Oberhausen. . Der Hagener Autor Rainer Stöcker erzählt am 26. November in der Oberhausener Volkshochschule eine unglaubliche Geschichte von seinem eigenen Großvater. Der zog in den Ersten Weltkrieg, wurde für tot erklärt und überlebte in Sibirien. Während der Russischen Revolution gelang ihm die Flucht.

Mit dem Tod unserer Großväter gerät der Erste Weltkrieg zunehmend in Vergessenheit. Doch nun, zum 100. Jahrestag, und vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen lag der Volkshochschule viel daran, dieser Zeit ein Gesicht zu geben. Fachbereichsleiter Klaus Oberschewen wählte dafür eine Lesung. So wird der Hagener Autor Rainer Stöcker am 26. November eine unglaubliche Geschichte erzählen. Eine Geschichte von seinem eigenen Großvater, der damals in den Krieg zog, für tot erklärt wurde, in Sibirien überlebte – und dem in den Wirren der Russischen Revolution die Flucht gelang.

Geheimnisvolle alte Zigarettendose

Rainer Stöcker war 18 Jahre alt, als sein Großvater starb. „Ich kann mich noch gut an ihn erinnern, er liebte seinen Garten, hatte den Hagener Kirmes-Verein Kuckuck-Hestert mitbegründet und war ziemlich wortkarg“, erzählt der 63-Jährige. Von seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg erfuhr der Enkel nur Bruchstücke. „Er ließ bei Gelegenheit mal eine Bemerkung fallen.“ Als sein Vater starb, hielt Rainer Stöcker plötzlich eine alte Zigarettendose in Händen. Darin: eine vergilbte Todesanzeige vom 2. März 1915, nach der der Tambour Emil Stöcker im Alter von 23 Jahren durch einen Kopfschuss im Gefecht den Heldentod fürs Vaterland gestorben war. Schließlich eine weitere Todesanzeige im Gedenken an den Großvater – diesmal aus dem Jahr 1969.

Granatsplitter und Giftgas

Rainer Stöcker, bis zur Pensionierung als Geschichtslehrer tätig und bis heute im Hagener Geschichtsverein aktiv, war schlagartig klar: „Ich halte hier einen Schatz in der Hand.“ Jahrelange Recherchen führten ihn schließlich bis nach Sibirien. Puzzlestück für Puzzlestück reihte er die fantastische Lebensgeschichte seines Großvaters anein-ander und veröffentlichte sie in dem Buch „Die zwei Leben des Emil S.“ Auch dies hatte Stöcker dabei herausgefunden: Emil Stöcker hatte im Februar 1915 in der masurischen Winterschlacht gegen die russische Armee gekämpft. Nach schweren Gefechten war Stöcker verschwunden. Die kaiserliche Militärverwaltung vermutete ihn unter den Leichenbergen auf dem Schlachtfeld und schickte die Todesnachricht an die Familie. Tatsächlich aber war der Grenadier in russische Gefangenschaft geraten und ins tiefste Sibirien verschleppt worden.

Eisiger Winter

In den Wirren der Russischen Revolution gelang Stöcker 1917/18 die Flucht. Tausende Kilometer schlug er sich im eisigen Winter Richtung Westen durch. Endlich wieder daheim, wurde er bereits vier Wochen später zu seiner alten Einheit zurückgeschickt und landete mit ihr an einem der schlimmsten Kriegsschauplätze: im Stellungskrieg am Fluss Somme in Nordwestfrankreich. Die Bilder von Schützengräben, Granatsplittern, Trommelfeuer und Giftgas, die das ganze Grauen dieses Krieges ausmachen – hier sind sie geboren worden. Über diese Zeit, sagt Rainer Stöcker, habe sein Großvater nie gesprochen, nicht mit seiner Frau, nicht mit der Tochter. Schwer traumatisiert hat er auch diese Hölle überlebt. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs sollte er als 52-Jähriger noch einmal eingezogen werden. „Aber bei der Musterung sortierte ein Arzt ihn und alle anderen älteren Männer aus – und rettete ihnen damit das Leben.“

Die VHS-Lesung findet am Mittwoch, 26. November, von 19 bis 21.30 Uhr im Bert-Brecht-Haus, Raum 330a statt. Das Teilnahmeentgelt beträgt 5 Euro.

Das Buch „Die zwei Leben des Emil S.“ ist zum Preis von 22,80 Euro im Handel erhältlich (ISBN 978-3-86110-537-4).