Mülheim.
Das neueste Handy, die coolsten Klamotten. Das brauchen Jugendliche, wenn man der Werbung glauben soll. Man sollte nicht, aber viele Jugendliche tun es trotzdem und geben sich dem Konsumrausch hin. Was man sich nicht leisten kann, klaut man im Notfall. So kommt es zum Ladendiebstahl. So denkt man. Doch die Sozialpädagogin Bärbel Brückner von der Caritas weiß es besser. Denn sie betreut zusammen mit Kriminalhauptkommissarin Petra Dahles vom Kriminalkommissariat Vorbeugung einen Kurs, in dem jeweils bis zu zwölf Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 21 gemeinsam darüber nachdenken, warum sie geklaut haben und wie sie verhindern können, rückfällig zu werden und auf die schiefe Bahn zu kommen. Laut Brückner stehen in Mülheim jährlich 70 bis 90 Jugendliche wegen Ladendiebstahls vor Gericht. Tendenz derzeit leicht sinkend.
„Die meisten Jugendlichen, die wegen Ladendiebstahls vom Jugendrichter oder von der Staatsanwaltschaft zu uns geschickt werden, um ihre Tat gemeinsam zu reflektieren, kommen nicht aus sozial schwachen Familien, die kein Geld haben. Es sind vielmehr Jugendliche aus Mittelschichtfamilien, die monatlich 50 bis 80 Euro Taschengeld bekommen“, erzählt Brückner. Warum stehlen diese Jugendlichen dann? „Manchmal sehen sie es als Mutprobe und folgen einem Gruppendruck. Manchmal ist es aber auch nur der spontane Impuls: Das will ich jetzt sofort haben“, weiß Brückner aus den Berichten ihrer Kursteilnehmer, die zu zwei Dritteln weiblich und sehr oft zwischen 15 und 17 Jahren alt sind. Gestohlen werden zum Beispiel Mode und Kosmetik sowie Handys und MP3-Player. „Ich habe nur ein kleines Teil mitgehen lassen. Das kostet doch nicht so viel“, meinen manche Jugendliche.
Wirtschaftliche Folgen
Dann sind sie überrascht, wenn Brückner und Dahles alle Kursteilnehmer auf einen Zettel den von ihnen gestohlenen Gegenstand und seinen Geldwert aufschreiben lassen und diese Zettel, entlang eines Seiles, über den ganzen Raum verteilen und am Ende manchmal sogar einige hundert Euro zusammenkommen. „Wir wollen den Jugendlichen die individuellen, wirtschaftlichen und strafrechtlichen Folgen ihrer Tat vor Augen führen und damit ihre Eigenverantwortung und ihr Unrechtsbewusstsein stärken“, erklärt Brückner das Ziel des dreistündigen Kompaktkurses, in dem mit Diskussionen, Rollenspielen, Fragebögen und Filmen Ursachen und Folgen der Tat aufgearbeitet werden.
Während die jungen Ladendiebe zur Kursteilnahme verpflichtet sind, können ihre Eltern ein freiwilliges Kursangebot der Caritas wahrnehmen, in dem zwei Stunden lang darüber gesprochen und nachgedacht wird, welche pädagogischen Konsequenzen aus der Tat zu ziehen sind, damit es nicht zu einem nächsten Verfahren wegen Ladendiebstahls kommt und aus dem Kompaktkurs bei der Caritas vielleicht ein Jugendarrest wird.
Gemeinsame Aufarbeitung
„Die Jugendlichen sind oft entsetzt, wenn sie begreifen, was sie mit dem Ladendiebstahl ihren Eltern angetan haben und welcher Vertrauensbruch mit der Tat verbunden ist. Und die Eltern sind oft entsetzt, dass ihre Kinder stehlen und fragen sich, was sie falsch gemacht haben“, schildert Brückner das Spannungsfeld in den betroffenen Familien.
Aus ihrer Praxis weiß sie, wie wichtig es ist, dass Kinder und Eltern in den Familien die Tat gemeinsam aufarbeiten und wieder Vertrauen zueinander fassen.
Elterliches Vorbild
Die Sozialpädagogin macht den Eltern deutlich, wie wichtig ihr eigenes Konsumverhalten als Vorbild für ihre Kinder ist. Oft hat es Brückner mit Jugendlichen zu tun, die nicht gelernt haben, mit Geld umzugehen, zu sparen, Bedürfnisse aufzuschieben oder Erwartungen herunterzuschrauben. Damit Jugendliche erst gar nicht auf dumme Gedanken oder mit falschen Freunden zusammen kommen, rät die Sozialpädagogin zu einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung, am besten sozial eingebunden, zum Beispiel in einem Verein.