Oberhausen. Das Coronavirus stellt die Bevölkerung auch vor eine große psychische Belastungsprobe. Experten geben Tipps, wie man mental weiter gesund bleibt.
Nach Einschätzungen von Gesundheitsexperten wird die Corona-Pandemie für viele Menschen zu einer psychischen Belastungsprobe. Mit den bereits erfolgten massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens und einer anhaltenden Ungewissheit, wie und wann das Virus in den Griff zu bekommen ist, grassieren nach wie vor große Verunsicherung, Sorgen und Ängste. Damit negative Gefühle nicht die Oberhand gewinnen und Ihnen zu Hause nicht die Decke auf den Kopf fällt, geben zwei Oberhausener Psychiater eine Einschätzung der Lage aus fachlicher Sicht und halten Tipps bereit, mit denen Sie in Zeiten von Corona psychisch gesund bleiben können.
„Corona stellt für alle eine große Herausforderung dar. Es ist ein Phänomen, das in dieser Form in Deutschland völlig unbekannt war“, sagt Prof Dr. Jens Kuhn, seit 2015 Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Johanniter Krankenhauses in Oberhausen. Ein Gefühl mache sich dem Experten zufolge gerade besonders breit: der Kontrollverlust. Nichts sei auf einmal mehr planbar, Perspektiven für die Zukunft, egal ob Urlaubsplanungen, Feierlichkeiten, Eheschließung oder Kinderkriegen – dies sei momentan alles in Frage gestellt.
Corona löst ein Gefühl des Kontrollverlustes aus
„Wir wissen etwa aus der Burn-Out-Forschung, dass Situationen, in denen man einen Kontrollverlust erlebt und ein Gefühl der Hilflosigkeit erfährt, eine steigende psychische Belastung darstellen. Dies kann auch ein Auslöser für psychische Erkrankungen wie Depressionen sein“, erklärt Jens Kuhn.
Sein Oberhausener Fachkollege Dr. Johannes Nebe, derzeit kommissarischer Chefarzt des Kompetenzzentrums für seelische Gesundheit am St.-Josef-Hospital, ergänzt: „Aus Zeiten von größerer äußerer Belastung, wie Hungersnöten und Kriegen, wissen wir aber auch, dass es gesamtgesellschaftlich nicht zu einer Zunahme von Depressionen kommt. Ganz im Gegenteil: Die Menschen entwickeln ein Gefühl von Stärke und erkennen plötzlich, was für Kräfte sie in Krisenzeiten mobilisieren können.“
Tipp 1: Soziale Medien nutzen
Um allerdings die Ausbreitung des Coronavirus‘ zu verlangsamen, ist die Reduzierung der Sozialkontakte das Gebot der Stunde, auch wenn die Menschen in Krisenzeiten eigentlich lieber zusammenrücken und sich gegenseitig bestärken wollen. Dieses „Social Distancing“ trifft Familien und Paare vielleicht weniger hart als allein lebende Menschen. Psychiater Jens Kuhn rät gerade jetzt dazu, die Vorteile der sozialen Medien zu nutzen: „Wir können mit Facebook und Whatsapp unsere sozialen Kontakte so kinderleicht aufrechterhalten wie noch nie“, meint der Experte. Großeltern, die nicht allzu technikaffin sind, sollte nach Möglichkeit dabei geholfen werden, auch über Video-Chat mit ihren Enkeln in Kontakt zu bleiben.
Tipp 2: Alltag strukturieren
Das Leben und Arbeiten spielt sich derzeit in weiten Teilen der Bevölkerung nur noch in den eigenen vier Wänden ab. Es sei deshalb jetzt besonders wichtig, dass man sich und der Familie zuhause eine klare Tagesstruktur gibt - gerade im Zusammenhang mit Homeoffice. „Das Strukturgeben gibt einem auch gleichzeitig wieder das Gefühl der Kontrolle. Und das ist wichtig, weil wir mit Corona ein verstärktes Kontrollverlust-Erleben haben“, so Jens Kuhn.
Menschen, die derzeit von zu Hause aus arbeiten, sollten einen klaren Zeitpunkt festlegen, ab dem wieder die Freizeit beginnt und nicht ständig verfügbar sein. „Wer Kinder hat, kann sich darauf verständigen, dass diese in Homeoffice-Phasen ihre Schularbeiten erledigen“, empfiehlt Jens Kuhn. Auch sei es sinnvoll, sich räumlich zu separieren und die Arbeit nicht von der Couch aus im Wohnzimmer zu erledigen. So könnten Störungen durch andere vermieden werden.
Tipp 3: Entschleunigung annehmen
Sehr viele Menschen bemerken derzeit eine Entschleunigung in ihrem Leben. Die Straßen sind freier, die Busse und Bahnen sind weniger voll, Verabredungen und Termine fallen wegen Corona aus. Diese verordnete Pause wird von den meisten gerade als äußerst positiv erlebt. Das sehen auch die beiden Oberhausener Experten so: „Man kann sich mehr auf das Alltägliche besinnen, auf die Familie, auf den Garten und nun Dinge erledigen, die man schon immer mal erledigen wollte“, fasst Jens Kuhn den eigentlich Gewinn der Corona-Krise zusammen.
Statt vor heimischen Konflikten zu warnen, wertet sein Kollege Johannes Nebe die Rückbesinnung auf die Familie gerade als große Chance für das häusliche Miteinander. Diese Erfahrung zu machen, sei in Zeiten des enormen Leistungsdrucks und aufgrund der Anforderungen an unsere moderne Gesellschaft lange nicht möglich gewesen. Der Ausstieg aus dem Hamsterrad als mögliche Entspannungskur für die stressgeplagte Gesellschaft? Ja, das sei durchaus möglich, sagen die Experten. Es gelte nur, die Gesamtsituation anzunehmen und nicht dagegen anzukämpfen.
Tipp 4: Aktiv bleiben und sich gesund ernähren
Johannes Nebe betont, dass die bekannten Regeln zum Gesundbleiben mehr denn je Gültigkeit haben und auch die Psyche positiv beeinflussen. Dazu zählt er etwa ausreichenden Schlaf, eine gesunde und ausgewogene Ernährung und Bewegung.
Jens Kuhn verweist dabei auf die zahlreichen Gesundheits- und Fitness-Apps, die derzeit von vielen Anbietern sogar kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Diese helfen dabei, auch im häuslichen Umfeld weiter körperlich fit zu bleiben. „Allerdings sollte man sich auch geistig fordern“, unterstreicht Johannes Nebe - egal, ob man ein anspruchsvolles Buch liest, Musik macht oder das nächste Heimwerker-Projekt in Angriff nimmt.
Tipp 5: Nachrichtenkonsum reduzieren
"Nachrichten schlagen ganz vielen Menschen aktuell gehörig aufs Gemüt", weiß Psychiater Jens Kuhn. Besonders die allgegenwärtigen Live-Ticker, die Zahlen von Infizierten und Toten zählen, beeinflussten den emotionalen Zustand oft negativ. „Ich würde dazu raten, auf Live-Ticker zu verzichten. Diese Informationen bringen den meisten Menschen keinen wirklichen Nutzen.“ Auch der permanente Nachrichtenstrom über die sozialen Netzwerke sei aus seiner Sicht eher „ein Nachteil unserer medialen Vernetzungen". Er empfiehlt, den Nachrichtenkonsum zu begrenzen: etwa Tageszeitung am Morgen, Tagesschau am Abend.
Zwei goldene Regeln möchte Jens Kuhn den Menschen noch zusätzlich mit auf den Weg geben: „Erstens: Auf das hören, was der Arzt sagt - in diesem Fall eher der Krisenstab der Bundesregierung oder der Stadt - und dies dann auch einhalten. Zweitens: Sich nicht weiter drüber sorgen."
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