Oberhausen. Für ein Jahr zeigt das Sea Life in fünf Aquarien der “Oktopus Höhle“ Sepien und Kraken. Die cleveren Weichtiere müssen beschäftigt werden.
Wieso hieß Paul, dieser kleine Krake mit dem großen Fußball-Verstand, eigentlich Paul? Und nicht Ringo? Schließlich schrieb und sang Ringo Starr einst (mutmaßlich mit Pauls Hilfe) das bezaubernde Lied vom „Octopus’s Garden“. Im neuen Kraken-Reich des Sea Life begleitet allerdings statt der Beatles sanft plätschernde Musik jene sich sacht wellenden Lichter, die so schön Sonnenglanz auf dem Wasser imitieren.
Im quirligen Aquarium an der Heinz-Schleußer-Marina ist die „Oktopus Höhle“ ein eher stilles Refugium. Dabei mögen die neuen Bewohner durchaus Unterhaltung. „Wir basteln ihnen Spielsachen“, sagt Aquarist Timo Hausecker. „Man muss sie beschäftigen – sie sterben sonst vor Langeweile.“ Weder große noch kleine Kraken und Sepien darf man unterfordern – oder gar unterschätzen: Während in Zoos die so gemächlich wirkenden Orang Utans als „Ausbrecherkönige“ gelten, sind’s in Aquarien die „knochenlosen Schönheiten“ (wie es auf einer Tafel im Sea Life heißt).
„Sie kriechen gerne über den Beckenrand hinaus“, weiß der studierte Biologe Hausecker. Und sie können ihren – in der Tat knochenlosen – Körper durch kleinste Öffnungen zwängen. „Sie drücken sich durch einen 1-Euro-großen Spalt.“ Eine hohe Herausforderung für die Erbauer ausbruchssicherer Aquarien.
Lebendes Fossil des Erdaltertums
Die graziös schwebenden Wesen mit den perfekt kreisrunden Schalen sind „lebende Fossilien“. Perlboote – bekannt auch unter ihrem wissenschaftlichen Vornamen Nautilus – trieben schon in den warmen Meeren des Kambriums, als vor einer halben Milliarde Jahren die Artenvielfalt explodierte. Das erste Dinosaurier-Ei sollte erst 250 Millionen Jahre später gelegt werden.
Symmetrie in Vollendung
„Im Erdaltertum“, erklärt Timo Hausecker, „waren die Perlboote allerdings zwei Meter groß“. Die Schale des heute so zierlichen Nautilus im Zebrastreifen-Look ist Symmetrie in Vollendung. Sie gleich einer logarithmischen Spirale, wächst im immer gleichen Verhältnis sowohl in die Länge und in die Breite.
Dieses elegante Schalentier mit den einfach konstruierten „Lochkamera“-Augen ist das Urbild aller Sepien und Kraken. „Im Laufe der Evolution“, so der Biologe Hausecker, „wanderte die äußere Schale nach innen“. Man kennt ja den als Wetzstein in Vogelvolieren beliebten Schulp der Sepien. Beim knochenlosen Kraken blieb vom Skelett nur jener Dorn, mit dem er seine Muschel-Mahlzeiten knackt.
Die zarten Perlboote aber müssen selbst vor Fressfeinden auf der Hut sein. So wurden sie zu Wanderern zwischen Tiefsee und Meeresoberfläche. „In den Tiefen ist das Futter knapp“, erklärt Timo Hausecker – also schwebt Nautilus im Schutz der Nacht aufwärts. Und dieses wie an unsichtbaren Fäden gezogene Auf und Ab zeigen sie auch ihren Bewunderern im Sea Life.
Die „Kopffüßer“ gelten mit gutem Grund als die intelligentesten Weichtiere – denn Fische, also Wirbeltiere, sind die „Tintenfische“ nicht. Wie wohl jeder Oktopus-erfahrene Aquarist hat auch Timo Hausecker Anekdoten parat über die Neugier und Schnelligkeit seiner Schützlinge. „Für die Aquarien brauchen wir meistens eine zweite Putzgarnitur.“ Die erste ist oft genug von einem Krakenarm umschlungen – und gemopst.
Sie klauen gerne die Putz-Garnitur
„Das Spannende für Kinder“, meint Hausecker: „Sie verstecken sich gerne.“ Als Meister der Tarnung können die Sepien allerdings selbst Foto-Profis zur Verzweiflung bringen: Steingrau blicken sie – „interessiert“, versichert der Aquarist – vom Grund ihres Aquariums. Die Haut scheint sogar die körnige Struktur des Bodens anzunehmen.
Plötzlich ein spitzer Schrei: Der Pazifische Riesenkrake hat sich aus der Tiefe seines Beckens sekundenschnell zu voller Größe entfaltet und an die gut drei Zentimeter dicke Scheibe geheftet. Da treten nicht nur Mädchen erschrocken einen Schritt zurück. Eine Spannweite der Arme des Riesenkraken von vier bis fünf Metern nennt Timo Hausecker „ganz normal“.
Die größten Wesen in der zoologischen Klasse der Kopffüßer (Cephalopoda) könnte lebend kein Aquarium der Welt zeigen. Von Kopf bis Tentakelspitze können sie 15 Meter messen, bräuchten in ihrem Riesenbecken den Wasserdruck der Tiefsee – und Dunkelheit. „Eigentlich unmöglich“, meint der seit acht Jahren für Sea Life arbeitende Timo Hausecker.
Er hofft vielmehr, dass ein anderer, Kalmar-roter, aber bedeutend kleinerer Bewohner bald wieder in die Oktopus-Höhle zurückkehrt. „Der Wunderpus wollte nicht fressen.“ Der kleine Krake mit dem rotweißen Streifenmuster lebt an den Küsten der indonesischen und philippinischen Inselwelt. „Seine Arme kann er so zurechtlegen“, erzählt der Aquarist, „dass er aussieht wie ein Rochen oder ein Feuerfisch“. Der Tierhändler des Sea Life sei zuversichtlich, Wunderpus photogenicus bald aufgepäppelt zu haben. Er brächte besonders schillernde Farben in den „Octopus’s Garden“.