Oberhausen/Mülheim. Francesco Camilleri ist chronisch krank und seit zwei Jahren auf ärztliche Behandlung angewiesen. Seine Krankenkasse, die Knappschaft, hat das nicht davon abgehalten, ihm zu kündigen - weil er ein Attest nicht fristgereicht vorgelegt habe. Diese Praxis ist kein Einzelfall.
Francesco Camilleri ist verzweifelt: „Ich habe große Angst vor der Zukunft.“ Erst im vergangenen November hat die Oberhausener Knappschaft ihm die Krankenversicherung gekündigt. Seitdem bleiben die Krankengeldzahlungen aus, sein finanzielles Polster ist beängstigend dünn geworden. „Ich habe Angst, ein Sozialfall zu werden“, gibt Camilleri zu. Der Grund für den Rauswurf aus der Versicherung: Er habe eine Frist nicht eingehalten, heißt es seitens der Knappschaft, nämlich die Frist die weitere Arbeitsunfähigkeit feststellen und verlängern zu lassen. Francesco Camilleri: „Ich war bis zum 1. November krank geschrieben, am 4. November hat meine behandelnde Ärztin die Arbeitsunfähigkeit verlängert.“ Der 1. November war ein Freitag, darüber hinaus ein Feiertag (Allerheiligen), sowohl er als auch die Ärztin waren davon ausgegangen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch am Wochenende gilt.
Ein Irrtum, so die Knappschaft, die sich auf den Paragraphen 192 des fünften Sozialgesetzbuches beruft. Im Kündigungsschreiben heißt es: „Vor Ablauf der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ist eine rechtzeitige Verlängerung Ihrer Arbeitsunfähigkeit ärztlich festzustellen. Sie müssen sich spätestens am letzten Tag Ihrer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit beim Arzt vorstellen, unabhängig davon, ob dieser Tag auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt.“
Die Leidensgeschichte des Francesco Camilleri
Ein Schock Camilleri, der seit beinahe zwei Jahren so schwer erkrankt ist, dass er nicht in der Lage ist arbeiten zu gehen. Angefangen hatte alles vor vier Jahren. Damals hatte er im Gerüstbau gearbeitet, auf einer Gelsenkirchener Baustelle, die offenbar mit zahlreichen Giftstoffen belastet war. „Meine Leberwerte sind durch die Decke geschossen, auch meine Blutwerte waren extrem schlecht.“ Innerhalb eines halben Jahres nahm er 15 Kilo ab, dann wurde er ins Krankenhaus eingewiesen. Doch die Ärzte standen vor einem Rätsel. „Im Sommer 2010 sollte ich eine Wiedereingliederungsmaßnahme mitmachen, aber die habe ich körperlich nicht durchgehalten.“ Danach wurde er für 18 Monate krankgeschrieben.
Das sagt die Ärztin
Camilleris Hausärztin, die Mülheimerin Dorothea Stimpel, formuliert das Thema vorsichtiger: „Natürlich versuchen Krankenkassen zu teure Patienten loszuwerden, aber das ist nicht häufig.“ Camilleri sei ihr einziger Patient, der aus seiner Krankenkasse rausgeworfen wurde. „Diese Entscheidung ist schon sehr harsch“, räumt sie ein. Kurz nach der Kündigung hatte Stimpel der Knappschaft sogar ein Attest geschickt, dass die Schuld bei ihr liege, nicht bei ihrem Patienten. Die Krankenkasse hat sich davon nichts angenommen. „Der Mann ist multipelst erkrankt. In dem Fall hätte man tolerant sein müssen.“ Es gebe sicherlich häufiger Unstimmigkeiten zwischen Patienten und Krankenkassen, doch die können meistens beigelegt werden. „Die Krankenkasse mag juristisch auf der sicheren Seite sein, ethisch ist sie es sicher nicht. Herrn Camilleri wieder aufzunehmen, wäre ein Akt der Menschlichkeit.“
Als er wieder ins Berufsleben zurückkehrte, wurde Camilleri auf eine andere Baustelle versetzt – und siehe da: Seine Blut- und Leberwerte verbesserten sich zusehends. Im Dezember 2011 kam der Rückschlag: „Ich musste dann noch mal auf der alten Baustelle in Gelsenkirchen arbeiten und schlagartig waren all meine Werte wieder erhöht und ließen sich auch nicht mehr senken“, erinnert sich Camilleri. Seit Februar 2012 ist er nun krank geschrieben. Am 1. September 2013 erlitt er nachts einen schweren Herzinfarkt, kurze Zeit später – die Reha-Maßnahmen waren gerade vorbei – einen zweiten. „Ende November kam dann das Kündigungsschreiben von der Knappschaft. Wegen zwei Tagen, nachdem ich 20 Jahre lang eingezahlt habe.“
Wer ist im Recht?
Aus juristischer Sicht sei die Krankenkasse im Recht, wie ein Knappschaftssprecher betont: „Wir sind sogar gesetzlich verpflichtet, den Mitgliedern bei Versäumnissen zu kündigen und die Krankengeldzahlungen einzustellen.“ Der Fall des Francesco Camilleri sei durchaus „kein Einzelfall“, so der Sprecher. „Herr Camilleri hätte wissen müssen, dass er rechtzeitig bei seinem Hausarzt vorstellig werden muss.“ Auch am Feiertag, „ansonsten eben etwas eher“. Darüber hinaus sehe der Sprecher keine Nachteile, die Francesco Camilleri durch den Rauswurf aus der Krankenkasse entstehen: „Er kann sich jederzeit wieder anmelden und hätte die gleichen Ansprüche wie vorher.“ Gegebenenfalls müsste er in diesem Fall als freiwillig Versicherter höhere Beiträge zahlen, aber: „Wenn er arbeitslos und arbeitsunfähig ist, zahlt das Sozialamt die Beiträge.“ Für eine Kulanzentscheidung, wie im Fall eines Oberhausener Krebspatienten, der aus dem gleichen Grund von der Knappschaft gekündigt worden war, die Krankenkasse ihre Entscheidung allerdings revidierte, sehe er in diesem Fall keinen Spielraum. „Wir haben Herrn Camilleri am 23. Oktober noch mal darauf hingewiesen, dass eine verspätete Vorstellung beim Arzt zum Ende der Mitgliedschaft führen kann.“ Darüber hinaus sei Camilleris Krankengeldanspruch sowieso erloschen, weil er einem Zeitraum von drei Jahren insgesamt 78 Wochen Krankengeld bezogen hat.
Widerspruch eingelegt
Damit schneidet der Sprecher das Thema an, um das es in Francesco Camilleris Augen eigentlich geht: „Ich bin mir sicher, dass ich denen einfach zu teuer war.“ Seit Anfang Dezember wartet er nun darauf, dass sein Widerspruch gegen die Kündigung bearbeitet wird. Wie lange das dauert, steht in den Sternen. Mittlerweile musste er sich Geld von seinem Bruder leihen, damit er wenigstens seine Rechnungen zahlen kann.