Oberhausen. Der stärkste Moment bei „Imitation of Life“ gehört dem leeren Bühnenbild. Regisseur Kornél Mundruczó zeigt im Theater Oberhausen mehr Film als „Life“.
Was soll man von einem Drama halten, in dem das bewegte Bühnenbild für den spektakulärsten Moment sorgt? Und zwar allein das Bühnenbild – menschenleer. Kornél Mundruczó, der ungarische Regisseur mit ausgeprägten Ambitionen als Filmemacher, macht aus dem Kopfstand seines Bühnenbildes für „Imitation of Life“ den Drehmoment seiner Inszenierung.
Die kleine Guckkastenbühne mit der Ein-Zimmer-Altbauwohnung und den hohen Erkerfenstern im Hintergrund schwenkt zunächst leise auf die Seite. Dann setzt – immer lauter – das Gepolter ein. Ärmlicher Hausrat stürzt aus den Schränken. Das Bühnenbild von Martón Ágh wird erst nach einer kompletten Drehung knirschend zum Stillstand kommen.
Man ist in Versuchung, diesem Stunt ganz ohne Stuntmen zu applaudieren. Die Umwälzung macht sogar Sinn in diesem Drama sehr frei nach Douglas Sirks gleichnamigem letzten Hollywood-Melodram. Denn vorher wohnte hier die alte Roma-Frau (Lili Monori). Danach feilscht Veronika (Annamaria Lang) hier um Mietvertrag und Schlüssel – und verschweigt dem bulligen Büttel der Wohnungsgesellschaft (Mihaly Sudár) ihren kleinen Sohn.
Film-Streit mit Finten und Finessen
Zwei Generationen, zwei Geschichten – doch nur die erste ist mehr als Andeutung. Mundruczó erzählt sie bezeichnenderweise in einem über 20-minütigen Film, ehe auch nur das Bühnenbild der Wohnung zu sehen ist. Und man kann nicht wissen, ob diese lange Einstellung auf dem Gesicht von Lili Monori eine Aufzeichnung ist oder vielleicht „live“ das Geschehen auf verdeckter Bühne zeigt.
Allerdings ist’s verständlich, dass Mundruczó die verzweifelt-lebensvolle Mimik der einzigen festen Ensemble-Spielerin seines Budapester Proton-Theaters ganz groß zeigen will: Das tragische Spiel beginnt geradezu komödiantisch mit Finten und Finessen um den Mietvertrag. Zügig wird klar: Der alten Frau droht der Rausschmiss. Wenn sie nach Atem ringt, sieht man darin zunächst – wie der Büttel außerhalb des Kamera-Bildes – wohl einen mitleidheischenden Trick.
Doch das Streitgespräch wird zum eindringlichen Monolog der Alten: Sie erzählt die Geschichte ihrer Roma-Familie. Sie erzählt, wie ihr Sohn Szilvezster sich schon als Kind von der Familie abstößt, sich Haut und Haare bleichen will, um kein „Tzigan“ mehr sein zu müssen. Dann hebt sich die Filmleinwand und auf der Wohnküchenbühne bricht sie zusammen.
Dass sie im Krankenhaus gestorben ist, zeigt erst das nächste grobe Streitgespräch zwischen dem Büttel und der jungen Veronika. Doch deren Geschichte ist nur angerissen. Wieder gibt es düster-schöne Filmbilder (die es allerdings unmöglich machen, auch die Übertitel zu lesen). Und dann taucht der vermisste Szilvezster in der wieder vermieteten Wohnung auf . . .
Dieser Abschied von einem quälend unglücklichen Leben wirkt zugleich wie Kornél Mundruczós Abschied vom Theater: Film und Bühnengeschehen finden hier zu keiner Einheit. Das Bühnenbild selbst kreischt – aber der Schmerz von Mutter und Sohn berührt kaum in dieser übertechnisierten Rückschau auf eine verlorene Welt.