Oberhausen. . Rüstem Dalo lenkt seit 20 Jahren Busse durch die Stadt. Einzelne Strecken kennt er wie seine Westentasche. Auf der Trasse fährt er besonders gern.

Rüstem Dalo schaut kurz nach rechts und wirft seiner Frau gegenüber in der Wohnung durch das geschlossene Fenster des Busses einen Luftkuss zu. Sie blickt auf und winkt zurück. Zwar bereitet sie bereits das Abendessen vor, doch bis ihr Mann nach Hause kommt, muss sie sich noch gedulden. Ein paar Stunden arbeitet Rüstem Dalo noch. Er ist Busfahrer in Oberhausen und bringt an diesem Tag Fahrgäste der Linie SB92 zu ihrem Ziel.

„Die Linie SB92 mochte ich früher am liebsten, als wir noch in Osterfeld gewohnt haben, da bin ich bei uns zu Hause vorbeigefahren und habe meine Frau gesehen oder unsere Kinder“, erzählt der 51-Jährige die Anekdote aus der Vergangenheit.

Nichts bringt ihn aus der Ruhe

Schon seit zwanzig Jahren ist er bei der Stoag angestellt und befördert täglich Fahrgäste durch das Stadtgebiet. Mal auf der einen, mal auf der anderen Strecke. „Wir wechseln bis zu sechs Mal am Tag die Linien und tauschen die Busse meistens am Bahnhof in Sterkrade, am Hauptbahnhof oder bei den Stadtwerken.“

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Alle 38 Linien zu befahren, ist für den gelernten Berufskraftfahrer kein Problem. Es sei Abwechslung und nach 20 Jahren könne ihn so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Er habe noch nie größere Probleme mit Fahrgästen gehabt. „Vieles klärt sich, wenn man mit den Leuten spricht.“

Weinende Kinder kennt er selber von zu Hause. Und auch mit Betrunkenen kommt er klar. Wenn er die Endhaltestelle erreicht und alkoholisierte Fahrgäste eingeschlafen sind, weckt er sie. „Meist sind sie zu weit gefahren, dann rede ich ihnen gut zu: ‘Schlafen Sie weiter, ich wecke Sie später.’“ Schließlich hält der Bus auf dem Rückweg an den gleichen Stationen. Nicht nur schlaftrunkene Kneipengänger findet er an der Endhaltestelle im Bus.

Kind ohne Eltern weint im Bus

Regenschirme, Handys, Schokotickets, volle Tüten. Solche Dinge würden am meisten im Bus vergessen. „Einmal stand ein Kinderwagen ohne Besitzer hinten drin“, erinnert sich Dalo. Verlorenes meldet er sofort der Leitstelle. Die Fundsachen werden zum Stoag-eigenen Fundbüro weitergeleitet, sofern sich bis abends niemand gemeldet hat.

„Einmal weinte ein Kind im Bus. Es war ganz allein. Ohne Eltern.“ Später stellte sich heraus, dass es einfach in den Bus gestiegen war, während die Mutter in der Bäckerei war. „Aber bei uns geht nichts verloren“, feixt er.

Dalo hat Spaß an seinem Job, er identifiziert sich mit ihm und das merkt man ihm an. Vorbeifahrenden Busfahrer-Kollegen winkt er strahlend zu (sogar dann, wenn er mit seinem eigenen Pkw durch die Stadt fährt und die Kollegen ihn nicht erkennen), verunsicherten Fahrgästen erklärt er ausführlich den Weg und Stammkunden grüßen ihn munter mit „Hallo Jung’“.

Auch über ein freundliches „Guten Tag“ von fremden Passagieren freut sich der Stoag-Mitarbeiter. An Haltestellen, an denen viele ein- und aussteigen, läuft der Einstieg zwar meist anonym ab. Hier muss Dalo neben der Vordertüre nämlich auch die hintere Türe öffnen, um einen schnelleren Ablauf sicherzustellen. An abgelegenen Haltestellen grüßen jedoch fast alle.

Strecken kennt er auswendig

150 Kilometer legt der gebürtige Türke im Durchschnitt täglich mit den Diesel-, Elektro-, und Hybridbussen zurück. Die Haltestellen und Strecken kennt er in- und auswendig. „Nach ein paar Monaten hat man alles verinnerlicht“, so der Oberhausener. Wenn was gebaut oder abgerissen wird, bemerke er jede Veränderung. „Hier zum Beispiel an dem Hotel wird schon seit einem Jahr gearbeitet“, gibt er an und deutet auf das Hotel Gerlach Thiemann am Schmachtendorfer Marktplatz.

„Und die Zeit vergeht immer sehr schnell.“ Besonders gern fährt er durch das Waldstück in Sterkrade, „es ist so beruhigend“, und auf der Trasse. Hier beschleunigen zu können, mache Spaß.

Bevor es aber auf die Trasse geht, beantwortet Dalo täglich Dutzenden Passagieren am Bussteig 1 des Hauptbahnhofs dieselbe Frage: Fahren Sie zum Centro? „Es ist wahrscheinlich bei allen Busfahrern die am häufigsten gestellte Frage.“

Sobald Rüstem Dalo die Trasse, Sterkrade und Schmachtendorf im SB 90 hinter sich gelassen hat, erreicht er eines seiner Etappen-Ziele: den Holtener Markt. Hier hat er zwölf Minuten Pause bis zur Weiterfahrt und die reichen dicke für einen saftigen Döner in seinem Stamm-Laden. Der Verkäufer grüßt den Kunden schon, als er noch in der Fahrerkabine sitzt. „Hier mache ich gerne Pause, der Döner ist sehr gut, aber bei meiner Frau esse ich am liebsten, sie kann sehr gut kochen.“

Geschichten am Wegesrand 

Von Nord nach Süd. Von der Ruhraue bis zum Holtener Kastell. Einmal Oberhausen und zurück. Der Schnellbus der Linie 90 fährt quer durch unsere Stadt. Und die ist ist in so vielerlei Hinsicht bunt, vielfältig und lebenswert. Jeder einzelne Stadtteil, jeder Ort hat eine eigene Geschichte und Besonderheiten.

Um ein paar dieser Merkmale und Auffälligkeiten vorzustellen, wird Sie die Serie „Geschichten am Wegesrand“ einmal pro Woche mit auf die Reise durch Oberhausen nehmen.

Zwölf Stadtteile, 38 Haltestellen, 22 Stimmbezirke und sieben Postleitzahlen-Gebiete. Vielfältiger könnte die Strecke kaum sein. So durchfährt der Bus von Haltestelle zu Haltestelle das Stadtgebiet auf einer Strecke von 20 Kilometern. Täglich transportiert er rund 10. 000 Fahrgäste zu den Haltestellen in Alstaden, im Zentrum, dem Marien- und Brücktorviertel, Osterfeld-Heide, Eisenheim, Sterkrade, Alsfeld, Schmachtendorf und Holten.

Fakten rund um das Nord-Süd-Gefälle

Das Besondere: Der SB90 durchfährt das so häufig zitierte Nord-Süd-Gefälle in unserer Stadt. Den großzügigen Wohnlagen im Norden stehen industriell geprägte und stark verdichtete Viertel im Süden gegenüber. Doch wie sehr variieren tatsächlich die Beschäftigungsquoten oder die Mi­grantenzahlen in den Stadtteilen? Wo leben die meisten Singles? Wie viele junge Menschen zieht es in den Süden? In welchen Ecken unserer Stadt wird am häufigsten eingebrochen? Wo gibt es die günstigste Currywurst mit Pommes und was hat es mit einer menschengroßen Mönchengladbach Fan-Puppe auf einem Balkon am Ruhrpark auf sich?

Die Serie soll auf all diese Fragen eine Antwort finden und wird anhand von Statistiken aus dem Sozialstrukturatlas und weiteren Quellen Grafiken, Zahlen und Fakten liefern.

Die Bewohner geben den Straßen ein Gesicht

Insgesamt acht Busse fahren gleichzeitig jeden Tag vom Ruhrpark in Alstaden über die Haltestellen der Trasse bis zum Sterkrader Bahnhof, der Heinrich-Böll Gesamtschule in Schmachtendorf und schließlich zum Holtener Markt. Die Menschen, die rund um die 38 Haltestellen wohnen, dort arbeiten oder ihre Freizeit verbringen, geben den Straßen ein Gesicht und füllen die Serie mit Geschichten.

Und wie oft sitzen wir in diesen Bussen und fahren immer wieder die selben Straßen entlang, an den selben Gebäuden und Grünflächen vorbei und wissen zwar, wie sie von außen aussehen, nichts aber über das, was dahinter steckt. Es ist das Alltägliche, das, was wir jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule oder zur Universität verträumt, verschlafen oder versunken ins Smartphone mal mehr und mal weniger wahrnehmen. Und doch ist es das, was um uns herum passiert. Das Leben in unserer Stadt.