OBERHAUSEN. Im Intercity aus Mainz dreht, entwickelt und schneidet die Klasse von John Skoog einen Kurzfilm: „Strangers on a Train“ hat Premiere im Bahnhof.
Junge Leute hantieren mit Kunststoffgefäßen voller Chemikalien unter den kleinen Abteiltischchen des IC 2220 von Mainz Richtung Lübeck. „Das sieht ein bisschen gefährlich aus“, meint John Skoog vergnügt, „ist es aber nicht“. Der Sonntags-Scoop für die Internationalen Kurzfilmtage ist dem 32-jährigen Schweden und seiner Filmklasse an der Kunstakademie Mainz geglückt: Zu einer für Jungakademiker unchristlichen Stunde – um 6.17 Uhr – bestiegen 15 Filmverrückte den IC 2220, um auf der Fahrt über Münster nach Oberhausen („ein kleiner Umweg“, so Skoog) einen Kurzfilm zu drehen, zu entwickeln und zu schneiden: Auf 16 Millimeter – denn digital könnte ja jeder.
„Wir haben das Schweigen der Bahn als Ja genommen“
Und weil die Crew mit ihren Fixiertanks gleich für Positiv- statt Negativbilder sorgte, erklärt der junge Dozent mit Wohnsitzen in Frankfurt und Kopenhagen, „ist dieser Film ein Unikat“. Der Titel ist es nicht – denn „Strangers on a Train“ hatte sich schon im Herbst des Vorjahres in Bewegung gesetzt. Damals ging auch eine Anfrage der Filmklasse an die Deutsche Bahn.
Antwort? Keine Antwort. „Was soll’s“, sagte sich John Skoog, „wir haben das Schweigen als Ja genommen.“ Den wie Aufnahmen aus der vorletzten Jahrhundertwende wirkenden, überhellen Bilder dieser Bahnfahrt gibt der Tonmeister den besonderen Clou: Daniel Voigt ging mit einem schlichten Diktaphon durch den Zug, sammelte Brems-Geräusche und Durchsagen und überspielte sie auf ein kleines Arsenal von Musicassetten als Drei-Sekunden-Loops. Angekommen im Oberhausener Hauptbahnhof – die Bahn war pünktlich – brauchte es nur noch ein kleines Basis-Mischpult neben dem surrenden Projektor: Voigts Live-Mix zu jenen Bildern, die er während der Premiere zum ersten Mal sah, war jedes Top-DJs würdig.
Die vermeintlichen technischen Unzulänglichkeiten ihrer vorgestrigen Ausstattung machen für Voigt und Skoog den Charme ihres Werkes aus. Ist es Bandrauschen – oder doch der Rausch der Geschwindigkeit? Die zittrigen Filmbilder dazu wirken wie aus jener Zeit, als die ersten „Kino“-Besucher in Kirmeszelten in Panik vor herannahenden Zügen davonliefen. Der Soundtrack aber – ein Geräuschmix ohne „echte“ Instrumente – gleicht dank seiner rhythmischen Qualitäten einer Lo-Fi-Version von Kraftwerks „Trans Europa Express“.
Alles andere als entspanntes Reisen
Für die Filmklasse aus Mainz war die Live-Arbeit in den beiden Zügen nach Münster und nach Oberhausen allerdings alles andere als entspanntes Reisen mit TEE-Flair. Das nach gut der Hälfte der elf Filmminuten aufflackernde Stillleben eines Kaffeebechers darf man wohl als Sehnsuchtsmoment interpretieren.
Zum Schluss zeigt „Strangers on a Train“, diese altmodische Huldigung an die Geschwindigkeit (auch des Filmemachens, versteht sich) Porträt-Aufnahmen der Reisenden. Eine verhallte Durchsage wird zum Fragment eines „Hauptbahnhof“- Raps. Man liest „Oberhausen“ und sieht letzte Bilder vom abfahrenden Zug. Das Rattern verhallt. Applaus – und Extra-Jubel für den IC-DJ mit dem Diktaphon.