Oberhausen. Jürgen Koch glaubt nicht, dass man mit Strafen motivieren kann. Sein Appell: „Wenn jeder Betrieb einen kleinen Beitrag leistet, kämen wir voran.“

Herr Koch, Sie sind jetzt über ein Jahr lang Chef der Arbeitsagentur in Oberhausen: Sind Sie überrascht, wie zäh sich die Langzeitarbeitslosigkeit in der Stadt entwickelt?

Koch: Nein, das überrascht mich nicht, denn vor meinem Arbeitsantritt in Oberhausen habe ich mich über die Situation vor Ort informiert. Langzeitarbeitslosigkeit ist leider im gesamten Ruhrgebiet ein langfristiges Thema.

Was sind denn die Ursachen dafür, dass wir es trotz einer recht guten Konjunktur nicht schaffen, die Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren?

Koch: Langzeitarbeitslosigkeit bekommen wir nur in den Griff, wenn die Betriebe mitmachen. Bei dieser Gruppe von Arbeitslosen handelt es sich oft um Menschen aus bildungsfernen Schichten, die lange aus der Arbeitswelt weg sind. Die Betriebe hingegen haben Ansprüche an ihr Personal nach guter Leistung. Diese beiden Sachen finden sehr schwer zueinander.

Haben Sie es sich einfacher vorgestellt, diese Menschen in Arbeit zu vermitteln?

Koch: Nein, das habe ich keineswegs. Ich bin sehr nah an den Menschen. Wenn man sie kennenlernt, dann ist zügig klar, dass bei jedem individuell an den Stellschrauben gedreht werden muss.

Es gibt Stimmen, die sagen, dass wir trotz aller Hartz-IV-Gesetze noch zu sanft mit Langzeitarbeitslosen umgehen: Sehen Sie das auch so?

Koch: Nein, Härte kann nicht die Lösung sein. Was wir brauchen, das sind kluge Lösungen, die sich zwischen einer sozialen Verantwortung der Betriebe und einer hohen Investition aus öffentlichen Töpfen bewegen, um die Menschen an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Mit Druck und Sanktionen werden wir nicht Herr über die Lage.

Es gibt aber genug Bürger, die meinen, dass viele Arbeitslose zu faul zum Arbeiten sind.

Koch: Nein, das glaube ich nun wirklich nicht. Wenn ich mir die weit mehr als 5000 Langzeitarbeitslosen in Oberhausen anschaue, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass davon die meisten nicht arbeiten wollen. Das erlebe ich bei meiner Arbeit überhaupt nicht.

Andersherum: Kann es sein, dass die Unternehmen zu anspruchsvoll sind – gerade vor dem Hintergrund des beklagten Fachkräftemangels?

Koch: Es wäre falsch, mit dem Finger in eine Richtung zu zeigen. Daher würde ich nie nur die Wirtschaft verantwortlich machen. Sie sind aber in der Mitverantwortung. Jeder Betrieb trifft eine Auslese der Besten, um an sein Personal zu kommen. Dafür habe ich Verständnis. Zugleich habe ich aber die klare Auffassung, dass jede Firma eine soziale Verantwortung übernommen hat. Wenn jeder Unternehmer einen kleinen Beitrag leistet, dann kämen wir in der Langzeitarbeitslosigkeit ein großes Stück voran.

Häufig wird über Fachkräftemangel diskutiert, aber gleichzeitig haben wir diesen großen Sockel an Arbeitslosen: Der Bürger könnte meinen, der Fachkräftemangel sei nur eine Fata Morgana?

Koch: Der Fachkräftebedarf ist ein Phänomen, bei dem ich mich oft selbst frage, ob es einen Mangel gibt. Ich glaube, dass wir in Berufsfeldern wie Gesundheit, Pflege oder bei Ingenieuren bereits einen Fachkräftebedarf haben. Aber es gibt auch Branchen ohne aktuellen Mangel und dort werden wir auch keinen bekommen, wenn wir heute ausbilden.

Was meinen Sie konkret?

Koch: Um dem Bedarf nach Fachkräften mit Langzeitarbeitslosen nachzukommen, ist Bildung entscheidend. Daher brauchen wir flexiblere Bildungssysteme. 2016 nehmen wir uns Teilzeitqualifizierungen vor. Das heißt, die Menschen bringen wir nicht für drei Jahre in eine abschlussorientierte Qualifizierung, sondern wir führen sie über mehrere Teilschritte an einen Berufsabschluss heran.

Trotz des Fachkräftemangels ist die Zahl der neuen Lehrstellen in Oberhausen 2015 sehr gering ausgefallen. Hat Sie das schockiert?

Koch: Da bin ich ehrlich – da verzweifele ich etwas. Nur mit Blick auf die Ausbildungszahlen scheint es keinen Fachkräftebedarf zu geben. Sonst würden Betriebe mehr ausbilden.

Haben die Betriebe nicht verstanden, dass die Zahl der jungen Leute sinkt und sie vorsorgen müssen?

Koch: Doch, sie haben es verstanden. Aber es heißt oft: Wir würden gerne ausbilden, aber finden niemanden, der geeignet ist.

Das Problem liegt bei der Jugend?

Koch: Wir müssen anerkennen – im Positiven wie im Negativen – dass sich die jungen Menschen von heute verändert haben. Trotzdem sagen mir viele Unternehmer, dass es die Diskussion um die Ausbildungsfähigkeit schon vor zehn Jahren gegeben hat. Deswegen glaube ich, dass die Investitionsbereitschaft der Unternehmen in Ausbildung steigen muss – nicht zuletzt, weil sich die Jugendlichen verändert haben. Sie legen heute einen hohen Wert auf Mitbestimmung. Das ist neu und passt nicht in eine tradierte Ausbildung.

Also kommt es zu Konflikten?

Koch: Ja, denn das sehen wir an den hohen Abbruchzahlen bei Ausbildungen. Sie liegen in einzelnen Berufen bei 50 Prozent. Aber jeder junge Mensch ist ausbildungsfähig, so sehen es auch die Unternehmensvertreter von höchster Stelle. Wir müssen nur früh genug anfangen. Es muss also auch in der Schule eine klare Ausrichtung auf Beruf und Studium geben. Da gibt es Ansätze wie die Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“, aber sie sind mir noch nicht eng genug dran an den Jugendlichen.

Welche Schulnote würden Sie der Wirtschaftslage hier geben?

Koch: Ein Befriedigend. Was ich nicht mag, dass ist die Das-Glas-ist-halb-leer-Betrachtung in Oberhausen. Viele Menschen sagen, in der Stadt passiere nichts, es ginge nur bergab. Das akzeptiere ich nicht. In diesem einem Jahr habe ich Oberhausen als eine Stadt kennengelernt, in der man Empathie und Sympathie erlebt und so etwas bewegen kann. Man beachte, wir hatten in diesem Jahr weit über 1000 Stellenangebote mehr als 2014. Trotzdem haben wir auch Betriebe, die in eine Schieflage geraten sind. Und die Zahl der Neuansiedlungen ist geringer als in anderen Ruhrgebietsstädten. Insofern ist für mich das Glas immerhin halb voll.

Muss die Stadt Oberhausen mehr für die Wirtschaft tun?

Koch: Die Stadt hat die Zeichen der Zeit erkannt. Der geplante Wegzug von Oxea nach Monheim ist sicherlich ein Beispiel, das für viel Diskussionsstoff gesorgt hat. Was ich mir allerdings wünschen würde, das wäre, dass die Wirtschaftsförderung stärker das Thema Langzeitarbeitslosigkeit berücksichtigt.

Sollen die Wirtschaftsförderer bei der Vermittlung helfen?
Wirtschaftsförderung hat viel mit Arbeitsmarkt und Beschäftigung zu tun. Dazu gehört zum Beispiel öffentlich geförderte Beschäftigung. Wir können mittlerweile Arbeitsplätze bis zu hundert Prozent subventionieren. Das ist ein Thema, das auch auf die Agenda der Wirtschaftsförderung gehört. Neben der Tatsache, dass auch Langzeitarbeitslose gute Arbeitskräfte sein oder werden können.

Zum Schluss das große Thema Flüchtlinge. Wie sehen Sie die Chancen der über 3000 Flüchtlinge in Oberhausen auf dem Arbeitsmarkt?

Koch: Ich schätze sie als gut ein.

Durch die Flüchtlinge steigen erst einmal aber unsere Arbeitslosenzahlen?

Koch: Davon ist auszugehen. Die Menschen müssen zuerst unsere Sprache beherrschen, um einen Job zu finden. Damit müssen wir anfangen, bevor wir sie in Arbeit vermitteln können. Und eine Sprache lernt man nicht in wenigen Monaten.

Wie viele Flüchtlinge, die hierbleiben, werden in fünf Jahren auf eigenen Füßen stehen?

Koch: Für das kommende Jahr haben wir uns zehn Prozent vorgenommen. Bei vielen Faktoren wissen wir bei einer Zeitspanne von fünf Jahren zwar nicht, wie sie sich entwickeln werden, doch ich bin da optimistisch. Wir wollen jedenfalls die eindeutige Mehrheit der Flüchtlinge in dieser Zeit in Ausbildung und Arbeit vermitteln.