Oberhausen. Zeichnungen und Pappmaché-Karikaturen zeigt die Ludwiggalerie bei freiem Eintritt. Warum Donald Trump nur als Friedensengel durch die Tür passt.
Das Winken müsste Jacques Tilly noch ein bisschen üben – aber er ist ja weder Karnevalsprinz noch die Königin von England. Doch entschlossen hat der 56-Jährige das hohe Podest erklommen, um sich fotogen vor jene „Monstrosität“ namens Brexit zu stellen, die der Düsseldorfer Wagenbauer auch schon mit drei weiteren Kreationen auf die britische Insel entsandt hatte: Jetzt steht das vierköpfige Ungeheuer im Innenhof des Schlosses Oberhausen, und für Boris Johnson gibt’s von Jacques Tilly ein Küsschen auf die Nase.
Erstmals überhaupt widmet mit der Ludwiggalerie ein Museum den „Karikaturen XXL“ dieses bissigsten aller Wagenbauer eine umfassende Ausstellung, zu sehen vom 2. Februar bis 14. Juni. Im Großen Schloss residiert zwar Linda McCartneys fotografisches Oeuvre – doch sage niemand, dass die Tilly-Schau mit dem eindeutigen Titel „Politik und Provokation“ eine kleine wäre. Direktorin Christine Vogt listet auf: 194 Skizzen von Künstlerhand, dazu 576 Blätter, die an der „Medienwand“ rauschen – und so viele dreidimensionale Kreationen, wie durch die Türen der Panoramagalerie passten.
Im Falle Donald Trump stellt sich dann das amüsante Rätsel, warum er als nackerter Engel, versonnen lächelnd, durch den Raum schwebt: Die komplette Arbeit des Vorjahres hieß „Der Mörder und sein Schmutzengel“: Denn dieser Wagen zeigte den rotbesudelten Kronprinzen Salman von Saudi-Arabien, der diabolisch grinsend die Kettensäge schwingt.
„Dort oder in der Türkei käme ich direkt in ein Verlies“, sagt Jacques Tilly. Die am Donnerstag noch weit zahlreicher als üblich in der Ludwiggalerie erschienene Presse sieht er als Verbündete. Denn das globale Medienecho auf seine giftigen Kreationen hat in den letzten Jahren enorm zugelegt: mit rund 1300 Veröffentlichungen in hundert Ländern – und zwar bis in autoritär regierte Staaten Asiens und Afrikas. Der studierte Kommunikationsdesigner ist stolz, dass seine drastischen Zeitkommentare (die überwiegend mit sehr wenig Text auskommen) weltweit verstanden werden: „Das ist die schönste Bestätigung. Meine Arbeiten wirken in den Ländern, wo sie gebraucht werden.“
So brutal frech – mit spritzendem Blut oder blanken Busen, an denen Matteo Salvini als derangierte „Mama Roma“ die Säuglinge namens Rassismus und Nationalismus nährt – zeigen sich die Tilly’schen Wagen in voller Fahrt erst seit 2000: Jahrelang hatten die närrischen Auftraggeber des bekennenden Aufklärers und Humanisten mit humorlosen Anwälten zu kämpfen – auch jenen von Helmut Kohl, dessen XXL-Karikatur als Kannibale ein Baströckchen trug, das nur unzulänglich den Kanzlerpenis aus Pappmaché verhüllte. In dem fragilen Material liegt übrigens das Geheimnis der Tilly’schen Finesse: Denn andere Wagenbauer arbeiten mit dem ungleich gröberen Styropor.
Der Prozessflut entledigten sich Tilly und die Düsseldorfer Karnevalsvereine denkbar elegant: Sie halten einfach alles geheim bis Rosenmontag. „Ich darf noch nicht einmal die Themen andeuten“, sagt der Pappmaché -Satiriker, der sich stets zur Jahreswende ins Stadium der selbstquälerischen Ideensuche begibt. „Der Erwartungsdruck wird immer größer – und man muss ja noch dazu Hellseher sein“. War Martin Schulz 2017 „heiße Luft“ oder der kommende Kanzler? Tilly verwurstete ihn prophetisch mit „selber Schulz“ im XXL-Fleischwolf.
Drei Tilly-Auftritte und eine königliche Laudatio
Die Laudatio zur Eröffnung der Tilly-Schau am Sonntag, 2. Februar, um 15 Uhr hält ein Berufener, wenngleich Westfale: Denn „der bewegte Mann“ Ralf König engagiert sich wie Jacques Tilly in der Giordano-Bruno-Stiftung, der „Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung“.
Für den Wagenbauer selbst gilt die Devise: „nach Rosenmontag“. Im März, April und Mai wird Jacques Tilly in der Panoramagalerie Vorträge halten: zu den Grenzen des Humors, zum Rechtspopulismus und zum „Making of“ seiner satirischen Skulpturen.
Dieses Thema illustriert mit vielen Bauskizzen und Fotos auch der reich ausgestattete Katalog zur Ausstellung, 96 Seiten stark, für 14,90 Euro. Der Eintritt im Kleinen Schloss zu „Politik und Provokation“ ist frei, online informiert ludwiggalerie.de
Die hektischen Wochen des Wagenbaus machen den Düsseldorfer zum „verhinderten Karnevalisten“. Jacques Tilly hebt zwar an zu einer eloquenten Eloge auf das „uralte Menschheitsfest“ Karneval, auf dessen anarchische Tollheit und „die eruptive Kraft des Volkes“ – doch er selbst hat dann keine Zeit für jecke Hochrufe und Rituale. Trotz aller Kämpfe, die dieser Vorständler der Giordano-Bruno-Stiftung mit Gusto gegen Kleriker vom Papst bis zum Ajatollah ausficht – und zwar lieber gleich mit dem Breitschwert als dem Florett: „Die Gesellschaft hat sich wirklich liberalisiert“, konstatiert Jacques Tilly. „Deswegen bin ich Narr geblieben.“ Und die überreichlichen Hass-Mails der neuen Faschisten nimmt er als Futter für weitere Pappmaché-Streiche: „Ich schule mich daran.“