Oberhausen. . Julius ist erst Sieben, trotzdem bleibt ihm nicht mehr viel Zeit, denn Julius hat Krebs. Wieso er im Legoland sogar den Weihnachtsmann traf.
„Mama, schau mal hier — ein Zug! Mama, guck ein Schiff! Mama! Ein Ghostbuster!“ Melissa Scholten stutzt kurz. „Ghostbuster? Ehrlich? Wo denn?“, fragt sie stirnrunzelnd ihren Sohn Julius und beugt sich weiter über die Plexiglasscheibe. Julius ist mit seiner Mutter am Dienstagnachmittag zu Besuch im Legoland am Centro. Die beiden wohnen in Heiligenhaus und wie viele Jungen ist der Siebenjährige zwischen den großen und kleinen Dingen aus Legosteinen ungeduldig, hibbelig und vielleicht ein wenig anstrengend.
Äußerlich unterscheidet sich Julius kaum von den anderen Kindern im Legoland, außer, dass er als einziger eine rote Pailletten-Weihnachtsmütze trägt. Er sei etwas dünner als andere in seinem Alter, meint seine Mutter. Der dramatische Unterschied allerdings ist für die Augen unsichtbar: Julius, 7 Jahre alt, ist todkrank. Er leidet an unheilbarem Knochenkrebs und hat womöglich nicht mehr viel Zeit. Was ihm bleibt sind ein paar Tage, Wochen, vielleicht Monate. Egal wie lange: Julius soll es so schön wie möglich haben, beschließt seine Mutter vor einiger Zeit und sagt daher möglicherweise seltener als andere Eltern mal das Wort „Nein“. Muss sie auch nicht so oft, denn abgesehen vom Krebs ist Julius ein ganz normaler Junge. Deshalb zurück zu seinem Lieblingsspielzeug: Lego.
Geisterjäger entdeckt
Denn direkt neben einem roten Plastik-Backstein-Bau steht tatsächlich eine Playmobil-Ausgabe des „Ecto-1“. Den Kultwagen der Hollywood-Geisterjäger verortet vermutlich niemand an den Docks der Duisburg-Ruhrorter Häfen. Im Legoland hat Julius die Geisterjäger trotzdem in Windeseile entdeckt. „Den haben sie aber gut versteckt“, sagt seine Mutter. Ihr Sohn nickt und zieht sie weiter kräftig an der Hand. Hier im Mini-Ruhrpott ist er fertig. Genug gesehen.
Das Schicksal von Julius berührt schon länger viele Menschen. Wer mag sich vorstellen, wie es ist, sein eigenes Kind gehen zu sehen? Und viele haben bereits von Julius Kampf gegen die Krankheit in dieser Zeitung gelesen oder einen Bericht im Fernsehen gesehen. 20 Chemos, 38 Bestrahlungen und zwei große Operationen hat der tapfere Julius bereits hinter sich.
Jeder Tag ist ein Geschenk
Im Frühling ist Schluss mit der Tortur: Weil der Krebs erneut zurück ist, kann und will Melissa Scholten einer so zermürbenden Weiterbehandlung nicht mehr zustimmen. Noch mehr Qualen will sie ihm ersparen, „weil ich ihm nicht versprechen kann, dass der Krebs dann nicht zurückkommt.“
So traurig es ist, für Melissa Scholten ist jeder weitere Tag mit ihrem Sohn ein Geschenk. „Wir machen nicht immer was Besonderes, sind auch mal faul und bleiben im Bett.“ Aber manchmal sind andere für sie da, laden den Jungen und die Mutter auf eine Kreuzfahrt ein oder gönnen dem Kind einen Zeppelinflug über Mülheim. Es sind auch kleine Gesten, wie leckere selbst gebackene Kekse einer Freundin, die Julius und seiner Mutter den Tag versüßen. Im Legoland überrascht Julius sogar der Weihnachtsmann persönlich.
Ärzte bisher Lügen gestraft
Ehrfürchtig schaut er dem Mann in Rot auf den weißen Bart. „Ich hab was für dich“, sagt der Weihnachtsmann. Julius kleine Händchen schlüpfen vorsichtig in den Sack. Ein etwa taschenbuchgroßes gelbes Geschenk ist schnell aufgerissen. Mr. & Mrs. Claus aus Lego — natürlich. „Julius bekommt in letzter Zeit öfter ein Geschenk außer der Reihe“, erzählt seine Mutter.
Es ist kein Wehmut in ihrer Stimme, als sie von Weihnachten spricht. „Ich plane nur ein paar Tage vor — mehr nicht.“ Ihr Sohn hat die Ärzte bisher Lügen gestraft: Weihnachten wird er nicht erleben, stellten sie vor Monaten als Diagnose. Wer den Kleinen im Legoland herumrasen sieht, kann das nicht glauben. Für Melissa Scholten ist das das schönste Geschenk zum Fest. „Es ist doch schön, wenn sich auch die Ärzte mal irren.“
Blog von Melissa Scholten
Um die Situation, dass ihr einziges Kind sterben wird, zu verkraften, und weil die Anteilnahme so enorm an Julius’ Schicksal war, beschloss Melissa Scholten, den Alltag und all das, was Julius erlebt, in einem Blog festzuhalten.
Einerseits, weil „viele liebe Menschen immer wieder lieb nachgefragt haben, aber irgendwann die Kraft fehlt.“ Andererseits, weil sie vermitteln will, „dass wir aus jedem uns noch bleibenden Tag machen sollten. Ich will damit anstoßen, dass gesunde Menschen mal darüber nachdenken sollten, aus ihrem Trott und Alltag herauszutreten. Das habe ich durch die krebskranken Kinder gelernt.“ Hier geht’s zum Blog: juliustigerherz.wordpress.com.