Mülheim/Essen. .
Hermann Friedrich Neuhaus soll zu langsam gefahren sein – und dafür 20 Euro bezahlen. Ein Fahrer aus Essen hat den Mülheimer angezeigt. Der ärgert sich: „Der hält den Mindestabstand nicht ein, ich werde angezeigt!“ Die Geldbuße wird automatisch verhängt.
Die Geschichte beginnt kurios und wird immer kurioser: Weil er angeblich zu langsam fuhr, flatterte Hermann Friedrich Neuhaus aus Mülheim eine schriftliche Verwarnung der Stadt Essen ins Haus. Den Verkehrsfluss habe er ohne triftigen Grund behindert, heißt es in dem Schreiben und die Höhe des Verwarngeldes wird auch gleich genannt: 20 Euro. Angezeigt hat den Mintarder aber nicht – wie dieser selbst vermutete – ein Polizist außer Dienst, sondern ein Essener Autofahrer. Dass Bürger andere Bürger anzeigen, ist keine Seltenheit. Und jedes Mal wird der Behördenapparat in Gang gesetzt.
Den Vorwurf, er fahre grundlos zu langsam, will Hermann Friedrich Neuhaus nicht auf sich sitzen lassen. Auf der Strecke zwischen Kettwig und Werden, auf die sich der Vorwurf bezieht, ist Tempo 70, doch laut Neuhaus stehen dort auch „drei Verkehrsschilder, Achtung Wildwechsel. Im Herbst, bei dem Wetter, muss ich da nicht 70 fahren!“ Laut eigener Aussage war er mit 65 km/h unterwegs. Vorsichtig und umsichtig fahre er – beides spricht er dem Fahrer ab, von dem er sicher ist, dass er ihn anzeigte: „Der ist so dicht aufgefahren, dass ich sein Nummernschild nicht mehr lesen konnte.“ Da kann er sich ereifern: „Der hält den Mindestabstand nicht ein – und ich werde angezeigt!“
Polizei und Behörde prüfen Vorwürfe nicht
Polizeisprecher Lars Lindemann kann dazu nichts sagen, denn die Ordnungshüter hatten in diesem Fall lediglich weiterleitende Funktion: Die Anzeige kam online von einem Essener, der die Abläufe anders schildert, andere Geschwindigkeiten nennt. Die Polizei ermittelt in solchen Fällen nicht, sondern leitet Bürger-Anzeigen nur an die zuständige Straßenverkehrsbehörde weiter – und auch die prüft die Vorwürfe nicht, sondern schickt eine Verwarnung samt Mitteilung über die Höhe des Verwarngeldes raus.
Bürger A zeigt Bürger B an – und die Anschuldigungen werden automatisch von der Behörde übernommen. Automatisch wird eine Geldbuße verhängt. Ist Bürger B nicht bereit, diese zu zahlen, ist er gezwungen, sich zu rechtfertigen. Dazu werde ein Anhörungsbogen mitgeschickt, erklärt Michaela Lippek, Mitarbeiterin des Presseamtes der Stadt Essen, deren Straßenverkehrsamt in Neuhaus’ Fall zuständig ist. In diesem Schreiben könne er seine sieht der Dinge schildern. Erst wenn es im Amt eingeht, wird „die Sachlage bei uns geprüft“.
Beweispflicht liegt bei der Stadt
Das sei das übliche Verfahren, bestätigt Mülheims Stadtsprecher Volker Wiebels – und relativiert gleich: Wenn ein Bürger das Verwarngeld nicht akzeptiere, liege die Beweispflicht bei der Stadt – und eben dem Anzeigesteller. „Wenn einer behauptet, ein anderer habe seine Garage zugeparkt, dann muss er das mit Fotos dokumentieren“, sagt Wiebels.
Anzeigen von Bürgern gegen Bürger kommen immer wieder vor, bestätigen die Sprecher von Stadt und Polizei, wollen aber nicht genauer werden. Letztlich komme es aber darauf an, was beweisbar sei, betont Volker Wiebels und spricht von Nachbarschaftsstreitigkeiten, die schon so ausgefochten worden seien. Oftmals steht am Ende Aussage gegen Aussage – wie im Fall von Hermann Friedrich Neuhaus. Das Verfahren gegen ihn wurde inzwischen eingestellt.