Mülheim. Ernst Wunder war ein durch und durch überzeugter Soldat. Doch er war auch ein wunderbar warmer und sehr musikalischer Mensch, berichtet seine Enkelin heute. In unserer WAZ-Serie „Mülheim im Ersten Weltkrieg“ erinnern sich Angehörige von Zeitzeugen an damals.

Heidi Lenz heißt mit vollem Namen Heidlinde Verduna Sophie Lenz, das verrät ihr Ausweis. Die 70-Jährige aber bevorzugt die Kurzform; zu „Verduna“ nämlich könnten kritische Nachfragen kommen. In „Verduna“ steckt „Verdun“ – und damit das Synonym für das Grauen des Ersten Weltkrieges. Das sei beileibe kein Zufall; „mein Großvater war zwar ein fantasievoller, kreativer und musischer Mensch“, sagt Heidi Lenz, „aber auch ein Militarist.“ Für den Mülheimer war es daher wichtig, dass seine Erstgeborene einen Namen in Anlehnung an das berühmt-berüchtigte Schlachtfeld erhielt. Diese Erstgeborene aus dem Jahre 1916 gab ihren Namen dann Jahre später an die eigene Tochter weiter: an Heidi Lenz.

Kaninchen in Schmalz

Nur wenige Menschen kennen diese, aus heutiger Sicht durchaus befremdliche Geschichte. Lieber als von ihr berichtet Heidi Lenz nämlich von den wunderbaren Seiten des Großvaters: „Er war ein Opa wie aus dem Bilderbuch. Er hatte immer die dollsten Ideen. Wenn wir mit ihm im Wald waren, war das eine amerikanische Steppe und wir waren Indianer, die sich ins Gras werfen mussten.“ Bei anderer Gelegenheit habe er einfach den Abfluss des Balkons dicht gemacht, das Wasser aufgedreht – „und so einen Pool für uns gebaut“.

Ernst Wunder, Jahrgang 1890, war „ein überbordender Mensch“, der den Enkeln auch gern Geschichten aus dem Reich der Märchen auftischte. Dass er auch anders konnte, belegt ein mehrseitiger Brief, den er als Soldat im September 1914 nach Hause geschickt hatte. In diesem berichtete Wunder dezidiert „von der Lage im Westen“, von der Front, den Märschen, den Kämpfen. „Mit klingendem Spiel“ seien sie unterwegs gewesen, schrieb er – und die Enkelin erklärt, dass der Großvater Musiker war im Mülheimer Infanterie-Regiment Nr. 159. In Winterthur in der Schweiz hatte er sich ab 1908 zum Hoboisten ausbilden lassen, zu einem Musiker also, der auch über militärische Kenntnisse verfügte.

Bitte um ein paar Zigaretten

Ernst Wunder schrieb seinen Eltern und Brüdern von „Granaten, die über und neben uns platzten“, von „vielen Kameraden, die getroffen wurden“ und die er „zum Verbandsplatz“ tragen musste, von einem Ort namens Gies, „der dem Erdboden gleichgemacht“ worden war. Er berichtete auch von einem Moment, in dem er „bon“ gelebt habe – „mit drei geschlachteten Kaninchen in Schmalz“. Mit den Sätzen „Unsere Erfolge sind gut hier“ und „Schickt bitte ein kleines Schächtelchen Zigaretten“ endete der Brief – „mit den herzlichsten Grüßen von Eurem lieben Sohn“.

Um diese Zeilen lesen zu können, hat sich Heidi Lenz vor einigen Jahren die Sütterlinschrift von einem Spezialisten beibringen lassen. Der Opa habe nie viel erzählt vom Krieg. Dennoch habe sie mit der Zeit erfahren, dass der Mann, der später beim Finanzamt Mülheim anfing, drei Kinder bekam und im Duisburger Symphonie-Orchester spielte, eben nicht nur der tolle Opa war, den sie so liebte. ,,Er war auch ein Militarist – und blieb selbst im Zweiten Weltkrieg, als er in Gefangenschaft geriet, ein glühender Anhänger des Militärs.“