oberhausen. . Zu den fröhlich Grenzen sprengenden Experimenten der Kurzfilmtage zählt Conditional Cinema: Als Kurator feiert Mika Taanila das „Kino der Worte“.
„Ich sprenge alle Ketten“, sang einst Ricky Shayne, nun Star der allerersten Serie in der Historie der Internationalen Kurzfilmtage. Genre-Ketten sprengt auch das Traditions-Festival ganz gerne: Sei es mit einer Trash-bunten Ausstellung 2017 im Zentrum Altenberg oder im Jahr drauf mit einem im Intercity entwickelten und im Bahnhof uraufgeführten Streifen zur live gemixten Klang-Collage.
Andere Grenzen sprengende Experimente allerdings können im Gedränge von täglich rund 25 Programmen zwischen 8.30 Uhr und Mitternacht schon mal unter den Radar rutschen. Erst recht, wenn ein so akademischer Programmtitel wie „Conditional Cinema“ dem unverbildet Neugierigen erst mal gar nichts verrät.
Karaoke – aber gesprochen, nicht gesungen
In dem auf drei Festival-Jahre angelegten Projekt, kuratiert von Mika Taanila, dem finnischen Filmemacher und bildenden Künstler, geht’s stets um Kino mit Live-Elementen – sei es durch menschliches Zutun im Projektorraum, im Saal oder auf schmaler Bühne vor den Leinwänden.
Im mittleren Jahr der „Conditional Cinema“-Trilogie feiert Mika Taanila das „Kino der Worte“ – und hat sich aus seiner nordischen Heimat die Speech Karaoke Action Group eingeladen. Aus deren Fundus von über 400 Reden in zwölf Sprachen gilt es, am Donnerstag, 2. Mai, um 19.30 Uhr Texte über das Kino nachzusprechen – vom finnischen Querkopf Aki Kaurismäki bis zum Allgäuer Kufita-Urgestein Werner Herzog. Auch besondere Reden aus Filmen zählen zum Karaoke-Angebot.
Schön bemooste Keramikfiguren
Mit ihrem work in progress „Ficciones“ kehrt die mexikanische Filmemacherin Manuela de Laborde zurück: Im Vorjahr hatte sie jene Keramikfiguren, die in ihrem Werk als Darsteller auftreten, an Oberhausener Gastgeber verteilt und will sie nun – möglichst schön bemoost – wieder einsammeln. Im Gloria-Saal der Lichtburg zeigt sie am Samstag, 4. Mai, Szenen aus „Ficciones“ und spricht dazu über ihr Konzept.
Den sprichwörtlichen Zelluloid-Streifen ließ Peter Miller im Vorjahr von Hand zu Hand durch die Zuschauerreihen reichen. Ebenfalls im Gloria zeigt der Wahl-Kölner nun seine exakt auf den Saal abgestimmte Klang-und-Licht-Performance „Frames per Second“.
Die Skandal-Kugel als gesitteter junger Mann
Ein zartes Memento für verschwundene Filmkunst präsentiert Youki Hirawaka am Sonntag, 5. Mai, um 14.30 Uhr mit „The Better Way back to the Soil“. Vermutlich 80 Prozent aller aus der Stummfilm-Ära stammenden Filme gingen in den letzten 90 Jahren für immer verloren. Erhalten blieben oft nur die Titel der Werke – die der japanische Künstler nun zu einer „dezenten Komposition“, so Mika Taanila, zusammenfügt.
Last, not least, sorgt „Conditional Cinema“ für ein überraschendes Wiedersehen mit dem heute nur noch als Skandal-Kugel populären Gerard Depardieu: Als Jungstar, der sich gerade mit Bernardo Bertoluccis fünfstündigem Historien-Epos „1900“ einen Namen gemacht hatte, zeigt er sich 1977 an der Seite von Marguerite Duras in „La Camion“ ganz gesittet: Die damals 63-jährige Grande Dame der französischen Literatur und Filmkunst unterhält sich mit dem 28-jährigen Depardieu über ein hypothetisches Drehbuch für einen zukünftigen Film: Man liest und kommentiert – aber man spielt nicht. Pures Kopfkino.
>>>>> Von Kassel und Venedig nach Oberhausen
Kurator Mika Taanila war als Filmemacher und bildender Künstler auf etlichen namhaften Festivals und Groß-Ausstellungen vertreten: Der Finne war Gast der 2017er Kunst-Biennale von Venedig und der 2012er Documenta in Kassel. Das Filmschaffen Taanilas reicht von zweistündigen bis zu zweiminütigen Werken. Am Anfang stand vor 22 Jahren ein vertrauter Titel: „Thank you for the Music“ ist eine halbstündige Kritik der allgegenwärtigen Muzak.