Mülheim. Ehrenamtliche Moderatoren und Experten sind in dieser Woche in einem Workshop für ein Schulprojekt in Mülheim ausgebildet worden. Schon bald sollen sie als Teams in die achten Klassen weiterführender Schulen gehen und mit den Jugendlichen über das Thema „seelische Gesundheit“ sprechen.
Schon der Titel des Schulprojektes klingt so ungewöhnlich wie vielversprechend: „Verrückt? Na und!“ heißt es und meint „verrückt“ durchaus im Wortsinn, auch wenn das heute politisch unkorrekt sein mag. Das Schulprojekt will Schweigen brechen und den Blick lenken auf ein Tabuthema der Gesellschaft: „psychische Erkrankungen“. Ein Workshop war diese Woche der Auftakt für eine weitere Zusammenarbeit der Mülheimer Caritas, des Netzwerks Kinder psychisch kranker Eltern (KiPe) und der Arbeiterwohlfahrt mit dem Leipziger Verein „Irrsinnig Menschlich“.
Der ist mittlerweile preisgekrönt für sein Schulprojekt, das schon in verschiedenen Bundesländern läuft und bei dem Moderatoren und Experten in eigener Sache in weiterführende Schulen gehen, um mit Jugendlichen über das Thema psychische Gesundheit zu sprechen. Als Gast in Mülheim konnte Martina Pattberg, Leiterin des Fachdienstes Kinder-, Jugend- und Familienhilfe bei der Caritas, diese Woche die Geschäftsführerin des Vereins, Dr. Manuela Richter-Werling, begrüßen.
Stigma abbauen und Mut machen
Die Dipl.-Lehrerin und Journalistin gehörte 2000 zu den Initiatorinnen und Mitgründerinnen der Vereins. Durch Betroffenheit in der eigenen Familie erkannte sie die Berührungsängste und Vorurteile und beschloss, das Stigma abzubauen und Mut zu machen. Sie entwickelte das Konzept „Verrückt? Na und! Seelisch fit in Schule und Ausbildung“ und verbreitet es seither durch Regionalgruppen.
In der hiesigen Region gründet sich gerade die 54. Gruppe, dazu gibt es ein Netzwerk von rund 500 Beteiligten. Unterstützt wird die Arbeit in NRW von der Unfallkasse und der Barmer. Ein großes Glück, wie Geschäftsführerin Dr. Richter-Werling findet, denn das Projekt ist zwar hoch gelobt und hat mit den Gesundheitsministern Hermann Gröhe in Berlin und Barbara Steffens in Düsseldorf prominente Schirmherren – aber keine Geldgeber.
Familienklima und Schulklima sind besonders wichtig
„Wir sind die Rufer in der Wüste“, bedauert die Geschäftsführerin und untermauert die Wichtigkeit ihrer Arbeit mit Zahlen: „80 Prozent aller psychischen Erkrankungen nehmen vor dem 20. Lebensjahr ihren Ausgang.“ Zugleich benennt sie zwei Faktoren, die von ausschlaggebender Wichtigkeit für seelische Gesundheit seien: das Familienklima und das Schulklima.
Viele Familien haben es schwer, beobachtet die Caritas-Fachfrau Martina Pattberg. Sie nimmt eine wachsende Zahl von psychischen Erkrankungen wahr und sieht als Ursachen die Doppelbelastung vieler Eltern, die Flut an neuen Medien und Informationen, die Forderung nach stetem „Multitasking“. Die Kinder von psychisch kranken Eltern wiederum „schlüpfen zu Hause oft in die Erwachsenenrolle, um das System aufrecht zu erhalten“ und das Tabu nicht zu lüften. Bei vielen Heranwachsenden wiederum beobachtet Pattberg Orientierungslosigkeit, oft an der Grenze zur psychischen Erkrankung.
Experten-Teams gehen in die Schulen
„Verrücktsein gehört zum Leben“, erklärt Dr. Manuela Richter-Werling, die Geschäftsführerin und Initiatorin des eingetragenen Leipziger Vereins „Irrsinnig Menschlich“. Diesen Gedanken tragen Teams aus Moderatoren und Betroffenen in die Schulen, sprechen offen über das Tabuthema und den „Schatz“ seelische Gesundheit.
Dabei machen sie auch deutlich, erzählt Dr. Richter-Werling, dass seelische Krisen zum Leben dazu gehören, dass man sie bewältigen und sich auch Hilfe suchen kann. Ganz offen berichten „Experten in eigener Sache“ den Schülern von ihren Erfahrungen mit diesen Krankheiten, die als Krankheiten „zweiter Klasse“ gelten.
Nach den Schulungen in dieser Woche wollen die Mülheimer Kooperationspartner nach den Sommerferien ihr Schulprojekt in den achten Klassen der weiterführenden Schulen anbieten.