Oberhausen. Der Schreck sitzt nach dem angekündigten Musical-Rückzug von Stage im Ruhrgebiet tief. Es fallen sogar mehr Jobs weg als offiziell verkündet.
Drei Tage nach der düsteren Entscheidung des Hamburger Musical-Betreibers Stage Entertainment, sich nach dem dunklen Blutsauger-Musikstück „Tanz der Vampire“ im Oberhausener Metronom-Theater komplett aus dem Ruhrgebiet zurückzuziehen, ist das Entsetzen über das Aus für viele Arbeitsplätze noch immer groß.
Die zuständige Gewerkschaft Verdi hat errechnet, dass sogar viel mehr Jobs in der Unterhaltungsbranche des Ruhrgebiets durch den überraschenden Stage-Beschluss wegfallen als von dem Unternehmen offiziell angegeben: mindestens 150. Denn zusätzlich zu der 88-köpfigen Stammbelegschaft in Oberhausen und den ohnehin nur noch sieben festen Kräften im Essener Colosseum sind auch noch die von Stage beauftragten Dienstleister-Jobs betroffen: Ankleider, Reinigungskräfte, Bewachungspersonal – sie alle sind nicht direkt beim Unterhaltungskonzern angestellt. „Für die Menschen, aber auch für den Tourismus- und Kulturstandort Ruhrgebiet ist das eine Hiobsbotschaft. Das Musical-Theater hat definitiv Touristen angezogen“, bewertet Ruhr-West-Verdi-Geschäftsführerin Henrike Eickholt den Vorgang.
Darsteller reisen weiter nach Stuttgart
Die etwa 30 Schauspieler, Tänzer und Sänger der aktuellen Vampire-Produktion sind zum Glück nicht von Arbeitslosigkeit bedroht: Die Darsteller erhalten ohnehin nur Zeitverträge für die jeweilige Aufführung und werden nach Angaben von Stage-Geschäftsführerin Uschi Neuss nach dem letzten Blutsauger-Tanz in Oberhausen weiter nach Stuttgart reisen.
Sie alle wurden nach Auskunft von Verdi genauso von dem Stage-Rückzug überrascht wie die Politik vor Ort, Tourismus-Manager der Region, Musical-Nachbarn und die Gewerkschaft. „Die Gesichtszüge sind allen entgleist, als auf der Belegschaftsversammlung das Aus verkündet wurde. Alle waren geschockt, viele sauer und wütend“, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Till Düwel. „Natürlich war einigen bekannt, dass die Lage nicht ganz einfach ist, aber mit einer Schließung hatte keiner gerechnet. Und erstaunlich ist auch, dass es so schnell gehen soll.“ Einer rief aus, was viele dachten und denken: „Das ist ein Schlag ins Gesicht.“
Nur zwei Produktionen mit Gewinn
15 Jahre nach dem Kauf des Metronom-Theaters und einem dauerhaften Musical-Betrieb durch Stage Entertainment mit zwölf Produktionen begründete das Unternehmen den harten Beschluss damit, man habe in der gesamten Zeit nur zwei Produktionen gehabt, die ihre Kosten eingespielt hätten: Die spektakuläre Leinen-Show Tarzan mit Schwüngen der Darsteller über die Köpfe der Zuschauer hinweg im ersten Jahr und die erstmalige Aufführung von „Tanz der Vampire“ vor elf Jahren.
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Dieser Argumentation glaubt allerdings kaum jemand im Ruhrgebiet. „Stage ist insgesamt ein expandierendes Unternehmen, dem es auf jeden Fall gut geht, sie bauen Stellen und Häuser aus. Dass man 15 Jahre lang zugeschaut hat, wie man Verluste einfährt, ist nicht gerade lebensnah“, sagt Düwel.
US-Medienfirma besitzt Stage
Der von Joop van den Ende gegründete Musical-Betreiber Stage Entertainment (Hamburg) bespielt derzeit 13 Theater in fünf Städten. Die meisten Theater befinden sich als Immobilie im Besitz des Unternehmens. Der niederländische Multimillionär hat die Firma mehrheitlich 2015 an eine Finanzfirma verkauft (CVC Capital Partners), die schon einmal Kosten reduzierte.
Seit Ende 2018 gehört das deutsche Musical-Unternehmen vollständig dem US-Medienkonzern „Advance Publication“ (New York), das eigentlich Zeitungen und Magazine herausgibt und sich erstmals im Live-Entertainment-Bereich engagiert. In die Entscheidung gegen Oberhausen sei Advance selbstverständlich eingebunden gewesen, sagt die Stage-Geschäftsführerin Uschi Neuss. „Aber der Eigentümer hat keinen Druck gemacht; wir haben den Beschluss auf Grundlage der Fakten der vergangenen 15 Jahre gefällt.“
Die Ruhr-West-Verdi-Geschäftsführerin Henrike Eickholt ist selbst begeisterte Musical-Liebhaberin, war nach eigenen Angaben sehr häufig im Metronom-Theater. „Der Saal war zu unterschiedlichen Zeiten immer sehr voll. Die Entscheidung kann ich nicht nachvollziehen.“
Stage hatte angegeben, Karten im Schnitt nur über stark abgesenkte Preise verkauft und nur eine schlechte Auslastung von 50 Prozent erreicht zu haben – das Ruhrgebiet habe zu wenig Touristen angelockt und die Einheimischen seien nicht genug bereit dazu, die „notwendigen hohen Ticketpreise für unser Premium-Produkt zu zahlen“.
Starlight Express allerdings erfolgreich
Stage-Chefin Uschi Neuss konnte allerdings nicht so recht erklären, warum im Gegensatz zum Oberhausener Standort das Musical „Starlight Express“ im Ruhrgebiet seit Jahrzehnten ein Erfolgsgarant ist. „Das ist tatsächlich ein Phänomen, aber es ist das erste große Musical gewesen, es ist älter und deshalb bekannter.“ Lag es also vielleicht doch an der Art der ausgewählten Stücke? Hat man zu wenig geworben? Waren die Eintrittspreise zu hoch? „Wir haben 15 Jahre lang alles probiert, deshalb muss es daran liegen, das etwas hier strukturell nicht richtig läuft“, ist Neuss überzeugt.
Verdi beruft in der nächsten Woche eine Mitgliederversammlung von Oberhausener und Essener Stage-Mitarbeitern ein. Die Gewerkschafter wollen sich nicht kampflos geschlagen geben und möglichst viel für die Belegschaft erreichen. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Stage kann nicht einfach die Häuser schließen und allen kündigen; ein Sozialplan ist notwendig“, sagt Düwel. Denn es gelte der Tarifvertrag. Dabei gehe es um Abfindungen und um Ersatz-Arbeitsplätze. Vielleicht gelinge es ja, das geplante plötzliche Ende hinauszuzögern, damit die Mitarbeiter „keinen so harten Sturz erleben“.
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