Mülheim.

Bevor Gertrud Paulsen fürs Foto ihr schönstes Lächeln aufsetzt, werden die Haare noch schnell gerichtet, die Augenbrauen nachgezogen. Das Bluse und das schicke Tuch über den Schultern sitzen perfekt. Gut sieht sie aus, entspannt. „Sie hatte schon immer sehr viel Schönheitssinn“, sagt ihre Tochter Karin Thol. Und für gutes Aussehen gibt es keine Altersbeschränkung: Am heutigen Montag feiert Gertrud Paulsen ihren 100. Geburtstag.

„Meine Mutter“, sagt Karin Thol, „hat ihr Leben wunderbar gemeistert. Sie hat das, was ihr das Leben beschert hat, immer angenommen.“ Und das Leben hat ihr eine Menge beschert – Gutes wie Schlechtes. Aufgewachsen ist Gertrud Paulsen in Styrum. Im benachbarten Oberhausen machte sie eine Schneiderlehre, berichtet die gebürtige Ratingenerin: „Gelernt habe ich bei Fräulein Budde.“ Nach der Gesellenprüfung fing sie im Mülheimer Modehaus Berger und Lindner an, steckte dort „für Frau Thyssen und Frau Stinnes Kleider ab“, bis sie 1938 mit ihrem Ehemann nach Koblenz zog.

Zäsur waren Kriegsjahre

Eine Zäsur waren die folgenden Kriegsjahre. Nur auf ihr Drängen hin wurde Gertrud Paulsen 1944 mit ihrer Tochter und ihrem wenige Monate alten Sohn nach Thüringen evakuiert. Sicher fühlten sie sich dort zunächst auch nach Kriegsende – bis die Russen das Gebiet von den Amerikanern übernahmen. Da entschied sie: Wie gehen zurück nach Mülheim. „Mit dem Kinderwagen quer durch Thüringen“, erzählt Karin Thol, seien sie damals gelaufen, „aber die Grenze war zu.“

Schließlich überquerte Familie Paulsen „die Grenze bei Eisenach nachts in einem Treck schwarz“. Ziel der Flucht war Styrum, wo ihre Eltern an der Blumenstraße wohnten. Seitdem ging Gertrud Paulsen aus Mülheim nicht mehr weg.

"Gemeinde ist Heimat geworden"

In der Stadtmitte wohnte sie über 40 Jahre lang. In der katholischen Gemeinde St. Mariae Geburt engagierte sich die gläubige Dame lange ehrenamtlich. So kochte sie etwa jeden Donnerstag für Bedürftige und Nichtsesshafte. „Besonders nach dem Tod ihres Mannes ist ihr die Gemeinde eine Heimat geworden“, sagt Karin Thol.

Gefeiert wird der 100. Geburtstag übrigens genau so, wie die dreifache Großmutter es sich gewünscht hat: mit Kaffee und Kuchen im Kreis ihrer Familie und Freunde.