Oberhausen. Mit acht Fragen an die Stadt wollten Anwohner in Sterkrade die Hintergründe einer kuriosen Baumfällung erforschen. Zunächst mit mäßigem Erfolg.
Die Anwohner der Otto-Weddigen-Straße nahe der Sterkrader Innenstadt haben ihn geliebt: den herrlich-stattlichen, rund 100 Jahre alten Silberahorn. Er war ein Prunkstück der kleinen Siedlung – doch im Juni ist er überraschend mit mächtigen Sägen gefällt worden. Die Nachbarn empörten sich nicht nur im Sommer in aller Öffentlichkeit. Denn es blieb lange Zeit ein Rätsel, warum der Ahorn sterben musste. War es Willkür? War die Feuerwehr als Ratgeber nur vorgeschoben? Hat die Politik getrickst?
Selbst eine Einwohnerfragestunde und eine anschließende weitere Diskussion in der Bezirksvertretung brachten nicht die wahren Auslöser der so brutal wirkenden Fällaktion ans Tageslicht. Nicht nur die anwesenden Anwohner, sondern auch andere hatten den Eindruck, hier würden Tatsachen verschleiert, extra viele Nebelkerzen von Fachleuten und Politikern gezündet. So waberten wilde Gerüchte durch Sterkrade. Doch nun ist das Rätsel einigermaßen gelöst – hartnäckiges Nachfragen der Redaktion brachte nach Wochen ans Tageslicht: Ein alter Fluchtlinienplan von 1954 ist für den Tod des schönen Baumes verantwortlich.
Feuerwehr gab den Ausschlag
Die Anwohner hatten sich vor allem daran gestoßen, dass es nach den Stellungnahmen der Stadt die Feuerwehr gewesen sein soll, deren Empfehlung die Fällung auslöste. Der Silberahorn stand an einem Grundstück, auf dem bereits die Baugrube für das genehmigte Mehrfamilienhaus ausgehoben wurde, als die Baukommission der Bezirksvertretung die Lage prüfte. Denn der Eigentümer hatte einen Antrag auf Fällung des Baumes gestellt. Die üppige Krone ragte weit ins Grundstück hinein. Er stand nur fünf Meter von der Hausgrenze. Vor Ort zeigte sich: Der Baum versperrte den sogenannten zweiten Rettungsweg aus dem Gebäude, wenn er stehen bleiben würde. Für die Feuerwehr wäre es nahezu unmöglich, eine Drehleiter aufzustellen. Für die Baumkommission war das Grund genug, der Fällung zuzustimmen.
Da sie aber nur eine Empfehlung abgeben durfte, weil eigentlich die Bezirksvertretung selbst zuständig war, sahen Bezirksbürgermeister Ulrich Real (SPD) und Holger Ingendoh (CDU) höchste Eile für geboten. Sie wollten die Bauarbeiten nicht behindern und segneten die Fällung als Angelegenheit von „äußerster Dringlichkeit“ per sogenanntem Dringlichkeitsentscheid ab. Das ist in bestimmten Ausnahmefällen zulässig, wenn die Bezirksvertreter ihre Entscheidung nachträglich genehmigen. Der Baum wurde quasi über Nacht gefällt.
Lauxen: keine Gefälligkeiten
In der Einwohnerfragestunde ging es vor allem um die Frage, wieso die Feuerwehr überhaupt ins Spiel kam. Die Bürger hatten den Verdacht, sie könnte vorgeschoben worden sein, um die Fällung zu rechtfertigen. Beigeordnete Sabine Lauxen wies diesen Vorwurf zurück, man habe dem Bauherrn eine Gefälligkeit erweisen wollen.
Die Vertreter der Feuerwehr erklärten ihr ungewohntes Erscheinen beim Ortstermin damit, dass sie bis dahin nicht mit dem Fall befasst waren. Tatsächlich muss nach den Brandschutzvorschriften beim Bau von normalen Wohngebäuden die Feuerwehr nicht eingebunden werden – ein Gutachten eines staatlich anerkannter Brandschutzexperten würde reichen. Doch in diesem Fall gab es gar kein solches Papier, das genug Platz für die Drehleiter vor dem Haus bescheinigte.
Baurecht ist stark vereinfacht worden
Schon Mitte der 1990er Jahre ist das Baurecht in Nordrhein-Westfalen stark vereinfacht worden. Seitdem prüfen die Baubehörden und mit ihnen die Feuerwehren die Einhaltung der Vorschriften über den Brandschutz nur noch bei sogenannten Sonderbauten. Das sind bei reinen Wohngebäuden nur noch Hochhäuser.
Für Wohngebäude, die niedriger ausfallen, jedoch mehr als zwei Wohnungen haben, genügt seitdem die Bescheinigung eines staatlich anerkannten Sachverständigen für Brandschutz, dass das Gebäude nach den einschlägigen Vorschriften geplant ist. Bei Einfamilienhäusern genügt es sogar, wenn der Architekt selbst das bescheinigt.
Zu den Anforderungen an den Brandschutz gehört, dass die Rettungswege so angeordnet sind, dass bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind.
Fehlt die Bescheinigung darüber, kann die betreffende Baustelle stillgelegt werden. Eine Endabnahme sieht das Baurecht aber nicht mehr vor. Sie kann in Zweifelsfällen durchgeführt werden. In der Regel genügt die Mitteilung des Bauherrn, dass das Gebäude fertiggestellt und nach den eingereichten Plänen, also vorschriftsgemäß, errichtet wurde.
Erst weitere Recherchen brachten Klarheit: Ein uralter Fluchtlinienplan von 1954, Vorläufer der heutigen Bebauungspläne, sieht eine zwingende Baulinie entlang der Straße vor. Die Bauherren müssen ihre Häuser direkt an dieser Linie errichten. Deshalb geriet der Baum zu nah ans Haus. Das Amt oder die Bezirksvertreter hätten ihn nur retten können, wenn sie die Baulinie zurückgenommen hätten. Aber über solche Bauprojekte werden die Lokalpolitiker, anders als in der Nachbarstadt Duisburg, in der Regel nicht informiert.
Ein sogenannter kleiner Sonderbau
Dass die Feuerwehr doch ins Spiel kam, lag nach Auskunft von Stadtsprecher Martin Berger daran, dass es sich bei dem geplanten Gebäude an der Otto-Weddigen-Straße nicht um ein normales Mehrfamilienhaus handelt, sondern um einen sogenannten kleinen Sonderbau mit Publikumsverkehr. Für solche Sonderbauten ist die Feuerwehr zuständig – sie wurde hier aber irrtümlicherweise zunächst nicht eingebunden. Mit dem späten Ortstermin wurde das, so Berger, nachgeholt.
Jens Carstensen (Linke Liste) zog bei der Aktuellen Stunde für sich das Fazit, es wäre wohl sinnvoll, wenn die Baumkommission direkt im Zusammenhang mit Baugesuchen ihre Besichtigungen durchführen würde und nicht erst nach bereits erteilter Baugenehmigung. Dazu kam Widerspruch von Birgit Axt (Grüne), das könne man nicht leisten. Ulrich Real hielt schon in der Sitzung alle Fragen für beantwortet. Die Anwohner nicht.