Mülheim. . Gustav-Heinemann-Schule startet ein Projekt, bei dem Schüler Schüler bilden, um sie vor Cyber-Mobbing zu schützen.
Mit „Homevideo“ wurde im Oktober ein Film mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, der zeigt, wie ein Schüler durch Cyber-Mobbing in den Tod getrieben wird, weil ein intimes Video, das eigentlich nur für den privaten Gebrauch gedacht war erst in die falschen Hände und dann ins Netz gelangt.
So etwas hat man an der Gutsav-Heinemann-Schule noch nicht erlebt. Gott sei Dank. Doch Schulleiterin Christa van Berend und ihre Kollegen haben es immer wieder mit Eltern zu tun, die verzweifelt sind, weil ihre Kinder nicht mehr zur Schule gehen wollen.
Der Grund: Cyber-Mobbing. Beleidigungen, die früher auf dem Schulhof unter vier, sechs oder acht Augen blieben, werden jetzt wie ein Lauffeuer über das Internet verbreitet. Das Sozialnetzwerk Facebook, das sich hier von seiner unsozialen Seite zeigt, macht es möglich.
Vorbeugen statt Nachsorgen
„Da wird mit einer unvorstellbaren Fäkalsprache gearbeitet, die die Absicht hat, Kinder und Jugendliche tief zu verletzen“, weiß van Berend. Sie ärgert sich vor allem darüber, dass solche Schmähungen, die sogar ohne das Wissen der Opfer massenhaft im Internet verbreitet werden, auf Facebook anonym ausgesprochen werden können, anders als beim Online-Netzwerk Schüler VZ.
Mit Sorge sieht sie auch, wie gerade jüngere Schüler aus den Klassen 5 und 6 gewagte Fotos in hochgestylter Pose ins Netzwerk stellen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass die damit zum Opfer pädophiler Erwachsener werden könnten.
„Viele junge Schüler gehen da mit einer völligen Naivität heran und stellen private Fotos ohne Ende ins Netz“, weiß auch Lehrer Marcus Beling. Er hat sich mit seinen Kollegen Vera Petterson, Melanie Zimmermann und Maren Behme zum Thema Cybermobbing fortgebildet, um sein Wissen an Eltern und vor allem an Schüler weiterzugeben.
Jüngere nehmen eher Hilfe an
„Wir sind außen vor. Sie sind mittendrin“, erklärt Beling, warum er mit seinen Kollegen 14 Oberstufenschüler zu Schul-Netz-Scouts ausgebildet hat, um ihre jüngeren Mitschüler für die Risiken der Internet-Netzwerke zu sensibilisieren und sie im Ernstfall als erste Ansprechpartner zu stabilisieren und ihnen weiterzuhelfen.
„Ich glaube, dass gerade bei jüngeren Schülern die Hemmschwelle, sich helfen zu lassen, nicht so groß ist, wenn sie erst mal uns ansprechen, statt sich gleich an einen Lehrer wenden zu müssen“, sagt Schülersprecherin Lioba Spliethoff.
Sie ist eine von 14 Netz-Scouts, die sich einen ganzen Tag lang mit dem Wissen rund um Cyber-Mobbing sowie dem kleinen Einmaleins von Psychologie und Pädagogik ausrüsten ließen. So qualifiziert und durch eine regelmäßige Supervision durch die in Sachen Cyber-Mobbing geschulten Lehrer unterstützt, sollen die Netz-Scouts in Klassenstunden oder Einzelgesprächen ihren jüngeren Mitschülern in den Klassen 5 und 6 Erste Hilfe gegen Angriffe aus dem Netz leisten.
„Zu wissen, wie man vor fremden Gruppen frei spricht oder ein vertrauliches Beratungsgespräch führt, kann mir sicher auch später im Berufsleben weiterhelfen, glaubt Spliethoff, die gerne Lehrerin werden möchte. Trotz der offensichtlichen Risiken, die Internetnetzwerke mit sich bringen, bestätigt die Schülersprecherin, dass in den unteren Klassen rund die Hälfte und in den Oberstufenklassen sogar etwa 90 Prozent der Schüler vor Internet sozial vernetzt sind.
Man will dabei sein
Warum? Liobas Scout-Kollegen Katharina Schmuck und Joyce Stache: „Man will nichts verpassen. Man will dabei sein, in Verbindung bleiben, sich aber auch mal anderen präsentieren und so im Mittelpunkt des Interesses stehen.“
Wie sich Vernetzung und Nachrichtenaustausch auf Facebook und Co im Schulalltag auswirken kann, schildert Lehrer Meling: „Wenn ein Schüler abends einen Unfall hatte, weiß es am anderen Morgen die ganze Klasse.“ Aus der Jugend-Internet-Medienstudie der Landesmedienzentrale weiß er, dass Jugendliche heute täglich 138 Minuten online sind, 39 Minuten länger als noch vor fünf Jahren.
Er weiß, wie wichtig es ist, über persönliche Angriffe aus dem Netz zu sprechen, sie sofort im Sinne der Beweissicherung zu speichern und im Notfall Inhalte auch durch die Polizei aus dem Netz nehmen zu lassen, was zumindest bei Schüler VZ problemlos möglich ist. „Wir wollen den Schülern Facebook und Schüler VZ nicht verbieten. Aber sie sollen die Risiken kennen und bestimmte Fehler vermeiden, wenn sie sich in diesen Internetzwerken bewegen“, betont Melis Kollegin Petterson.
Neben der persönlichen Hilfe und Ansprache durch die Netz-Scouts soll auch die Internetseite der Schule www.gustav-ghs.de mit Hilfe einer Broschüre und eines Fotoromans die wichtigsten Regeln zur Vermeidung von Cyber-Mobbing vermitteln. Zwei Netz-Scouts haben sich übrigens im Lichte ihrer neuen Erkenntnisse bei Facebook abgemeldet.