Mülheim. Morgen beginnt die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien. Doch Katrin Feldermann, Gründerin des Kinderhilfs-Vereins Amigos und Brasilien-Kennerin, ist noch nicht in Fußball-Stimmung. Die gebürtige Mülheimerin schilderte jetzt im Agenda-Büro die Situation der Armen im Land.
„Ich bin nicht objektiv.“ Knapp anderthalb Stunden sprach Katrin Feldermann am Samstag im Agenda-Büro über ihre Erfahrungen in Brasilien. Schnell macht die Sozialpädagogin klar, wo sie steht: Auf der Seite der Armen in den Favelas, der linken Protestbewegungen. Sie ist kritisch gegenüber Polizei, Behörden und Regierung.
Morgen beginnt in dem größten südamerikanischen Land die Fußballweltmeisterschaft. Auch die gebürtige Mülheimerin Katrin Feldermann wird wohl vor dem Fernseher sitzen, wenn der Gastgeber im Eröffnungsspiel gegen Kroatien antritt. „Die Fußballer können ja nichts für die Situation im Land“, sagt sie. „Aber in Stimmung bin ich zurzeit nicht.“
"Das Land ist mein Herzblut"
Seit mittlerweile zwölf Jahren fährt Feldermann mehrmals im Jahr nach Brasilien, setzt sich dort ehrenamtlich mit ihrem Verein „Amigos “ für Kinder und Jugendliche ein. „Angefangen hat es mit einem Praktikum, seitdem ist das Land mein Herzblut“, sagt sie. Jahrelang hat sie sich in Rio de Janeiro engagiert und dort zusammen mit ihren Partnern vor Ort ein Jugendzentrum aufgebaut – in einem der etwa 900 Armenviertel der Stadt.
„Die Leute dort leben in einer Parallelwelt. Sie haben keine Lobby“, so die Sozialpädagogin. Kein Zugang zu Trinkwasser, eine schlechte Stromversorgung, nur wenige sind im Besitz von offiziellen Papiere, es fehlt an Schulen und Bildung; ständig gibt es Kämpfe zwischen Drogenbossen und der Polizei. „Die Favelas sind gesetzesfreies Territorium.“
Kritik an brutaler Vorgehensweise der Polizei
Feldermann berichtet von Polizeiautos mit Einschusslöchern, Zwangsumsiedlungen, öffentlichen Folterungen, kaltblütigen Morden an schwarzen Jugendlichen. Massive Kritik übt sie an der brutalen Vorgehensweise von Sonderheiten der Polizei, die in den Armenvierteln für Ordnung sorgen sollen. Sie selbst habe schon Probleme mit den Einsatzkräften gehabt. „Jeder, der mit den Armen arbeitet, ist der Polizei ein Dorn im Auge.“ Über die Proteste im Vorfeld der WM freut sie sich. „Zum ersten Mal nehmen auch die Armen die Situation nicht einfach so hin“, sagt Feldermann. „Die Menschen sind erwacht.“
Vorfreude auf das Turnier sei im Land nur wenig zu spüren, laut aktuellen Umfragen geht die Akzeptanz der Weltmeisterschaft immer weiter zurück. Die Straßen sind nach ihren Angaben nur wenig dekoriert. „Aber die Leute sind nicht gegen den Fußball oder die Mannschaft, sondern gegen die Regierung“, sagt Feldermann. Fußball sei in Brasilien eine Ersatzreligion. Bei den Kindern heißt es: „Wir werden schon spielend geboren.“ Die Sozialpädagogin formuliert es so: „Der Sport ist eine Art der Lebenserhaltung, eine Gegenwelt zur Realität der Armen.“
Spendengelder fließen zu 100 Prozent nach Brasilien
Ihre Hilfsprojekte hat Kathrin Feldermann derzeit in die Stadt Salvador verlagert, in der auch die deutsche Mannschaft spielt. Sie unterstützt eine Gynäkologin, die sich um junge Schwangere kümmert, und initiierte einen Capoeira-Kurs für Jugendliche.
Mindestens sechs Wochen im Jahr verbringt sie in Brasilien, vor Ort kooperiert sie nur mit einheimischen Partnern. „Spendengelder fließen zu 100 Prozent nach Brasilien“, sagt Feldermann. „Die Anreise bezahle ich aus eigener Tasche.“