verlassen. „In Asien ist es schon immer selbstverständlich, dass man eine Schutzmaske trägt, wenn man erkältet ist“.
Über Adeno- und Herpesviren geforscht
Jörg Schröer (53) hat nach einer Ausbildung zum Chemisch-Technischen Assistenten auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur gemacht. An der Universität zu Köln studierte er danach Biologie. Sowohl in seiner Diplomarbeit als auch später in seiner Doktorarbeit hat er sich mit Adenoviren beschäftigt. Diese Familie von Viren wird für Erkrankungen der Atemwege, aber auch für Entzündungen von Magen und Darm, Bindehaut, Blase, Nasenschleimhaut und Rachen verantwortlich gemacht.
Von 2000 bis 2007 lehrte und forschte er an der Princeton University in den USA am Lehrstuhl eines führenden Experten für Herpesviren, anschließend am Universitätsklinikum in Regensburg.
2010 zog er sich aus dem Berufsleben zurück und widmete sich der Erziehung seines Sohnes, damit seine Frau, eine Chemikerin, wieder voll berufstätig werden konnte.