Oberhausen. . In Oberhausen filmten und fotografierten Schaulustige mit ihren Handys einen schweren Unfall auf der A3. Doch wieso tun Menschen so etwas?

Auf der Autobahn 3 ereignet sich ein schwerer Unfall mit sechs Verletzten, und die anderen Autofahrer bleiben stehen und gaffen nicht nur, sie filmen und fotografieren das Unglück auch noch. Warum tun Menschen so etwas? Der Soziologe Prof. em. Dr. Hermann Strasser hat eine Antwort auf diese Frage.

Strasser erinnert zunächst daran, dass es früher auch Gaffer, ja geradezu ein Gaffer-Volk bei öffentlichen Hinrichtungen gegeben hat. Diese gibt es seit den Abschlachtungen der Sklaven durch Tiere in römischen Stadien des Altertums über das Aufhängen im Mittelalter bis zur Guillotine in der Neuzeit.

Heute fotografieren und filmen Menschen als nicht willkommene Zuschauer spektakuläre Ereignisse, wie eben einen solchen Unfall. „Es gibt in unserer Gesellschaft eine neue Währung, das ist die, wichtig genommen zu werden, wahrgenommen zu werden, Aufmerksamkeit zu erregen“, sagt der Soziologe. Das erreichten die Menschen einerseits durch Selfies, andererseits durch Fotos von Events, die sie in der Familie und Freunden zeigen oder ins Netz stellen könnten. Strasser: „So ein Unfall wird für sie zu einem Event, bei dem sie dabei waren.“

Der Wissenschaftler spricht von Schaulustigen, für die die eventisierte Welt zum Drive-in der Aufmerksamkeit wird. „Das ist eine Art Zugang zur Welt, die Aufmerksamkeit in meiner Welt erregen kann“, erklärt Strasser das Phänomen der unwillkommenen Zuschauer und Filmer. So etwas passiere auch bei Naturkatastrophen. „Ich habe das selbst schon als Skifahrer erlebt“, erzählt er. Als einmal eine Lawine abgegangen sei, hätten die Menschen als erstes ihre Handys herausgeholt.

Gaffer können rechtlich belangt werden

Die Zuschauer, die Gaffer bei Unfällen und Unglücken erzeugten einen Effekt in der unmittelbaren Umgebung, erläutert Strasser weiter. Sie blockierten Rettungsarbeiten und Straßen.

Aber ohne Grund den Verkehr zu behindern, ist verboten. „Sie machen sich strafbar, wenn sie langsam fahren, um zu gucken“, sagt Prof. Dr. Michael Schreckenberg, Stauforscher der Universität Duisburg-Essen. Er erklärt auch, wie so ein Stau wie bei dem Unfall auf der nicht gesperrten Fahrbahnseite der A3 entsteht. Zunächst entwickelt sich zähfließender Verkehr, wenn alle Leute filmen und fotografieren. „Aber wenn nur ein Auto kurz stehen bleibt, ist das der Auslöser für eine Stauwelle, wenn der Zufluss von hinten weiter geht.“ Diese Stauwelle flösse rückwärts mit 15 Kilometern pro Stunde.

Ein Stau ist gefährlich – und teuer

So ein Stau ist nicht nur gefährlich, er ist auch teuer, wie der Wissenschaftler berechnet hat. Bei einem vier Kilometer langen Stau, der drei Stunden dauert, entstehe ein volkswirtschaftlicher Schaden von 100.000 Euro für die Leute, die da stünden. Betroffen sei etwa Wirtschaftsverkehr, dem Aufträge flöten gingen, aber auch jeder private Fahrer, denn Fahren im Stau kostet viel Sprit.

Rein theoretisch könnten also die Leute, die langsam fahren, weil sie einen Unfall beobachten, rechtlich belangt werden. Aber in der Praxis ist das wiederum nicht so einfach. Schreckenberg erklärt warum. Auf der Autobahn müsse man nur technisch in der Lage sein, 60 Kilometer pro Stunde fahren zu können. Mit einem triftigen Grund, etwa wenn man einen Kranken transportiere, könne man so langsam fahren wie man wolle. Ein Unfall sei zwar kein Grund fürs Langsamfahren. Aber es existiere im Moment noch eine Grauzone auf diesem Sektor. Denn ein Schaulustiger könne ja sagen, er sei nur so langsam gefahren, weil er dachte, dass da gleich einer über die Straße läuft.