Mülheim. . Eine erfolgreiche Uraufführung feierte der junge Bündner Regisseur Achim Lenz kürzlich mit „Die Wolfshaut“ am Theater Chur. Als Deutschlandpremiere und Koproduktion mit dem Ringlokschuppen kommt das Stück nach Mülheim. Ein Interview.

Von den Gipfeln der Schweizer Berge auf den Boden der Industriebrachen im Revier. Umtriebig ist Achim Lenz zwischen den Ländern unterwegs. Gerade inszeniert er in Nordhausen eine Geschichte um Luther und Doppelkorn. Eine erfolgreiche Uraufführung feierte der junge Bündner Regisseur kürzlich mit „Die Wolfshaut“ am Theater Chur. Als Deutschlandpremiere und Koproduktion mit dem Ringlokschuppen kommt das Stück morgen nach Mülheim.

„Wolfshaut“ ist ein Krimi, eine düstere Heimatgeschichte, die in Österreich spielt. Der Roman von Hans Lebert erschien 1960. Wie sind Sie darauf gekommen?

Achim Lenz: Das kam durch die Zusammenarbeit mit dem Ringlokschuppen. Dramaturg Matthias Frense hatte mir damals, als er 2008 „Tannöd“ von mir gesehen hat, geflüstert, das mal mit einem anderen Stoff auszuprobieren. Dann habe ich diesen Roman gelesen. Das war ein ganz großes Leseerlebnis, das ich nicht mehr vergessen konnte. Sofort war die Idee da, dieses Erlebnis auf die Bühne zu bringen.

Bei der Uraufführung sorgte das Stück für Aufsehen, bekam gute Kritiken. Worum geht es in der Geschichte?

Lenz: Das Stück spielt in Österreich in der Nachkriegszeit. Das Dorf heißt Schweigen. Und da passieren seltsame Morde. Keiner weiß, wer der Mörder ist. Es gibt zwei Hauptfiguren. Da ist der Rückkehrer, der aus dem Krieg kommt, und sein Haus leer vorfindet. Seine Mutter ist gestorben, sein Vater hat sich erhängt. Die andere Figur ist Maletta. Ein Fotograf, der für alle Bewohner des Dorfes Hassliebe empfindet. Beide versuchen herauszufinden, was in diesem Dorf, das sich zu Tode schweigt, los ist.

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Hinter dem Schweigen stecken die Themen Nazismus und Kollektivschuld?

Lenz: Genau. Es kommt raus, dass ein riesiges Verbrechen passiert ist, das diese Dorfgemeinschaft versucht zu vertuschen. Jeder, der spricht, wird umgebracht. Nur, es ist in diesem Roman divergent – man weiß nicht genau, wer tatsächlich diese Leute umgebracht hat. Es gibt auch einen Mysterie-Teil darin – das macht diesen Roman so spannend.

Es geht also auch um Vergangenheitsbewältigung und Verschweigen?

Lenz: Natürlich. Für Lebert war das ein großes Thema. Für mich jetzt weniger auf der Bühne. Lebert musste sich in den 1960er-Jahren von diesem Österreich-Bild, das sich sofort etabliert hatte, lösen. Wir Schweizer und Österreicher haben das Problem, dass wir nicht diese aktive Vergangenheitsbewältigung tun können, weil es bei den Schweizern immer hieß: Die haben ja eh nichts gemacht. Was ja so auch nicht stimmt. Bei den neuen Prozessen in Deutschland in den 60er-Jahren wurden die alten Nazis, die ganz oben in der Politik oder in den Firmen saßen, nochmals vor Gericht gezogen. In Österreich wurde diese Wiederaufarbeitung nicht gemacht. Man hat ein Heimatbild aufgebaut mit Tirol und dem Wolfgangsee.

Österreich und der Nationalsozialismus – eine Problematik, die auch Elfriede Jelinek beschäftigt.

Lenz: Ja, für Jelinek war der Roman eines der größten Leseerlebnisse. Thomas Bernhard wäre ohne diesen Roman auch nicht denkbar. Es sind die ersten Österreicher, die sich gewehrt haben. Lebert hat das aber nix gebracht. Niemand wollte diesen Roman damals lesen, geschweige denn kaufen. Heute ist er vergriffen.