Mülheim. .
Innerhalb kurzer Zeit haben zwei Kommunalpolitiker in Mülheim aus gesundheitlichen Gründen das Handtuch geworfen. Die Fraktionsvorsitzenden darüber, was es bedeutet, ehrenamtlich Lokalpolitik zu betreiben - beruflich, familiär und persönlich.
Mit dem Einzug in den Stadtrat war meine berufliche Karriere beendet“. „Wäre ich nicht selbstständig, könnte ich politische Arbeit vergessen.“ „Ratsarbeit kann man eigentlich nur noch als Rentner machen“.
Drei Aussagen von drei Vorsitzenden unterschiedlicher Fraktionen, die aber alle in dieselbe Richtung zielen: Kommunalpolitisches Engagement kostet Zeit, Kraft und Nerven. Manche machen weiter, andere ziehen die Reißleine und steigen aus, wie die Beispiele von Thomas Behrendt (Grüne) und jüngst Oliver Willems (SPD) zeigen.
Ist Kommunalpolitik überhaupt noch ehrenamtlich zu leisten? Wo liegen die besonderen Anforderungen? Was müsste geändert werden, um mehr Bürger für politische Arbeit zu gewinnen? Darüber sprachen wir mit den Vorsitzenden verschiedener Fraktionen. Um zwei Dinge gleich vorweg zu sagen: Keiner hob zu einem Klagelied an. Keiner hat das Patentrezept, wie die Arbeitsanforderungen entspannt werden könnten.
Entscheiden müssen die ehrenamtlichen Ratsmitglieder
„Fraktionsvorsitzender zu sein und gleichzeitig abhängig Beschäftigter, das ist so gut wie nicht machbar“, meint Peter Beitz (FDP). Ein wichtiger Aspekt: Zwischen Rat und Verwaltung bestehe eine entscheidende Differenz. „Verwaltung kann sich professionell und Tag für Tag um Dinge kümmern. Entscheiden müssen aber die ehrenamtlichen Ratsmitglieder. Und wir müssen unseren Input selbst besorgen. Verwaltung hat also immer einen deutlichen Wissensvorsprung.“ Als Hobby-Politiker bleibe da nur: Sich nicht verzetteln, sich auf wichtige Themen konzentrieren, ein klar strukturiertes Zeitmanagement verfolgen und sich daran halten.
„Klar leiden andere Lebensbereiche“, meint Tim Giesbert (Grüne). „Mit Familie und Kindern und den immer stärker werdenden Anforderungen im Beruf wird’s schwierig. Aber man muss natürlich auch sagen, dass Politik Spaß macht.“ Die Belastung hänge von den jeweils eigenen Zielsetzungen ab. Auch er beklagt, dass Verwaltung immer einen Wissensvorsprung besitze. Wie dem abzuhelfen wäre? „In großen Städten wie etwa Köln haben die Fraktionen neben dem Geschäftsführer auch noch einen oder zwei Fachreferenten. Die recherchieren und können Themen vorbereiten.“
„Manchmal frage ich mich, wie ich das alles geschafft habe, als ich noch berufstätig war“, sagt Dieter Wiechering (SPD), der seit mehr als zwei Jahrzehnten im Rat sitzt. Die Anforderungen an Kommunalpolitiker, insbesondere an die Fraktionsvorstände, hätten sich seither noch einmal erheblich erhöht. „Die Verantwortung für die Kommune hat, nicht zuletzt angesichts der finanziellen Situation, zugenommen.“ Es vergehe kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Sitzung oder ein Informationsgespräch anstünden. „Und man muss sich darauf ja auch noch vorbereiten.“ Ein weiterer Punkt: Je mehr Fraktionen, desto mehr Gesprächsbedarf gebe es. Sein Fazit: „Die schönen Zeiten sind vorbei.“ Wäre ein kleinerer Rat oder ein Berufsparlament wie in Land und Bund eine Lösung? „Man könnte eine Stadt auch mit fünf, sechs Leuten regieren. Aber je weniger Bürger im Rat sitzen, desto undemokratischer wäre das.“ Ein Berufsparlament auf Zeit lehnt er aber ab.
Das tut auch MBI-Fraktionschef Lothar Reinhard. Aber wie wäre es, die Fünf-Prozent-Klausel wieder einzuführen, um weniger, aber dafür größere Fraktionen zu bekommen? „Nein, denn die Gesellschaft ist nicht mehr so monolithisch wie früher.“ Er plädiert für mehr direkte Demokratie.
„Irgendwann werden nur noch Rentner im Rat sitzen“
Gegen ein Berufsparlament spricht sich auch CDU-Fraktionsgeschäftsführer Hansgeorg Schiemer aus. Kommunalpolitik dürfe den direkten Lebensbezug zum Bürger nicht verlieren. Eine Entlastung wäre es schon, die Anzahl der Termine zu verringern und auf bestimmte Rituale einfach zu verzichten. „Ich erinnere an die jüngste Ratssitzung mit ihren geheimen Abstimmungen und dem stundenlangen Vorbereiten eines einzigen Antrags.“ Am Ende hatte das Stadtparlament sieben Stunden getagt.
Und was ist, wenn sich überhaupt nichts ändert? „Irgendwann werden nur noch Rentner im Rat sitzen“, so CDU-Fraktionschef Wolfgang Michels.