Heiligenhaus. . Julius leidet unheilbar an Knochenkrebs. Seine Mutter will aus den letzten die bestmöglichen Tage machen – zum Beispiel durch einen Zeppelinflug.

Es rappelt im Kinderzimmer, danach wird es laut: „Mama, es ist kaputt“, läuft der siebenjährige Julius aufgeregt zu seiner Mutter, Melissa Scholten, die aber schnell das Lego-Teilchen wieder reparieren kann. Noch ist es laut, wenn Julius tobt – doch leider gab es schon andere Zeiten, und leider wird es auch sehr still werden. Irgendwann, wenn der Tag X kommt, auf den Melissa Scholten sich vorbereiten muss. Denn Julius wird sterben. Er ist unheilbar am Ewing-Sarkom, einer bösartigen und aggressiven Knochenkrebsform, erkrankt.

Ihre Geschichte erzählt Melissa Scholten täglich in einem Blog – und bewegt damit viele Menschen. Denn die Botschaft, die sie transportieren möchte, ist ganz eindeutig: Sie wollen aus jedem noch verbleibenden Tag das Beste machen – und das sollten alle gesunden Menschen auch tun.

Es ist eine Diagnose, die niederschmetternder nicht sein könnte. „An seinem vierten Geburtstag haben wir erfahren, dass er einen bösartigen Tumor im Brustkorb hat“, berichtet Melissa Scholten. Der Kampf wurde aufgenommen, die erste Chemotherapie begann. „Unser Leben bestand nur noch aus kämpfen, aber das können wir gut. Es war eine harte Zeit, aber Julius war unglaublich tapfer. Immerhin ist sein Spitzname Tiger, er hat immer so gebrummt als Baby, ist auch genauso aufgeweckt.“

Die zweite Chemo, die sei jedoch sehr schlimm gewesen. „Ich habe ihm versprochen, ihn nie alleine zu lassen, habe mir auch die Haare abrasiert, als er seine verlor“, berichtet Scholten. Versprochen hatte sie ihrem Sohn dann auch, dass er nie mehr ins Krankenhaus müsse.

Im Frühling war der Krebs wieder da

Nach 20 Chemos, 38 Bestrahlungen und zwei großen Operationen folgte im Frühling dieses Jahres die Gewissheit: Der Krebs ist zurück, die Tage von Julius gezählt. Da es keine konservative Therapiemöglichkeit mehr gibt, wollte die Mutter dem Kleinen, der aufgrund der vielen Behandlungen sich nicht seinem Alter entsprechend entwickeln konnte, auch keine Experimente mehr antun. „Ich konnte mich nicht mehr darauf verlassen, und ich kann ihm nicht versprechen, dass der Krebs dann nicht zurück kommt.“

Die Feuerwehrfrau pflegt seitdem Julius zuhause, erhält Unterstützung, professionell, aber vor allem von ihrer Familie, von Freunden und ihren Kameraden der Feuerwehr Ratingen. „Ich bin sehr glücklich und dankbar, da nicht alleine durchzumüssen, obwohl ich alleinerziehend bin. Der Rückhalt ist enorm, ohne diesen würde ich das alles auch nicht schaffen“, ist Scholten dankbar. Und auch Julius gibt ihr Kraft. „Es gab einen Moment, da konnte ich nicht mehr und habe mich für alles entschuldigt. Da hat er meinen Kopf genommen und gesagt: ‘Mami, wir schaffen das.’“

Ihr Blog hilft auch anderen Menschen

Um die Situation, dass ihr einziges Kind sterben wird, zu verkraften, und weil die Anteilnahme so enorm an Julius’ Schicksal war, beschloss Scholten, den Alltag und all das, was Julius erlebt, in einem Blog festzuhalten. Einerseits, weil „viele liebe Menschen immer wieder lieb nachgefragt haben, aber irgendwann die Kraft fehlt“, so Scholten. Andererseits, weil sie vermitteln will, „dass wir aus jedem uns noch bleibenden Tag das Beste machen sollten. Ich will damit anstoßen, dass gesunde Menschen mal darüber nachdenken sollten, aus ihrem Trott und Alltag herauszutreten. Das habe ich durch die krebskranken Kinder gelernt.“

Dass er krank ist, das weiß der kleine Kämpfer, „aber nicht, dass er Krebs hat und was das genau bedeutet. Wir erzählen ihm, was er wissen muss, aber mehr nicht“, erklärt Melissa Scholten. „Ich habe ein total motiviertes Kind, und das braucht man auch, wenn man sowas zusammen überstehen will.“ So nennt er den Zugang für die Chemo, den Port, den er nach wie vor unter der Haut trägt, seinen Porti, „das ist wie sein Kumpel, der gehört einfach dazu“, so Scholten.

Neben der Pflege gibt es noch Bürokratie

Dieses Jahr wäre Julius eigentlich eingeschult worden. „Das war ein ganz schön bürokratischer Wahnsinn, es gibt für alles ein Formular, man kann nicht einfach sagen, mein Kind wird sterben“, ärgert sich Scholten ein wenig über solche Stolpersteine. Ein wenig hart sei es für sie schon gewesen, die anderen Kinder zu sehen, wie sie nun zur Schule gehen. „Aber er soll einfach nur spielen und Dinge erleben. Das bisschen Leben, das wir noch haben, wollen wir mit schönen Momenten füllen.“

Und so wurden Julius bereits viele seiner Herzenswünsche erfüllt. Jüngst organisierte der Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes eine Zeppelin-Fahrt in Mülheim – denn von dem Luftschiff ist Julius ein großer Fan. „Er ist schon einmal geflogen, aber ich bin froh, dass wir ihm das noch einmal ermöglichen konnten. Solche großen Events, die wird es nicht mehr geben, denn die kosten auch immer viel Kraft“, berichtet Scholten. Eher kleine Dinge wollen sie nun machen, „schönes Wetter ausnutzen, Reiten gehen und solche Sachen.“ Wie auch Zeit mit ihrem Partner und dessen Kindern gemeinsam zu verbringen.

Schwere Entscheidungen zu treffen

Aber viel haben sie schon gemacht, unter anderem überraschten die Feuerwehrkameraden Scholten mit einer Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer, die sie komplett finanziert hatten. „Julius durfte sogar auf die Brücke zum Kapitän“, berichtet Scholten. Mit einem gebrochenen Bein kam Julius auf das Schiff, „und er hat dort so viel im Pool gespielt, auf einmal kam er laufend wieder heraus“, ist Scholten immer noch sehr glücklich über die psychisch und physisch so wohltuende Reise.

Doch die vielen guten Momente, die sie mit Julius erlebt, können nicht darüber hinwegtrösten, wie schwer krank der Kleine ist. „Wir brauchen morgens mindestens eine Stunde, um uns fertig zu machen, denn Julius bekommt starke Medikamente.“ Mittlerweile trägt Julius eine Morphiumpumpe, die er 24 Stunden in einem Rucksack bei sich trägt. Außerdem kriegt er Cannabis, gegen die Übelkeit und als Appetitanreger.

Momente, in denen man sich schuldig fühlt

Nicht mehr ein lässt sich Scholten auf Diskussionen und Meinungen von Außenstehenden. „Es gibt immer welche, die verstehen meine Entscheidung nicht, die mich kritisieren und die ihre Meinung kundtun, die mir Tipps geben wollen. Ich kann nur sagen: Ich habe alles ausprobiert, mich über alles informiert, wir haben uns entschieden und das muss man dann auch akzeptieren.“ Und die Familie sowie der Kindsvater stehen hinter ihr.

Auch wenn sie ständig Komplimente erfahre, wie stark sie sei und wie tapfer, findet Scholten: „Was soll ich machen? Ich habe doch keine andere Wahl.“ Leicht sei ihr das alles nicht gefallen, „natürlich macht man sich ständig Vorwürfe und hinterfragt alles, denn es ist mein einziges Kind, Julius ist mein Leben. Auf der einen Seite will man als Mutter, dass das Kind lebt. Aber du willst dein Kind auch nicht leiden sehen. Und wenn du die Urne und das Grab für dein Kind aussuchst, dann fühlst du dich als Mutter einfach nur schuldig. Und elend.“

Viele kleine Wünsche werden nun realisiert

Weil sie dachten, dass Julius den Sommer nicht mehr erlebt, feierten sie bereits im April seinen Geburtstag, der eigentlich erst im Juni ist. „Und Weihnachten werden wir sicherheitshalber im November feiern“, so Scholten, „und ich bin guter Dinge, dass er das erlebt“, ist Scholten zuversichtlich. Und kleine Wünsche, davon hat der kleine Tiger eine ganze Menge.

Ein weiterer wurde ihm durch Ruby, die Jack-Russel-Hündin, vor wenigen Wochen erfüllt. „Ein Herz und eine Seele“, schwärmt Scholten, und weiß auch: „Sie wird auch mein wichtiger Begleiter werden, wenn Julius nicht mehr ist.“

Wer weint, kann die schönen Momente nicht erleben

Bis dahin wird Melissa Scholten jeden Tag alles daran setzen, das Leben für Julius so schön wie möglich zu machen. Scholten bittet jedoch darum: „Große Wünsche haben wir nicht mehr, auch finanziell brauchen wir keine Unterstützung.“ Viele Menschen hatten sich nach einem Medienbericht über die Zeppelinfahrt bei ihr gemeldet – mehrere zehntausend Menschen besuchten ihren Blog. „Da war ich sprachlos“, so Scholten. Nein, die Wünsche sind nun kleiner, „Lego geht immer, und seine Brio-Bahn liebt er über alles“, so Scholten. Wie ein ganz normaler Junge eben.

Und wie sie das alles schafft, verrät Scholten auch. „Man muss die Situation annehmen. Wenn du nur weinst, dann kannst du die schönen Momente nicht erleben.“