Oberhausen. Die Oberhausener Kabarettistin Gerburg Jahnke spricht offen über die Probleme der Kulturszene in der Corona-Krise - und ihre persönlichen Sorgen.

Es ist 11 Uhr am Karfreitag, der Himmel ist blau, die Sonne scheint. Nur die Sitzecke am Ebertbad liegt noch im Schatten. Die Kabarettistin und Oberhausenerin Gerburg Jahnke spricht mit uns über Politik, die lokale Kulturszene in der Pandemie und die eigenen Gefühle und Sorgen. Denn: Es bleibt genug Zeit zum Nachdenken in der Corona-Krise. Das Interview voller Momentaufnahmen führte Katrin Simoneit.

Wie geht es Ihnen?

Gerburg Jahnke: Eigentlich geht es mir ganz gut. Wir haben viele Auftritte verlegt. Das Problem ist, dass dadurch mein Herbst sehr anstrengend wird. Deshalb versuche ich mir zu sagen, dass ich mich jetzt für diese Zeit ausruhen muss (lacht). Es ist nur gerade nicht die Zeit der Gelassenheit. Es gibt viele beunruhigende Entwicklungen, viele Sorgen.

Aber ich versuche, mir einen etwas entspannteren Tagesablauf zu gestalten. Ich gucke weniger Nachrichten, das habe ich am Anfang viel mehr getan. Ich gehe jeden Morgen laufen und mache Sit-Ups gegen den Schokoladenbauch. Diese Krise produziert bei mir den unbändigen Drang nach Schokolade. Außerdem versuche ich, mir jeden Tag eine Aufgabe vorzunehmen. Aber ich beschließe auch meistens gegen 18 Uhr, dass ich Feierabend habe (lacht). Irgendwie ist das völlig absurd, da mein Adrenalinspiegel sich um 19.30 Uhr meldet, weil mein Körper auf Auftritte getrimmt ist. Das baut sich aber langsam ab.

Viele Menschen bedrückt die Nachrichtenlage extrem. Geht Ihnen das auch so?

Ja natürlich, diese ganzen unbekannten Faktoren setzen eine Menge diffuser Ängste frei. Man hat ja in seinem Leben genug Science-Fiction-Filme gesehen, die genauso anfingen – mit einem unbekannten Virus, mit hilflosen Politikern, mit Menschen in Lagern. Wir kennen ja diese Bilder. Daher wissen wir ja auch, dass wenn dieses Team mit drei männlichen Helden und einer Frau nicht auftaucht, es duster für die Erde aussieht (lacht). Ich mache mir Gedanken, täglich kommen neue Meldungen. Sei es die Flüchtlingslage, häusliche Gewalt, die Dummheit dieses amerikanischen Pseudo-Präsidenten, die Situation in Italien, die Diskussion der Eurobonds. All das sind Sorgenmacher, Gelassenheitskiller.

Wie steuern Sie dagegen?

Im Moment telefoniere ich sehr viel mit anderen Menschen, ich finde „FaceTime“ ganz toll. Ich rede mit Freunden, aber auch mit Künstler-Kolleginnen. Da sind auch welche bei, die kein fettes Polster haben. Da interessiert mich natürlich, wie die Lage ist und ob ich irgendwie helfen kann. Diese Gespräche tun uns allen gut.

Sorgen Sie sich um die Künstler?

Es gibt viele Künstlerinnen und Künstler, die diese Soforthilfe in Anspruch genommen haben. Die meisten meiner Kolleginnen sind gut im Geschäft, haben auch ein kleines Polster. Das Problem ist: Wie lange ist die Durststrecke? Das ist entscheidend. Denn selbst wenn Lockerungen zugelassen werden – wir werden die letzten sein, die ihren Beruf wieder ausüben dürfen. Sagen wir mal so: Wenn die das erste Fußballspiel mit Publikum wieder erlauben, gehen wir auf die Barrikaden (lacht).

Wie erleben Sie die Situation der Kunstszene in Oberhausen?

Die Unsicherheit betrifft hier in Oberhausen natürlich das Ebertbad und andere nicht subventionierte Veranstalter. Momentan wird viel mit Gutscheinen gearbeitet, denn wenn die Leute jetzt ihr Geld zurückverlangen würden, würde dies die meisten Veranstalter sofort aushebeln. Hilfreich sind die Solidaritätstickets für eine After-Corona-Party, die das Ebertbad verkauft. Die wird inzwischen übrigens sehr, sehr groß und muss Open-Air gemacht werden. Mehrere Bands haben angeboten, kostenlos aufzutreten. Das wird grandios.

Das ist eine Finanzspritze, die dem Veranstalter hilft, grundlegende Dinge zu bezahlen. Die Stadt Oberhausen ist da relativ hilflos. Die Städte im Ruhrgebiet bewegen sich ja sowieso schon am Rande ihrer Möglichkeiten. Das Ebertbad und andere Veranstaltungsorte versuchen, Landes- und Bundesmittel zu kriegen. Die Miete im Ebertbad wird jetzt für die nächsten Monate gestundet. Der Tag wird also kommen, wo sie bezahlt werden muss.

Also eine ungewisse Zukunft für Künstler und Veranstalter gleichermaßen.

Sicher. Selbst wenn die Leute einen Gutschein haben, kommt dann ja das nächste Problem: Wenn wieder veranstaltet werden darf, sitzen dann die Leute mit ihren Gutscheinen dort, der Veranstalter nimmt aber kein neues Geld ein. Das ist dann der zweite Marathon. Die Perspektive der Veranstalter ist also gerade: Stirbst du beim ersten oder beim zweiten Marathon? Wenn du beide überlebst, hast du sehr viel Glück gehabt. Und ohne die Veranstalter können wir Künstler uns ‘ne Pfeife rauchen und auf dem Balkon sitzen bleiben.

Ist das Problem denn für Künstler schneller gelöst, wenn sie wieder arbeiten dürfen?

Es gibt momentan keinen Ort, wo das Geld liegt. Wenn wir im Herbst wieder arbeiten dürfen, müssen wir all die Termine der vergangenen Monate aufholen. Dann bekommen wir das Geld, was uns in den Dürremonaten jetzt fehlt. Aber es verlegt sich alles nach hinten.

Dabei ist ja die Frage: Werden die Menschen dann sofort wieder ins Theater gehen? Vielleicht im späten Herbst, wenn es kalt wird. Aber ich würde erst einmal rausgehen: Biergärten, Partys, Grill-Gedöns. Bei all diesen Szenarien merkt man, dass die Künstler ziemlich lange warten müssen, bis sie dran sind.

Spielen bei Ihnen persönlich noch andere Sorgen eine Rolle?

Ich spiele ja nicht nur, ich produziere auch. Die Auftritte zusammen mit Kolleginnen, beispielsweise. Dadurch ist mein Polster etwas besser. Ich kann eine ganze Weile warten. Ich kann auch Kolleginnen kurzfristige Hilfen anbieten, wie etwa ihnen einen Teil der Gage zu leihen und später abzurechnen, wenn wir wieder gemeinsam auftreten. Ich will nicht, dass irgendwo die Hütte brennt, weil 1000 Euro fehlen. Außerdem nehme ich zur Kenntnis, dass viele Kollegen im Internet aktiv sind. Ich finde das toll, kann das aber selbst nicht.

Wieso nicht?

Mich macht das Ganze irgendwie stiller. Und in diesen Zeiten interessiert es mich auch gar nicht so. Mein Mitteilungsbedürfnis ist auch nicht so öffentlich. Ich bin eher gespannt, wie die Texte sich ändern, wenn es wieder losgeht. Ich finde, man kann in einer „Danach-Welt“ nicht sofort wieder mit denselben Sachen weitermachen. Diese Leichtigkeit, diese Gags, diese teilweise sehr banalen Themen. Ich habe das Gefühl, man muss mit diesem „Da sind wir wieder, wir leben noch“ irgendwie umgehen. Wie das sein wird, weiß ich noch nicht. Ich kann jetzt auch nicht schreiben. Denn wenn ich dann Nachrichten gucke oder Zeitung lese, kommt mir das, was ich geschrieben habe, wieder völlig banal vor.

Viele Künstler sind auch momentan betont lustig. Kann Humor helfen?

Unbedingt. Was einige Kollegen im Internet machen, finde ich lustig, teilweise auch tröstlich. Aber meine Lebenswirklichkeit ist eine andere.

Ich werde nach Corona nicht total ernst auf der Bühne stehen, aber diese Gedanken, die man jetzt hat, darüber kann man danach gut reden, weil das jeder verstehen kann. Fragen wie: Was vermisse ich am meisten? Was habe ich vorher nicht genug wertgeschätzt? Was ist überflüssig? Ich hoffe, dass der Gang zurück in die Normalität nicht gedankenlos sein wird und alle das einfach abschütteln und so weitermachen wie vorher. Meine Hoffnung ist, dass ein bisschen was von den Erfahrungen hängen bleibt.

Wie sehen denn Ihre Erfahrungen aus?

Was ich jetzt gut finde, ist die Zeit für Gespräche. Und ich merke, dass man Dinge auch einfach mal liegen lassen kann. Das geht tatsächlich. Ich befreie mich auch von vielen unnötigen Dingen, räume auf, mache Platz in der Wohnung und in meinem Kopf. Kleine Buchhandlungen, die jetzt das Amazon-Loch füllen, finde ich total geil. Die Menschen erkennen, dass auch Videokonferenzen praktikabel sind. Luxusreisen, Puff-Besuche, das braucht man alles nicht. Ich finde es auch interessant, dass das Klima aufatmet. Was lernen wir daraus?

Man denkt viel nach.

Ja, aber man kann es ja gar nicht zu Ende denken. Am Anfang hat mich das verunsichert. Dann habe ich irgendwann verstanden, dass das alles relativ ist. Es gibt jetzt einen Plan für meine verlegten Auftritte, ob der klappt, weiß ich nicht. Ich werde viel gelassener. Ich bin ja da und habe Zeit. Irgendwann werde ich vielleicht ein Projekt anfangen. Es wäre eine gute Zeit, um ein Buch zu schreiben. Aber das Problem ist: Was momentan in meinem Kopf ist, wäre kein interessantes Buch. Und über die Dinge, die ohne viel Nachdenken funktionieren, will ich momentan nicht schreiben. Auch das ist der Lebenswirklichkeit geschuldet. Ich kann gerade keine Leichtigkeit vermitteln.

Es gibt einen Facebook-Eintrag von Ihnen, der durch die Decke gegangen ist. Dort haben Sie aus einem BH einen Mundschutz genäht.

Ich fand die Idee selber ganz toll. Da habe ich gemerkt: Das ist leicht, alle können darauf anspringen und gleichzeitig ihre netten Wünsche abgeben. Das gelingt mir aber nicht jeden Tag. Auch das Ebertbad dreht kleine Clips, die jede Woche auf Facebook laufen, da werde ich mit Katie Freudenschuss etwas machen. Thema ist natürlich auch Corona, unser Abstandshalter ist der Flügel. Ich habe vor, das mit sehr viel Champagner und Mon Cheriés anzugehen– 30 Minuten live trinken schaffe ich noch (lacht).

Ein bisschen was möchte das Künstlerherz dann also doch schaffen.

Sicher. Wir haben, kurz bevor das Ebertbad geschlossen wurde, ein neues Programm auf die Bühne gebracht (Anm. d. Red.: „Die Abrechnung“). Darin spiele ich Frau Gott. Wenn wir einen Zustand haben, den wir reflektieren und für die Bühne aufbereiten können, werden wir Texte darin ändern. Frau Gott wird sich dazu äußern müssen.

Glauben Sie, dass kulturelle Veranstaltungen nach der Krise mehr Wertschätzung genießen werden oder befürchten Sie das Gegenteil?

Ich glaube schon, dass es da eine Sehnsucht gibt, endlich vom Rechner oder Fernseher wegzukommen, den Arsch live in eine Halle zu setzen, danach ein Bier zu trinken und die Leute in den Arm zu nehmen. Wenn die Bühnen das überleben.