Oberhausen. Der Roman von Bertolt Brecht als Gastspiel am Oberhausener Theater. Den Schauspielern Andreas Weißert und Jürgen Mikol geht das Stück sehr nahe
Kalle ist Metallarbeiter. Ziffel ist ein Intellektueller. Beide sind geflohen, vor dem Krieg und den Nazis in Deutschland. In einem Bahnhofsrestaurant in Helsinki begegnen sie sich. Das ungleiche Paar philosophiert über Tugenden, Politik, Werte, die Kindheit. „Über alles, was gerade anliegt“, sagt Jürgen Mikol, der die Rolle des links-liberalen Kalle in dem Stück „Flüchtlingsgespräche“ von Bertolt Brecht spielt.
Hochaktuelle Themen
„Jedes Thema, über das Kalle und Ziffel sprechen, ist hochaktuell“, erklärt Mikol weiter. So sagt Ziffel, den Andreas Weißert darstellt, „der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen.“ „Wie wichtig ein Pass ist, stellen wir heute auch wieder fest. Es gibt so viele Parallelen. Die Texte holen uns immer wieder ein“, betont Mikol. Auch das Publikum, so empfindet er es, baue Brücken zur Jetztzeit.
Um die Thematik noch weiter in das derzeitige politische Geschehen zu rücken, lesen die beiden Schauspieler zwischen einzelnen Szenen aktuelle Texte vor. So zum Beispiel über die Rüstungspolitik von Verteidigungsministerin von der Leyen oder über Bayerns Flüchtlingspolitik.
Die beiden vom Schicksal zusammengewürfelten politischen Flüchtlinge sind zynisch, sarkastisch, aber zugleich auch vorsichtig. Sie schauen sich um, bevor sie etwas sagen. Und wenn sie es dann dem Gegenüber mitteilen, hört es sich zweideutig an.
Flüchtlinge brauchen Schutz
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Das Stück spiegelt Bertolt Brechts Biografie wider. Er selbst war ein Flüchtling. Nachdem die Nationalsozialisten seine Stücke boykottierten und die Veranstalter wegen Hochverrat anklagten, floh er 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, mit seiner Familie aus Deutschland. Über Frankreich, Dänemark und Schweden kam er 1940 nach Finnland und lebte dort einige Monate. Während dieser Zeit verfasste er den Roman über das Schicksal zweier vertriebener Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg. Kalle und Ziffel, deren Dialoge Weißert und Mikol jetzt in Szene setzen.
Seit vielen Jahren sind die beiden Darsteller befreundet, sie spielten in den neunziger Jahren zusammen in Basel und kennen sich auch aus Dortmund. Ihre Wege trennten sich. Heute ist Andreas Weißert 80 Jahre und Jürgen Mikol 73 Jahre alt. Als sie sich vor vier Jahren in Dortmund wiedertrafen, beschlossen sie: „Wir müssen mal was gemeinsam machen“. Sie entschieden sich für die Flüchtlingsgespräche und ahnten damals nicht, wie brisant das Thema werden würde. „Was im Moment in Deutschland passiert, ist sehr traurig“, sagt Mikol und fügt hinzu: „Wir Deutschen wurden aufgenommen. Und auch heute muss jeder aufgenommen werden, der vor Krieg flüchtet.“