Mülheim-Heißen. . Zwei Sammelalben von den Olympischen Spielen 1936 hat Dorothea Niederehe von ihren Schwiegereltern geerbt. Die Dokumente liefern beklemmende Einsichten in die Zeit des Nationalsozialismus, die Olympischen Spiele wurden zu einer willkommene Propaganda-Plattform für das NS-Regime.

Ein Stück Zeitgeschichte hat Dorothea Niederehe hervorgeholt, als sie von unserem Aufruf las, mit dem wir in Anlehnung an das aktuell erschienene Panini-Album „Revier sammelt Revier“ Sammelbände von früher suchten. In dunkelblauem Leinen-Einband sind die beiden Alben gehalten, die von den Olympischen Spielen 1936 erzählen.

Richtige Bücher sind das mit vielen Bildern, aber auch mit viel Text, die Dorothea Niederehe aus dem Nachlass ihrer Schwiegereltern übernommen hat. „Die Bände haben Jahrzehnte lang bei ihnen im Keller gelegen“, berichtet die Heißenerin und fügt hinzu: „Herausgeholt und angeschaut hat sie niemand.“

Abbild des damaligen Lebensgefühls

Sind die Bände doch Zeugnisse einer Epoche, die gerade die heutige (Ur-)Großeltern-Generation am liebsten verschwiegen hat. Und doch: Die Sammel-Alben zu den Olympischen Spielen 1936, die in Berlin und Garmisch-Partenkirchen stattfanden, sind Abbild des damaligen Lebensgefühls – oder dessen, was vermittelt werden sollte. Strahlende junge Menschen – in Reih’ und Glied – durchtrainierte Sportler aller Nationen – aber die Deutschen bitte vorne weg – körperliche Ertüchtigung und Sportbegeisterung als Teil der großen Stimmungsmache – so wurden die Olympischen Spiele zu einer willkommene Propaganda-Plattform für das NS-Regime.

„Meine Schwiegereltern, geboren 1913 und 1914, haben eigentlich nie von dieser Zeit gesprochen“, blickt Dorothea Niederehe zurück. Die 65-Jährige nimmt eines der blau eingebundenen Bücher zur Hand, blättert darin und sagt: „Man kann ja nicht alles aufheben. Für die wirklich wichtigen Erinnerungen brauch’ ich auch keine Bücher.“

Obwohl das Geld knapp war, kaufte der Schwiegervater die Sammelbände

Die Olympia-Alben aber aus der Hand zu geben, gar ins Altpapier, das kam nicht infrage. Ihr Schwiegervater, der als Beamter bei der Post gearbeitet hat, habe die Olympia-Bände angeschafft, obwohl die Familie nie viel Geld übrig hatte. „Dass die Bände nicht voll geworden sind und immer noch einige Bildchen fehlen, war sicher auch eine Frage des Geldes damals“, meint Dorothea Niederehe.

Sammelalben, wie die zu Olympia ‘36, hatten damals eine weitaus größere Popularität als heute, weil es schlicht nicht so viele Verbreitungswege gab wie heutzutage – der Hörfunk erfuhr zwar in den 30er-Jahren einen Aufstieg, bildbasierende Medien aber wie das Fernsehen steckten noch in den Kinderschuhen.

Über den Weg der Sammelalben, deren Bilder damals auf Zigarettenpackungen in die Haushalte kamen, kannte bald jedes Kind die Gesichter der Olympioniken – ein preiswertes Massenmedium, das dem NS-Regime in die Hände spielte. Und auch die Gestaltung zeigt braunes Gedankengut auf den ersten Blick: Auf dem Buchdeckel eine goldene Glocke, darauf der deutsche Adler, der die olympischen Ringe in seinen Klauen trägt, darunter den Schriftzug: „Ich rufe die Jugend der Welt“.