Oberhausen. Werner Bergmanns Buch „Die Geschichte machen“ handelt von zweitklassigen Helden und Schurken im Pott – mit erstklassigen Erzählungen.
Es ist ein Heimatbuch geworden, denn Werner Bergmann kann nicht anders. Der Oberhausener hat das Ruhrgebiet studiert und darüber gelehrt. Er kennt jeden Winkel der Geschichte. Das Mittelalter ist dabei zwar sein Spezialgebiet, also bevor Kohle und Stahl regieren, aber in seinem neuen Buch „Die Geschichte machen - Helden und Schurken im Ruhrgebiet“ knöpft sich der emeritierte Geschichtsprofessor alle Epochen vor und schreibt über die „zweite Liga bedeutender Personen“. Heißt: kein Krupp, kein Thyssen.
„Mein Buch sollte kein 500 Seiten langer Schinken werden“, sagt der 73-Jährige. Zwei Jahre Arbeit stecken drin, unzählige Seiten hat er dafür in Archiven gewälzt. Herausgekommen ist ein Nachschlagewerk für Pott-Persönlichkeiten aus der „zweiten Liga“. Deren Storys sind zwar weniger bekannt, haben indes alle eins gemeinsam: Sie überraschen den Leser. Kontroversen gehören dazu.
Nazischurke und fragwürdige Denkmäler
Schurke Schlageter ist so jemand. Albert Leo Schlageter ist vor hundert Jahren Mitglied des Freikorps Loewenfeld. Für den Autor ist Schlageter ein gescheiterter Bombenleger und Bauernlümmel. Trotzdem: „Wer nach Kirchhellen fährt, findet ein Denkmal zu Ehren seines Freikorps.“ Dies sei frisch geputzt und hübsch vergoldet, schildert der Geschichtsprofessor und lehnt sich auf seinem bequemen Ledersessel im heimischen Wohnzimmer nach vorn. Das Leder quietscht, doch Werner Bergmanns Stimme ist klar und seine Worte unmissverständlich. „Der Mann war aber ein Mörder und hat dutzende Arbeiter erschossen.“
Als Schlageter 1923 in Düsseldorf durch die französische Militärregierung hingerichtet wird, stößt das in der Weimarer Republik auf Empörung. Die Nazis feiern ihn fortan als Nationalhelden und die Debatte um seine Person dauert bis heute an. Denn den Opfern seiner scheinbaren „Ruhmestaten“ wird ebenfalls ein Denkmal gesetzt, erzählt Bergmann. Dessen Restaurierung sei allerdings bis vor zwei Jahren ein Zankapfel im Stadtrat von Bottrop gewesen. Schlageter, ein Schurke also, der bis heute Geschichte macht.
Dr. Eckart von Hirschhausen des 18. Jahrhunderts
Gleichwohl tummeln sich ebenso viele Helden in Bergmanns Buch. Den Bochumer Arzt Carl Arnold Kortum bezeichnet der Autor zum Beispiel frech als „Hirschhausen des 18. Jahrhunderts“. Warum? Weil der Mediziner den meisten als Verfasser der „Jobsiade“ geläufig ist. Die Geschichten über Hieronimus Jobs, einen fiktiven Faulenzer und Taugenichts, sind eine Satire auf deutsches Spießertum und Studentenleben um 1800. Der Arzt verfasst jedoch auch ein kurioses Gesundheitsbüchlein für Bergleute.
Inhalt: Gesundheitsregeln und Erste-Hilfe-Tipps. Während manche Empfehlungen durchaus richtig sind, so wie der Verzehr von frischen Früchten und Gemüse bei Skorbut, sind andere manchmal ziemlich daneben. Kortum rät im Namen des preußisch/westfälischem Bergamts 1798 ohnmächtige Bergleute als erste Maßnahme bei schlechten Wettern (Grubengas) auf zweifelhafte Weise kurieren. Zwei mit den Köpfen aufeinander gesetzte brennenden Tabakspfeifen und Rauch im Darm sollte die Besinnung der Bergleute wieder herstellen. Jedem Leser dieser Zeilen entfährt wohl unwillkürlich ein lauter Hilfeschrei. Bitte nicht!
Obacht, Bürgermeister: „Trinkt Bier“ als Wahlkampfplakat
Amüsant sind so manche der Biografien in Kurzform (zwei bis vier Seiten) allemal: Wer etwa wissen möchte, warum ein Bürgermeister im Revier einst seinen Bürgern das Biertrinken empfahl oder wieso ein Apotheker aus Essen Wegbereiter der Tütensuppe ist, bekommt in Bergmanns Buch kurzweilige Antworten und reichlich Anekdoten geboten. Über die Ruhrindustriellen hinaus baut Bergmann zurecht für „Die Geschichten machen – Helden und Schurken im Ruhrgebiet“ auf die Tüftler und Gestalter sowie die Metzler und Mörder vom Rhein bis an die Ruhr. Das mag auf den ersten Blick für Autor und Leser nur die zweite Garde der Persönlichkeiten sein, bleibt dafür aber stets lesenswert, charmant und somit erstklassig.