Oberhausen. Ein Stöber-Stündchen während der Schallplattenbörse im Revierpark Vonderort: Fast unbemerkt neben dem Vinyl-Comeback kehrt auch die Musicassette zurück.
Ein großer Zeichendeuter wie der jetzt verstorbene Romancier Umberto Eco wüsste die Geste natürlich im Nu zu interpretieren: So wie die Käufer im Freizeithaus des Revierparks Vonderort die Schallplatten vorsichtig in den Händen halten, sie drehend nach Kratzern absuchen und das Gewicht schätzen – so würde ein Semiotik-Professor darin wohl eine kultische Handlung erkennen. Si, Signore Eco, hier sind Gralssuchende unterwegs – und ihr heiliger Kelch ist jener Klang, den manche Musikproduzenten sogar schon künstlich in die allzu sterilen CDs gemischt haben.
Gemeint ist natürlich das leise Knistern beim Aufsetzen der Diamantnadel. Aufs Probehören verzichten allerdings die allermeisten Vinyl-Fans, die schon Minuten nach der Eröffnung den Saal füllten. Schließlich hat kein Händler das angemessene Equipment dabei. Von einem einzigen kleinen Koffer-Plattenspieler schallen scheppernd zur Begrüßung die Rolling Stones mit „Mother’s Little Helper“.
Nostalgischer Akzent
Doch, der Akzent dieser Börse ist ganz klar ein nostalgischer. Neues Vinyl gibt’s ja inzwischen sogar wieder in den Regalen der Elektromärkte. Aber wo sonst gäbe es noch die sprichwörtlichen Schellack-Schätzchen? Tonträger mit 78 Umdrehungen pro Minute dürften nur einen sehr erlesenen Kundenkreis anziehen, aber einmal in die Hand nehmen muss man eine der erstaunlich gewichtigen Zehn-Zoll-Scheiben dann doch. Verführerisch – und auf dem Etikett des Skiffle-Samplers prangt sogar „Parlophone“, das spätere Label der Beatles.
Doch selbst diese Überraschung ist noch zu toppen: Eigentlich hatte die selbst nach Pianola-Zeiten und Schellack-Klimperklang aussehende Plattenhülle von „One Hot Minute“ der Chilli Peppers den Blick gefangen. Direkt daneben hatte Thomas, der Fachhändler von „Eskimos and Chinese“, kleine Schächtelchen im Halbdutzend drapiert, auf den verspielt gestalteten Hüllen kein einziger Name. Verblüffte Frage: „Was ist das?“
Prompte Antwort: „Mensch, Musicassetten! Die sind wieder richtig beliebt, vor allem bei englischen Bands.“ Es gebe sogar etliche Independent-Veröffentlichungen ausschließlich auf „Tapes“. Eine Cassette kommt sogar mit beiliegender Fanzine daher. Um das DIN A5-Heft plus Tonbandschachtel sicher in eine Klarsichthülle zu zwingen, brauchte es einen echten Verpackungskünstler.
Der war auch gefragt bei einem teuren Produkt des „Unterhaltungskonzerns“ Rolling Stones: Das Cover dieser „Sticky Fingers“-Edition protzt wieder mit echtem Jeansstoff und Reißverschluss. Prompt erinnern sich wieder Fans im Noch-nicht-ganz-Stones-Alter an das „doofe Ding“, das ihnen schon in den 1970ern die Erstauflage verkratzt hatte.
Fachgespräch mit Gedenkmoment
Ein anderer „ist wieder groß im Kommen“, meint eine der wenigen Frauen in diesem Männer-Tempel. „David Bowie macht aber nicht mehr viel“, kommentiert der eine Händler mit CD-Neuware trocken. Wenn das mal kein editorischer Irrtum ist. Jede Wette: Zum 70. Geburtstag (oder ersten Todestag) des souveränsten Zeremonienmeisters zwischen Selbsterhöhung und Selbstironie wird der Markt garantiert mit „Neuheiten“ aufwarten.
Der Kundin reicht schon, dass sie im Auftrag einkaufen soll: „Bring mal eben mit! Kennen Sie das?“ Dabei gibt’s allein an diesem Stand „Space Oddity“ in drei Versionen mit zwei verschiedenen Covern. Auf einer Plattenbörse kann man nicht schnell mal kaufen – ein Fachgespräch mit Gedenkmoment ist wohl das Mindeste. Und in den ruhigeren Ecken des Freizeithauses – dort, wo für Singles von Del Shannon halbe Hunderter verlangt werden – will „Mann“ sich seine Schätze zeigen.