Oberhausen. . Mit Klaus Wehling tritt ein Sozialdemokrat alter Schule als Oberbürgermeister von Oberhausen ab. Sein Einsatz als Kümmerer wird gelobt, Kritiker vermissen Führungsstärke

Die Tartanbahn noch ganz frisch, das neue Clubhaus gerade hochgezogen – als Klaus Wehling vor ein paar Jahren das zur Leichtathletik-Sportzentrale umgebaute Stadion Sterkrade besichtigt, schaut er wohlgefällig auf ein reales gut vorzeigbares Ergebnis des Oberhausener Sportkonzeptes: weniger Plätze, dafür viel bessere. Doch plötzlich stoppt der Oberbürgermeister seinen Rundgang, blickt zur obersten Reihe der kleinen Betontribüne: „Das da, das kann aber nicht so bleiben, das zieht da oben den Zuschauern doch im Rücken. Da muss eine Plexiglaswand hin, so teuer kann das nicht sein.“

In wenigen Tagen tritt der Mann mit dem Blick für Details ab, mit ihm geht auch ein Sozialdemokrat alter Schule: Kein Technokrat, kein Blender, kein Sprücheklopfer, sondern einer, der nah bei den Leuten ist, der sich kümmert, um all diejenigen, die ihn auf Festen und Feiern ohne Scheu direkt ansprachen oder am Telefon ihr Problem schilderten. Für die meisten in Oberhausen ist der 68-Jährige nicht der Herr Wehling, der Herr Oberbürgermeister, sondern einfach nur „der Klaus“. Mit ihm trinkt man gerne ein Bier, mit ihm tauscht man gerne Anekdoten aus.

2004 holte er 54 Prozent

Und so warb die SPD 2004 auch nur mit seinem Vornamen auf roten Wahlplakaten – und Wehling holte satte 54 Prozent gegen den damals noch so jungen Polit-Anfänger und nun nach seiner zweiten Kandidatur künftigen Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz von der CDU. Wehlings damaliges Ergebnis glänzt heute um so heller, wenn man sieht, wie tief selbst ein dynamischer SPD-OB-Kandidat gegen den selben CDU-OB-Kandidaten in diesen Zeiten fällt.

Am Dienstag, 20. Oktober 2015, endet Klaus Wehlings elfjährige Amtszeit als Stadtoberhaupt – mit ihm endet zugleich die seit 60 Jahren andauernde sozialdemokratische Oberbürgermeister-Geschichte in Oberhausen. Was bleibt aber von Wehlings Amtszeit?

Nicht viel, werden manche harte Kritiker zügig antworten, von denen es in dieser Stadt mehr gibt, als Wehling selbst glaubt. Die wenigsten von den Enttäuschten und Frustrierten sagen dem Oberbürgermeister direkt ins Gesicht, was sie als Defizite und Mängel bei ihm sehen: Sie vermissen klare Führung, schnelle Entscheidungen, feste Leitplanken, weitreichende Visionen und eine dominante Außendarstellung durch den obersten Chef dieser Stadt.

Vergleich mit Burkhard Drescher

Wehlings politisches Schicksal ist es, dabei immer wieder mit seinem Vorgänger, dem als Macher und Manager agierenden Burkhard Drescher (1997 bis 2004), verglichen zu werden. Dessen Schwächen, im Zweifel lieber Porzellan zu zerschlagen als zu langsam vorwärts zu kommen, und ein bunter Reigen an nicht realisierten Plänen (Gläserne Flugzeugfabrik, Ovision) verblassen heute. Der Hauptgrund: Drescher schuf die Neue Mitte mit dem Centro, die Oberhausen überregional als Stadt bekannt machte, den Strukturwandel als erste Ruhrgebietsstadt gepackt zu haben.

Dagegen wird Wehling von seinen Kritikern jedes leer gezogene Geschäft auf der Marktstraße vorgehalten, aber ihm werden im Gegenzug viele Investitionsprojekte in der Stadt und die zunehmend bessere Finanzlage der kommunalen Kassen nicht zugeschrieben: Die neue Bilfinger-Zentrale, der Bero-Ausbau, die Centro-Erweiterung, das neue Jugendzentrum in der Stadtmitte, die nun wieder mögliche Beschaffung von Geldern aus EU-, Bundes- und Landestöpfen, die Förderung der regen Kulturszene.

Stolz auf sein soziales Engagement 

Und auch dies wird für selbstverständlich gehalten: Dass andere Kommunen mit dem tiefen Zerfall ganzer Stadtquartiere zu kämpfen haben, Oberhausen jedoch durch ein noch relativ dichtes Helfernetz die sozialen Fliehkräfte der Gesellschaft in Zaum halten konnte. Abgerutschte Viertel gibt es hier nicht.

Gerade auf seinen Einsatz im sozialen Bereich, für Arbeitslose, schwierige Familien, Jugendliche, ist Wehling stolz, wenn er auf seine Amtszeit zurückblickt. Von Beginn an organisierte er mit seiner Initiative „Gemeinsam in Oberhausen“ viele Spenden, gesammelt beim offiziellen Jahresempfang und bei Firmenbesichtigungen, für Projekte, die besonders armen und bildungsfernen Schülern und Familien zugute kommen: Mittagstisch, Zooschule im Kaisergarten, die Lesestadt-Aktion, die Jugendkunstschule.

Wenn er davon überzeugt war, helfen zu können, zögerte er nicht, Unternehmer und andere Honoratioren bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten anzusprechen, ihre Geldbörsen für gute Projekte zu öffnen.

Politikmanagement im persönlichen Vier-Augen-Gespräch hinter den Kulissen, das lag Wehling. So kittete er mühsam das vor seiner Amtszeit zerstörte Verhältnis zur Düsseldorfer Kommunalaufsicht, pflegte Kontakte in die Sparkassen- und Wirtschaftsszene.

Dagegen drängte es ihn nie auf die große Politik-Bühne: So hätte Wehling als Aufsichtsratsvorsitzender der Ruhrgebiets-Wirtschaftsförderung „Metropole Ruhr“ durchaus eine gewichtige Stimme für die Belange des Ruhrgebiets und seiner Unternehmen sein können – er verzichtete darauf lieber.

Sein im Vergleich dazu überaus starkes soziales Engagement fußt sicherlich auf seiner Lebenserfahrung als Kind im Knappenviertel: Viel hatten die Wehlings nie, sein Vater schuftete auf der Hütte, seine Mutter beeindruckte den kleinen Klaus damit, dass sie ein schmackhaftes Essen aus dem zaubern konnte, was gerade so da war. Und das war selten ein gutes Stück Fleisch.

Wehling erklärt sich seine Begeisterung, als engagierter Hobbykoch feine Menüs zu kreieren, mit dieser Kindheitserfahrung. Seine Frau Christel stammt ebenfalls aus dem Knappenviertel, viel mehr Oberhausen geht kaum.

Wehling selbst gelang eine typische sozialdemokratische Aufsteiger-Karriere, die wohl so nur durch die Bildungsoffensive der 60er und 70er Jahre möglich war: Realschule, Sparkassenlehre, Abitur am Abendgymnasium nachgeholt, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften für das Lehramt an Berufsschulen in Bochum studiert.

Wie so viele seiner Generation ist Wehling wegen Willy Brandt 1972 in die SPD eingetreten, schon seit 1979 arbeitet er im Oberhausener Rat – und hauptberuflich bis zur OB-Wahl 2004 ist er Studienrat und Studiendirektor an einem Mülheimer Berufsschulzentrum. Seine zwei Söhne, Tim und Karsten, waren schon um die 30 Jahre alt, als er Oberbürgermeister wurde.

Enormer Arbeitsaufwand

„Ich kann nur allen abraten, mit kleinen Kindern das Amt anzustreben, denn die sieht man dann nicht mehr“, sagte Wehling mal mit Blick auf den enormen Arbeitsaufwand seines Spitzenjobs: Eine Stadtverwaltung mit über 2000 Mitarbeitern zu führen, die Kontrolle über zahlreiche Stadttöchter inklusive der Stadtsparkasse zu behalten, die Fraktionen im Rat einzubinden, die Stadt als Erster Bürger zu repräsentieren sowie bei Festen und Feiern an Wochenenden und am Abend bei Vereinen und Verbänden unterwegs zu sein. 60 bis 70 Wochenstunden kommen da schnell zusammen.

Sein Führungsprinzip: Möglichst lange Leine lassen 

Wehling macht keinen Hehl daraus, dass er die Entscheidung der 90er Jahre für falsch gehalten hat, das Amt des Rathaus-Chefs (Oberstadtdirektor) mit dem obersten Repräsentanten (Oberbürgermeister) zusammenzulegen.

Glaubt man engen Vertrauten, fremdelt Wehling bis heute mit den merkwürdigen Naturgesetzen einer Behörde; sein Führungsprinzip, den Dezernenten und Amtsleitern möglichst lange Leine zu lassen, diente nicht immer dazu, dass gefasste Ziele auch wirklich schnell und gut erreicht wurden. Wenn man weiß, wie sehr sich Wehling über manche Zustände in einigen Ämtern, die ihm inhaltlich sehr am Herzen lagen, geärgert hat, wundert man sich, warum der Sozialdemokrat nicht eher mal Konsequenzen gezogen und durchgegriffen hat. Zu harmoniebedürftig darf man als Chef einer solchen Großstadt eben auch nicht sein.

Die lange Leine bestimmte bei Wehling auch das Verhältnis zu seiner Fraktion, zu seiner Partei. Wohl nie wieder wird die SPD-Ratsfraktion so viel Einfluss auf Entscheidungen haben wie in der Amtszeit von Wehling.

Der 68-Jährige galt Zeit seines Lebens eigentlich als Parteisoldat, Wehling war nie ein Gerhard Schröder, ein Burkhard Drescher, die gegen die Partei ihr Profil zu schärfen suchten und wenig auf die Meinung ihrer Genossen gaben.

Um so erstaunter waren führende Sozialdemokraten, dass ausgerechnet Wehling den Wunsch der Oberhausener SPD nicht akzeptierte, für einen leichteren und billigeren Wahlkampf im Kommunalwahljahr 2014 gut ein Jahr vor Ende seiner Amtszeit zurückzutreten: Dann wären Rat und Stadtoberhaupt gemeinsam gewählt worden.

Nicht wenige in der Partei meinen, die SPD stünde heute in Oberhausen besser da und hätte womöglich auch nicht den OB-Posten verloren, hätte Wehling nicht darauf bestanden, seine Amtszeit bis zum Ende durchzuhalten. Der wiederum zieht sich diesen Schuh nicht an. „Die Wahlverluste der SPD kann man nicht an einer Person und ihrer Arbeitsleistung festmachen. Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, sagte er mal vor kurzem in einem Interview.

Gewählt ist schließlich gewählt. Ohnehin hatte es ihn gewurmt, aus der Zeitung erfahren zu haben, dass wichtige Parteifreunde seinen frühzeitigen Rücktritt erwarteten. Der Berufsschullehrer konnte manchmal auch ganz schön stur sein.