Mülheim. .

Seit genau einem Jahr ist Prof. Peter Vermeulen (55) Dezernent im Technischen Rathaus am Hans-Böckler-Platz. Chef von rund 600 Mitarbeitern, die sich um alles kümmern, was mit Planen, Bauen und Umwelt, mit Verkehr, Tiefbau und Grünflächen zu tun hat. Das Thema „Energiewende“ zieht sich durch seine Ressorts, betrifft alle Bereiche.

Herr Vermeulen, haben Sie alle Fäden zum Thema Energiewende in Ihrer Hand?

Peter Vermeulen: Und wenn es nur wenige Fäden sind, die man in der Hand hat, man muss sie ziehen. Zuerst einmal muss klar sein: Welche Fäden gibt es? Ulrike Marx ist im Haus unsere Klimaschutz-Koordinatorin. Alle Maßnahmen laufen bei ihr zusammen. Sie trägt auch den Energetischen Stadtentwicklungsplan zusammen, den wir in diesem Jahr vorstellen wollen. Ziele, Möglichkeiten, Maßnahmen werden darin benannt.

Schafft es die Stadt, die ehemals versprochene CO2-Reduzierung von 50 Prozent von 1990 an bis zum Jahr 2030 zu erreichen?

Vermeulen: Es gibt bisweilen Vollmundigkeit in der Politik. Ich möchte lieber halten, was ich verspreche und hier kann ich nichts versprechen, Die Ziele sind richtig, aber die Stadtverwaltung alleine kann sie nicht erreichen. Die gesamte Verwaltung verbraucht zum Beispiel nur fünf Prozent des gesamten Energieverbrauchs in der Stadt. Selbst wenn wir es schaffen würden, diese zur Hälfte zu reduzieren, hätten wir nur zweieinhalb Prozent eingespart. Der von der Stadtverwaltung verursachte Energieverbrauch ist der einzige Faktor, auf den Verwaltung direkt Einfluss hat. Daran kann man sehen, dass wir (die Stadt) Bürger und Unternehmen zur Erreichung unserer Ziele dringend brauchen. Im Rahmen der Rechtsetzung sind unsere Möglichkeiten der kommunalen Einflussnahme begrenzt. Wir müssen Bundes- und Landesrecht beachten. Als Kommune steht uns daher nur ein begrenzter eigener Handlungsspielraum zur Verfügung.

Was tut die Stadt für die Energiewende?

Vermeulen: Ich glaube, Mülheim ist schon ganz gut, besser als andere Städte. Wir haben viele Maßnahmen begonnen. Unser Solarkataster zeigt, wo sich Sonnenkollektoren lohnen, wir haben bald einen Energetischen Stadtentwicklungsplan und erste Windräder auf dem Dach des Technischen Rathauses. Die Vorarbeiten für die Innovation-City-Bewerbung nutzen uns für weitere Antragstellungen, wie aktuell für unsere Bewerbung zur KWK (Kraft-Wärme- Kopplung)-Modellkommune.

Was würde ein Zuschlag bedeuten?

Vermeulen: Kommunen und ihre Projektpartner sollen mit Fördermitteln in den KW-Ausbau investieren. Letztlich können wir Anreize schaffen, aber Bürger und Industrie müssen die Investitionen tätigen. Die Ansätze werden immer besser. Ich bin optimistisch. Die Menschen sind zwar bequem, aber wenn sie Vorteile sehen, sind sie dabei. Ein positives Beispiel dafür ist die Photovoltaik.

Wird das mit Partnern angegangen?

Vermeulen: Wir brauchen die Vernetzung im Bereich Forschung, zum Beispiel mit der Hochschule (HRW) oder den Max-Planck-Instituten (MPI). Ebenso sind die Energiedienstleiter dabei, wie auch die Wohnungsbauunternehmen. All diese Maßnahmen tragen zur Bewusstseinsänderung – auch bei den Bürgern – bei. Da sind wir weit.

WAZ: Haben Sie Visionen für die Energiewende in Mülheim?

Peter Vermeulen lächelt: Ich bin nicht Helmut Schmidt, der gesagt hat: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Man braucht arbeitsteiliges Vorgehen, in vielen Bereichen. Die Verwaltung geht voran mit dem Energiesparen. Dann brauchen die Bürger Anreize zum Umstellen ihrer Anlagen.

Die Stadt besitzt Primärenergie-Quellen wie Wasserkraft. Über Windkraft oder Photovoltaik-Standorte wird nachgedacht. Wie kann man Energie aus industriellem Abwasser gewinnen?

Das wirklich große Einsparpotenzial liegt aber in der Kraft-Wärme Kopplung. Unser Ziel ist der Ausbau von dezentralen Nahwärmenetzen an vielen Stellen im Stadtgebiet, dort wo der Wärmebedarf hoch ist. Mindestens ein Viertel des Stromes, den wir im Stadtgebiet benötigen – wir sprechen hier von etwa 1,1 Mrd. kWh/a – soll aus Kraft-Wärme-Strom stammen.

Bei den Menschen sollte die Mobilität beeinflusst werden durch die sogenannte ‚soziale Stadt’, durch Quartiersentwicklung. Früher hat man den Bau dezentraler Einkaufsparadiese bevorzugt, die man nur mit einem mobilen Untersatz erreichen kann. Unsere Frage ist heute: Wie können wir die Wohnqualität in den Quartieren erhöhen, dass sich Geschäfte für die Nahversorgung ansiedeln? Wenn Nachbarschaft gelebt wird, bleibt der Mensch auch mehr in seinem Viertel.

Unsere Leitplanung gilt auch den Spiel- und Bewegungsräumen. Wie können wir auf ‘Nicht-Straßen’, in Grünanlagen, die Innenstadt erreichen?

Wie sieht die grüne Leitplanung für die Stadt Mülheim aus?

Vermeulen: Die Frage soll lauten: Wie schaffen wir in der Stadt ­Anreize für alternative Mobilität, mit dem Rad, Elektro-Rad oder Elektro-Auto. Zur Mobilität gehört natürlich ein optimierter Nahverkehrsplan. Leere Busse und Bahnen machen keinen Sinn. Wie können wir deren Auslastung verbessern? Auch Energieeinsparung durch Reduzierung der nächtlichen Straßenbeleuchtung ist ein Thema. Brauchen wir in der Nacht so viel Licht? Könnte man andere Leuchtmittel nutzen, dämmen oder jede zweite Lampe ausstellen? Wir denken über Stadtbegrünung nach, CO2-schluckende Pflanzen, wir brauchen den Erhalt unserer Frischluftschneisen.

Wie lässt sich das mit den großen Industrieflächen in der Stadt vereinbaren?

Vermeulen: Bei aller Ökologie dürfen wir ­natürlich nicht vergessen, dass wir eine Stadt mit einem großflächigen Anteil industrieller Produktion sind. Wir haben eine Industrie, die in hohem Maße Energie verbraucht, die aber auch für sehr viele Arbeitsplätze sorgt. Ich bin optimistisch, dass wir unsere Energieziele erreichen und die Industriestandorte erhalten können. Bei der Industrie wächst das Umweltbewusstsein schon lange stetig. Viele Industriebetriebe haben sich bereits sehr ambitionierte Klimaschutz- und Umweltziele gesetzt.

Werden Sie bei der Dauer der Umsetzung nicht manchmal ungeduldig?

Vermeulen: Ich bin von der Wirtschaft in die Verwaltung gegangen, weil ich etwas bewegen wollte und nicht verstanden habe, warum vieles in Stadtverwaltungen so langsam ­vorangeht. Mittlerweile verstehe ich allerdings, Gut-Ding braucht Weile. An ­Planungen muss man geduldig ­herangehen. Wer in meinem Alter ist, erinnert sich, wie es vor Zeiten der Einführung des Katalysators beim Auto auf den Straßen nach Abgasen stank, wie schmutzig die Industrie früher war. In vergangenen 30, 40 Jahren hat sich bereits enorm viel geändert. Gemessen an der Ewigkeit ist das kein langer Zeitraum.